Bei jeder Gemeinschaft stellt sich die Frage, was für diese Gruppe zentral wichtig ist und an welcher Stelle man Abweichler ausgrenzen muss, um seine eigene Identität nicht zu verlieren. Sage mir, wen du ausgrenzt, und ich sage dir, was dir zentral wichtig ist. Das gilt für einen Kaninchenzüchterverein ebenso wie für eine Religionsgemeinschaft.
Im Juni 2023 findet in Nürnberg der nächste evangelische Kirchentag statt. Schaut man auf dieses Mega-Event, dann scheint das auf den ersten Blick die Vollendung von Buntheit und Toleranz zu sein. Doch hinter dieser Fassade gelangen wir zur DNA des Kirchentags, wenn wir schauen, wer dort auftreten darf und wer nicht.
Robert Habeck darf auf dem Kirchentag auftreten. Habeck hat zwar den Glauben und die Kirche öffentlich als etwas für Dumme diffamiert, die sich in Philosophie nicht auskennen: „Um zu glauben im eigentlichen Sinn, habe ich wohl zu viele Philosophen gelesen. Ich bin auch nicht in der Kirche.“ Doch diese arrogante Diskriminierung des Glaubens nimmt man Robert Habeck auf dem Kirchentag nicht übel, auch wenn er damit weite Bereiche der christlichen und philosophischen Geistesgeschichte mit Füßen tritt. Habeck darf auf das Podium; aber nicht um dort mit ihm über seine populistische Trennung von Glauben und Vernunft zu diskutieren. Robert Habeck ist zum Thema Klima eingeladen: „Verantwortung und Schuld in der Klimafrage. Wer hat’s verbockt? Und was machen wir jetzt?“
Damit posaunt der Kirchentag zwischen den Zeilen unmissverständlich seine Kernbotschaft in unser Land: „Der Gottesglaube ist uns nicht wichtig, selbst wenn wir uns im Namen Gottes in Nürnberg versammeln und selbst wenn wir in jedem zweiten Satz den Gottesnamen gebrauchen sollten. Uns geht es im Zentrum nicht um die Gottesfrage oder um die Institution Kirche. Uns geht es um Ethik, um Klimaethik.“ Folgerichtig dürfen Christen, die die „Klimakatastrophen”-Ethik des Kirchentags grundsätzlich hinterfragen, dort keinen Stand aufstellen, geschweige denn auf’s Podium, selbst wenn sie sich als „Christen in der AfD“ öffentlich zum christlichen Glauben und zur evangelischen Kirche bekennen. Die ev. Kirche lässt den Staat von kirchlichen AfD-Mitgliedern zwar weiterhin die Kirchensteuern einziehen; aber der Dialog mit diesen eigenen Kirchenmitgliedern wird rigoros verweigert. Ebenso sind Stände nicht erwünscht von strengen Abtreibungsgegnern, „homophoben“ Christen oder messianischen Judenchristen, die für Juden das Heil in Jesus Christus sehen. Die ev. Kirche, die in der Coronazeit 2G-Apartheidsgottesdienste ausgerufen hat, scheint Gefallen am Ausgrenzen zu haben.
Die designierte Kirchentagspräsidentin und grüne ehemalige stellvertretende Ministerpräsidentin von Thürigen Anja Siegesmund stellt unmissverständlich klar: „Alles, was rassistisch ist, was ausgrenzt, was antisemitisch ist und Vielfalt untergräbt, was demokratische Entscheidungsprozesse anzweifelt – all das hat auf dem Kirchentag nichts verloren.“
Da drängen sich einige Fragen auf, die aber seltsamerweise auf dem Kirchentag nicht gestellt werden:
- Spielen das Grundgesetz und die evangelischen Bekenntnisschriften keine Rolle mehr, wenn es um das Abstecken des kirchlichen Spielfeldes geht?
- Was ist mit diesem unklaren Containerbegriff „rassistisch“ gemeint? Ist das deutsche Grundgesetz „rassistisch“, weil es keine grenzenlose Zuwanderung vorsieht?
- Ist die evangelische Kirche nicht selber antisemitisch, weil sie die grenzenlose Zuwanderung von muslimischen Menschen befürwortet, die oftmals stark antisemitische Einstellungen vertreten?
- Untergräbt der ev. Kirchentag nicht selber die Vielfalt, indem er bei zentralen ethischen Fragen die totale Einfalt und Gleichschaltung propagiert?
- Zweifelt der Evangelische Kirchentag nicht selber demokratische Entscheidungsprozesse an, indem er bei bestimmten politischen Themen den mühsamen demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen ausweicht und mit einem alternativlosen „prophetischen“ Habitus autoritäre Denkmodelle fördert?
- Wenn man alles ausgrenzt, was ausgrenzt, müsste der Kirchentag sich nicht selber verbieten, weil er bestimmte Gruppierungen ausgrenzt? Müsste der Kirchentag sich nicht selber vom Kirchentag ausschließen, weil er seinen eigenen Kriterien und Worthülsen nicht gerecht wird?
Solange der ev. Kirchentag diese grundlegenden Fragen nicht angeht, habe ich Bauchschmerzen mit dieser Veranstaltung. Er mag ein schönes Mega-Event sein, in dem bestimmte ausgewählte Frömmigkeitsstile und Ideologiegemeinschaften ihren mehr oder weniger evangelischen Glauben feiern und gesellschaftliche Probleme in ihrer Filterblase diskutieren. Doch mir kommt das ziemlich brüchig vor, wenn fundamentale Themen nicht debattiert werden dürfen.
Ich wünsche dem diesjährigen Kirchentag in Nürnberg, dass Menschen trotzdem Gemeinschaft in geistlichen Nischen finden, in denen der Gottesglaube als Trost, Korrektur und Freiheitsraum gestärkt wird und in denen ethische Engstirnigkeit und die ängstliche Abwehrhaltung gegenüber unbequemen Fragen überwunden werden. Zum Glück gibt es auf den Kirchentagen erfreulich gesundes Leben in einem kranken System.