Tichys Einblick
Präses Thorsten Latzel

Schwerhörige Kirche

Die evangelische Kirche versteht sich als zuhörende Kirche. Pfarrer Achijah Zorn bezweifelt, dass dieses Selbstbild mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

Der Präses der Ev. Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, betonte diese Woche auf der Landessynode, wie wichtig das ZUHÖREN ist: „Als Kirche sind wir ein Hörgeschöpf (…) Als presbyterial-synodale Kirche ist uns das Hören gleichsam eingeimpft (…) Deswegen pflegen wir keine Hermeneutik des Verdachts (…), sondern kehren einander alles zum Besten (…) Oder mit dem norwegischen Schriftsteller Jon Fosse formuliert: Wir lauschen uns voran.“ Was für schöne Worte Theologen in ihren Ansprachen finden können.

Zuhören könnte tatsächlich einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten.

Den Bauern zuhören:

Den Unternehmern zuhören:

Den Nichtgeimpften zuhören:

Den Teilnehmern des privaten Treffens in Potsdam zuhören:

Der AfD zuhören:

Leider erlebe ich die Evangelische Kirche in vielen Themenbereichen nicht als ein „Hörgschöpf“, sondern als ein „Hörverweigerungsgeschöpf“. Wenn der Kirche das Hören „eingeimpft“ sei, wie Latzel selbstüberzeugt betont, dann wirkt die göttliche Hör-Impfung bei der evangelischen Kirche wohl ähnlich begrenzt wie die Corona-Impfung.

Spricht Präses Latzel über „Armut“, dann steht für ihn fest: „Deutschland ist in der Euro-Zone eines der Länder mit der größeren Ungleichverteilung an Vermögen (…) Wir brauchen ein Umsteuern und Umverteilen in der Gesellschaft.“ Armutsbekämpfung durch noch mehr Umverteilung, obwohl wir schon eine Staatsquote von über 50 Prozent haben. Wenn Kirche die Lösung so genau weiß, dann rücken die Sorgen der Unternehmer und Selbständigen in den Hintergrund. Dann braucht sie auch nicht mehr den Kritikern zuzuhören, die darauf hinweisen, dass die Klimaideologie zwangsläufig ärmer macht, weil man kostengünstige Energieformen durch teurere ersetzt.

Bei der AfD setzt es kirchlicherseits mit dem Zuhören völlig aus. Auf dem Kirchentag dürfen AfD-Mitglieder und „Christen in der AfD“ nicht auftreten. Damit propagiert Kirche, dass es geradezu christliche Mission sei, AfD-Leuten die Ohren zu verweigern. Thorsten Latzel ist sich sicher: „Die Grundhaltung dieser Partei widerspricht zutiefst dem christlichen Glauben. Sie schürt in Krisen Ängste und Hass und spaltet so die Gesellschaft (…) Sie will kleine Leute schwächen und Reiche reicher machen. Sie steht für die Aufhebung demokratischer Freiheitsrechte und des Rechtsstaats. Die AfD ist keine Alternative, sie wäre der Abstieg für Deutschland.“

Diese Verdammungen werden immer wieder in der evangelischen Kirche in Pseudodialogen innerhalb der eigenen Blase heruntergebetet. Wenn Kirche ihre Verurteilungen konkret begründen und sich der offenen Diskussion mit ihren Gegnern stellen würde, wären wir einen Schritt weiter. Aber dann müsste die Kirche dem Parteiprogramm der AfD zuhören, um Butter bei die Fische zu geben, welche Passagen „zutiefst“ dem christlichen Glauben widersprechen. Dem weicht Kirche aus und fährt stattdessen gegenüber der AfD eine radikale Hermeneutik der Verteufelung.

Demokratie lebt vom Hören. Andersdenkende müssen in einer Demokratie nicht nur ausgehalten werden; ihnen muss sogar zugehört werden, auch wenn es schwerfällt. Damit man ihnen argumentativ begegnen kann, damit man sie verstehen kann, damit man sie gewinnen kann, damit man von ihnen lernen kann. Der evangelische Professor Helmut Gollwitzer hat sogar die RAF-Terroristen Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin im Gefängnis besucht und ihnen zugehört.

Wenn Präses Thorsten Latzel seine Kirche als „Hörgeschöpf“ bezeichnet, aber die Kirche in den notwendigen demokratischen Zuhörprozessen versagt, dann erinnert mich das an meinen Vater. Als Laienprediger konnte er mit einem Augenzwinkern sagen: „Ich predige in der Kirche am lautesten von dem, was mir selber am meisten fehlt.“

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