Tichys Einblick
Vorwort zum Sonntag

Die schleichende Zerbröselung der Meinungsfreiheit und die adventliche Sehnsucht nach Gerechtigkeit

Noch vor einigen Jahren war Pfarrer Zorn die Zuverlässigkeit unseres Rechtsstaates im Großen und Ganzen so selbstverständlich, dass er sich über die messianisch-adventlichen Gerechtigkeitsverheißungen keinen Kopf gemacht hat. Das ist heute leider anders.

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern (…) Eine Zensur findet nicht statt.“ Das Grundgesetz Artikel 5.1 eröffnet der Meinungsfreiheit einen großherzigen und weiten Raum. Allerdings wird in der Gegenwart dieser Raum immer enger eingezäunt und zudem noch durch unzählige Hürden fragmentiert, indem der einschränkende Absatz 5.2 immer größeres Gewicht bekommt: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze“. Allgemeine, eigentlich untergeordnete Gesetze werden instrumentalisiert, um das Grundrecht auf Meinungsfreiheit auszuhebeln.

Die Einengung der Meinungsfreiheit verläuft in Deutschland wie bei dem Frosch, dessen Wassertemperatur im Topf so schleichend erhöht wird, dass es der Frosch gar nicht recht bemerkt, bis er scheinbar plötzlich den Hitzetod erleidet.

Damit werden bürgerliche Existenzen zerstört. Selbst eine Aussetzung des Verfahrens oder ein Freispruch ändern daran nicht viel. „Bestrafung allein schon durch das Verfahren“ wird diese Form der Einschüchterung und Zersetzung genannt.

Je stärker die rechtliche Zerbröselung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit um sich greift, desto stärker kommt mir ins Bewusstsein, dass die Adventszeit eine Zeit der Sehnsucht nach Gerechtigkeit ist. Juden und Christen warten auf die Erfüllung von Gottes Zusage:

„Siehe, das ist mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat.
Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er wird das RECHT zu den Nationen hinausbringen (…)
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue bringt er das RECHT hinaus.
Er wird nicht verzagen noch zusammenbrechen, bis er das RECHT auf Erden aufgerichtet hat“ (Jesaja 42,1-4).

Der Messias wird hier ausdrücklich dreimal als Diener des Rechts vor Augen gemalt. In der Nachfolge des Messias will ich treu und verbindlich meine Stimme für den Rechtsstaat erheben. „Lassen sie uns allem widerstehen, was den Raum der Freiheit einengt, den Rechtsstaat aushöhlt und Menschen davon abhält, von ihren Freiheitsrechten Gebrauch zu machen“ (Gustav Heinemann).

„Macht Hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit
(…)
Er ist GERECHT, ein Helfer wert. Sanftmütigkeit ist sein Gefährt
(…)
O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat.“

(Georg Weissel 1642)

Anzeige
Die mobile Version verlassen