Tichys Einblick
Vorwort zum Sonntag

Ein regierungsabhängiger Ethikrat ist ein unethischer

Sicherlich, Ethik kann Parteipolitik beeinflussen; trotzdem muss Ethik parteipolitischen Interessen strukturell immer kritisch gegenüberstehen. Eine Ethik, die sich mit Parteipolitik verbündet, diskreditiert sich selbst.

IMAGO/Jürgen Heinrich

Ethik und Parteipolitik haben völlig unterschiedliche Ausrichtungen:

Parteipolitik kreist um Macht.
Ethik geht es um die argumentative Suche nach dem guten menschlichen Handeln.

Parteipolitik zielt auf die Enge der Entscheidung, die rechtfertigt und exekutiert werden muss.
Ethik führt in die Weite unterschiedlichster Wahrnehmungen, Wertesysteme, Analysen und Handlungsoptionen.

Parteipolitik fördert eine parteiisches Denken: „Wir sind besser, die anderen sind schlechter“.
Ethik jucken parteipolitische Grenzen und Abwertungen nicht.

Parteipolitik hat eine Tendenz zur geistigen Schlichtheit: „Die Partei hat immer recht“.
Ethik führt in Komplexität, Differenzierung und Pluralismus hinein.

Parteipolitik nutzt Hierarchien.
Ethik denkt über Hierarchien hinaus.

Parteipolitik hat etwas Autoritäres und Angepasstes.
Ethik hat etwas Rebellisches.

Parteipolitik organisiert innerparteiliche und gesellschaftliche Mehrheiten.
In der Ethik geht es um gute Argumentation, die ein einzelner gegen alle Mehrheiten haben kann.

Parteipolitik muss sich beim Wähler gut verkaufen lassen.
Ethik unterwirft sich nicht dem Gesetz von Angebot und Nachfrage.

Sicherlich, Ethik kann Parteipolitik beeinflussen; trotzdem muss Ethik parteipolitischen Interessen strukturell immer kritisch gegenüberstehen. Eine Ethik, die sich mit Parteipolitik verbündet, diskreditiert sich selbst. Eine Regierung dagegen, die sich einen ethischen Heiligenschein zulegt, bleibt bei ihrem Metier; sie bleibt bei der Macht. Damit steht von vornherein fest, wer der Gewinner und der Verlierer bei der Hochzeit von Politik und Ethik ist. Es ist wie bei der Hochzeit von Feuer und Papier. Das kann für das Papier kaum vorteilhaft ausgehen.

Das bestätigt der Blick auf die noch gar nicht so alte Geschichte des Deutschen Ethikrates: 2001 hat die damalige rot-grüne Bundesregierung seinen Vorläufer, den „Nationalen Ethikrat“ ins Leben gerufen. Der Nationale Ethikrat war ein Kanzlerverein. Gerhard Schröder war autorisiert, die 25 Mitglieder zu berufen. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen, dass Schröder nicht 25 Leute ausgesucht hat, die der FDP nahestanden. Das ist die zentrale Frage: Wer hat die Macht, den Ethikrat mit seinen Leuten zu besetzen? Sage mir, welche Leute berufen werden und ich sage dir, was unten rauskommt.

2007 machte das „Ethikratgesetz“ aus dem „Nationalen Ethikrat“ den „Deutschen Ethikrat“. Jetzt schlägt die Bundesregierung 50% der Ethikratsmitglieder vor und die anderen 50% werden vom Bundestag vorgeschlagen, wo allerdings die Regierungsparteien auch die Mehrheit haben. Aus dem „Nationalen Ethikrat“ als Kanzlerverein ist der „Deutsche Ethikrat“ als ethischer Begleitservice der Bundesregierung geworden.

