Der theologische Ausschuss der Evangelischen Kirche im Rheinland fordert, man solle „öffentlich genauso für den hörbaren Muezzinruf eintreten wie für das Gelockengeläut der Kirchen“; und so hat es jetzt auch das Kirchenparlament im Impulspapier „Lobbyistin der GOTT-Offenheit“ verabschiedet.
Aus folgenden Gründen kann ich dieses Plädoyer nicht nachvollziehen:
Ich möchte in meinem Viertel nicht lautsprecherverstärkt und unüberhörbar mit Glaubensbekenntnissen beschallt werden. Weder von Zeugen Jehovas, noch von Scientology, noch von Buddhisten, noch von Atheisten, noch von Muslimen. Erst recht nicht zu unmöglichen Tages- und Nachtzeiten. Auch ein christliches Glaubensbekenntnis öffentlich lautsprecherverstärkt über meiner Stadt wäre mir ein Greuel. Wir alle dürfen Religiosität und Weltanschauung frisch und frei in unserem Land leben und ausüben. Aber bitte nicht zu Lasten anderer Menschen.
Von solcher grundgesetzlich verankerten gegenseitigen Sensibilität in religiösen Fragen ist in dem kirchlichen Plädoyer für den Muezzinruf nichts zu spüren.
Statt dessen macht die Kirche sich dafür stark, dass Muslime genau wie die Kirchen mit ihren Glocken jetzt alle Welt beschallen und „beglücken“ dürfen.
Nichts gegen Absolutheitsansprüche. Ich mag es, wenn Agnostiker, Atheisten, Buddhisten, Marxisten, Neoliberale, Christen und Muslime von ihrer Ansicht fundamental überzeugt sind und auch dementsprechend selbstbewusst und offensiv diskutieren.
Aber jeder Absolutheitsanspruch wird sofort zur Hölle, wenn er nicht mit grundsätzlicher Gewaltlosigkeit und größtmöglicher Anerkennung der individuellen Freiheiten der Andersdenkenden einhergeht.
Gerade Christen müssen sich dessen bewusst sein, da sie kirchengeschichtlich ihren eigenen Absolutheitsanspruch oft genug mit Gewalt verbunden haben und damit unsägliches Leid unter die Menschen gebracht haben. Die Kirchen sollten eigentlich aus dieser traurigen Geschichte gelernt haben und sich darum heute entschieden gegen jede religiöse Übergriffigkeit abgrenzen, statt sie zu unterstützen und zu fördern.
Im öffentlichen Muezzinruf wird ein Absolutheitsanspruch mit Unfreiwilligkeit gegen zumindest einige Menschen im Quartier vertreten. Das wird auch dadurch nicht besser, dass Mohammed die Glaubensausbreitung mit dem Schwert – anders als Jesus Christus – an einigen Stellen positiv bewertet und selber praktiziert hat.
Nicht durch machtvolles Getöse über unsere Köpfe hinweg kann der religiöse Friede in unserem Land gestärkt werden, sondern nur durch sensibles und differenzierendes Austarieren aller religiösen und weltanschaulichen Interessen auf Augenhöhe.
Die Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechtes sollte sich bei ihrem Privileg des Glockenläutens dieser Verantwortung vor dem Grundgesetz bewusst werden, statt ihr eigenes Privileg unsensibel und undifferenziert auf andere Religionen auszuweiten.