Tichys Einblick
Wegen Wählernötigung (StGB § 108)

Pfarrer Michaelis zeigt seine eigene Kirchenleitung an

Ein kleiner Pfarrer aus dem „kleinen gallischen Dorf“ Quedlinburg wagt den Aufstand gegen seine Kirchenleitung. In einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Erfurt wirft er seiner Kirchenleitung versuchte Nötigung (StGB § 240), politische Verdächtigung (StGB § 241) und Wählernötigung (StGB § 108) vor.

Pfarrer Martin Michaelis aus Quedlinburg ist ein Mensch, der notwendigen Konflikten nicht aus dem Weg geht. „Gelobt sei Jesus Christus“, jubelt ein Bekannter, als er davon erfährt, dass Michaelis diese Woche Anzeige gegen zwei kirchenleitende Funktionäre erhoben hat.

Bereits als Jugendlicher in der DDR hat der Pfarrerssohn Michaelis seinen Glauben gegen Widerstände bekannt. Er durfte aus sozialistischen Staatsgründen kein Abitur machen, obwohl er herausragende Kenntnisse in Mathematik und Physik hatte. Doch der Schulleiter übersah, dass man Theologie in der DDR auch mit einer Sonderreifeprüfung studieren konnte.

Bei Corona hat Michaelis als Demonstrations-Redner scharf die Coronapolitik verurteilt. Seine Kirche, für die Impfen Nächstenliebe ist, hatte nicht die geistige Größe, diese Vielfalt in einer umstrittenen nichttheologischen Frage zu tolerieren. Michaelis verlor seine besondere Pfarrstelle; er war bis dato hauptamtlicher Pfarrvertreter in Mitteldeutschland. Stattdessen bekam er Arbeitsaufträge als Gemeindepastor im Kirchenkreis Egeln im Harz.

Damit war bereits nach wenigen Monaten Schluss. Die Kirche meinte, die Gemeinden vor ihrem Pastor schützen zu müssen, weil Michaelis etwas gemacht hat, was in der Kirche wesentlich verpönter ist, als die Existenz Gottes zu leugnen: Michaelis hat bei der diesjährigen Kommunalwahl als parteiloser Kandidat für die AfD in Quedlinburg kandidiert.

Ein Pfarrer in den Reihen der Schwefelbuben – das hat die engelsgleiche Kirche zur Weißglut gebracht. Mit sofortiger Wirkung wurde Michaelis von seinem Egelner Superintendenten aller Aufgaben enthoben. Lieber kein Gottesdienst und keine Seelsorge als von einem Pfarrer, der politisch vermeintlich falsch tickt. Die „evangelische“ Kirche setzt klare Prioritäten. Auch von höchster Ebene seiner Landeskirche wurde Druck auf Michaelis ausgeübt, die Kandidatur fallen zu lassen. Michaelis hat alle diese Drohungen und Nötigunsversuche fein säuberlich gesammelt und seiner Anzeige beigelegt.

Michaelis bekam bei der Kommunalwahl die drittmeisten Stimmen aller Bewerber (nach einem CDUler und einem anderen AfD-Kandidaten). Bei der konstituierenden Sitzung des Stadtrats wurde er mit 23 von 35 Stimmen fraktionsübergreifend zum stellvertretenden Vorsitzenden des Stadtrats gewählt.

Die Kirche in Mitteldeutschland hat ein kirchliches Disziplinarverfahren gegen Michaelis eingeleitet. Seitdem darf er nicht taufen, das Abendmahl austeilen oder öffentlich predigen. Der Personaldezernent Michael Lehmann aus Erfurt betont, dass Pfarrer sich nun mal nicht in Parteien engagieren dürfen, „die verfassungsrechtlich fragwürdige Positionen einnehmen“. Leider hat Lehmann diese nebulöse Aussage nicht konkretisiert, indem er die zahlreichen gerichtlich festgestellten Verfassungsbrüche aufgelistet hat, die von den Regierungsparteien in den letzten 10 Jahren begangen wurden und die zum Teil mithilfe der AfD zur Anklage kamen.

Michaelis betont: „Ich habe mich bisher niemals in extremistischer oder unchristlicher Form geäußert; ich übe ganz legal und ordnungsgemäß im Einklang mit allen staatlichen und kirchlichen Gesetzen mein demokratisches passives Wahlrecht aus. Mit welchem Recht verbietet mir das meine Kirche? Offensichtlich steht hinter dem Vorgehen der Akteure der Kirchenleitung ausschließlich eine politische Ideologie und keinerlei rechtlich haltbare Grundlage.“

Die Kirche meint, mit ein paar rotgrünen Anti-AfD-Phrasen massiv in das demokratieförderliche Engagement eines Pfarrers eingreifen zu können, ohne dafür eine hinreichende theologische und juristische Begründung geben zu müssen. Michaelis, der bis 2022 hauptberuflich andere Pfarrer in kirchenrechtlichen Streitigkeiten begleitet hat, kann sich damit unmöglich zufriedengeben: „Als Pfarrer habe ich eine Loyalitätspflicht gegenüber meiner Kirche, aber nicht gegenüber Personen in der Kirchenleitung, die die Grundsätze meiner Kirche und des staatlichen Rechts mit Füßen treten.“ So heißt es in der grundlegenden Bekenntnisschrift Confessio Augustana: „Die Bischöfe haben keinerlei Macht, etwas zu bestimmen, was dem Evangelium zuwiderläuft“ (CA 28).

Darum geht Michaelis jetzt in die Offensive. Über eine Rechtsanwaltskanzlei erstattet er Anzeige gegen seinen ehemaligen Superintendenten und gegen den Personaldezernenten der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Die Kirche habe mit ihren zahlreichen Drohungen und beruflichen Strafen massiv in sein passives Wahlrecht eingegriffen, sich als Kandidat einer demokratischen Wahl aufstellen zu lassen. In StGB § 108 heißt es: „Wer rechtswidrig mit Gewalt (…) durch Missbrauch eines beruflichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses (…) einen anderen nötigt oder hindert, zu wählen oder sein Wahlrecht in einem bestimmten Sinne auszuüben, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren (…) bestraft.“

Es wäre ein Zeichen einer gesunden Judikative in Deutschland, wenn die Staatswanwaltschaft das gerichtlichte Verfahren einleiten würde. Dann könnte vor einem ordentlichen Gericht abgearbeitet werden, ob die Kirche so mit ihren Mitarbeitern umgehen darf. Da auch andere (ehrenamtliche) Mitarbeiter von katholischen Bistümern und evangelischen Landeskirchen allein wegen ihres demokratischen Engagements für die AfD gemobbt und entlassen wurden, kommt dieser Anzeige von Michaelis eine Bedeutung zu, die über seinen Fall weit hinausgeht.

Anzeige
Die mobile Version verlassen