Das Gesicht des regierungsabhängigen Ethikrats ist allem voran die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx. Sie verkörpert das Ende der Ethik mit beeindruckender Klarheit und Einfalt. Anbei einige berüchtigte Kostproben ihres Moralismus aus der Coronazeit: „Moralische Impfpflicht gilt eh für jeden“; eine Impfpflicht für alle Schüler sei „grundsätzlich denkbar“; „jede Dosis muss in einen Arm“ (Deutschland hat 2021 aus den EU-Verträgen 554.000.000 Impdosen bestellt, das macht 9 Dosen pro Impfwilligen ab dem Alter von 5 Jahren). Die Maßnahmen gegen die Ungeimpften müssen „schrittweise hocheskaliert“ werden. Natürlich meinte Buyx auch, dem Fußballer Joshua Kimmich ferndiagnostisch medizinische Ratschläge geben zu müssen, obwohl Kimmich zu den ärztlich am besten begleiteten Menschen auf diesem Planeten gehört.

Die Ethikrats-Vorsitzende war Mitglied im „Corona-ExpertInnenrat“, einem ähnlichen pseudoneutralen Polit-Konstrukt wie der Ethikrat. Der Corona-Expertenrat ist noch bis weit in die Omikronzeit für harte Maßnahmen eingetreten.

Buyx repräsentiert die freundlich-lächelnde Fassade eines erzieherisch-herblassenden Gesellschaftsverständnisses. Sie gehört zu der Elite, die um den richtigen Weg weiß und die fest davon überzeugt ist, diesen Weg anderen selbstbewusst-arrogant anfdrücken zu dürfen, ja aufdrücken zu müssen; selbstverständlich nur im Namen des Guten und mit gutem Gewissen.

Anfang Juli 2023 hat Alena Buyx in einem großen staatlichen Festakt den Bayerischen Verdienstorden erhalten. Markus Söder händigte den Orden aus „als Zeichen ehrender und dankbarer Anerkennung für hervorragende Verdienste um den Freistaat Bayern und das bayerische Volk“. Regierungsvertreter wie Katrin Göring-Eckardt sind begeistert und twittern: „Und natürlich ist jeder Orden bei dir genau richtig angeheftet.“ Söder steigert die Ordenswürdigkeit von Buyx noch: „Sie haben ihn mehr als verdient… Willkommen im exklusivsten Club Bayerns.“ Die „orden-tliche“ Verschmelzung von Macht und Ethik auf Kosten der Ethik. Die Parteien haben sich nicht nur den Staat, sondern auch die Ethik zur Beute gemacht.

Einfache Bürger durchschauen dieses unethische Macht-Spiel und kritisieren Alena Buyx dafür scharf auf Twitter. Doch in teflonbeschichteter Selbstsicherheit lässt sie sachlich fundierte Kritik an sich abperlen mithilfe einer üblichen Diskussionsverweigerungs-Keule: „An die 1500 üble, teils menschenverachtende Kommentare, weil ich den Bayrischen Verdienstorden bekommen habe. Da rollt wieder eine Welle / Kampagne. Ätzend…. Es gibt @hateaid (Hilfe gegen Hass) und viele andere gute Initiativen on- und offline. Wer mag und betroffen ist, gerne melden, um Erfahrungen auszutauschen.“

Statt ihre eigene Rolle einmal zu hinterfragen, stilisiert sich Buyx als Opfer. Steht sie nicht qua Amt auf der Sonnenseite der deutschen Ethik? Ist jede Kritik an der Ethikratsvorsitzenden nicht per se unethisch und darum als Hassrede zu bekämpfen?

Politische Ethik ist viel zu wichtig, um sie Alena Buyx und anderen Möchtegern-Oberlehrern der Nation zu überlassen, die in der Sonne der Macht der aktuen Gefahr eines Sonnenstichs oder gar eines Hitzetodes ausgesetzt sind. Politische Ethik gehört in die Hand der Bürger; in die Esszimmer der Familien, an die Stammtische, in die Kommentare bei Medien, in die Drunter-Kommentare bei Alena Buyx, in die öffentlichen Diskusssionen auf allen Kanälen, Straßen und Plätzen.

Wir Bürger müssen uns die Ethik zurückholen. Es wird immer offensichtlicher, warum unser geniales Grundgesetz keinen deutschen Regierungs-Ethikrat vorgesehen hat.

Anzeige
Die mobile Version verlassen