Tichys Einblick
Vorwort zum Sonntag

Im Narrengold-Rausch

„Narrengold“ ist die billigste Versuchung für die Politik, an Ansehen und Macht zu kommen. Doch eine Gesellschaft im Narrengold-Rausch endet im Gestank nach faulen Eiern.

picture alliance / CHROMORANGE | Hans-Joachim Schneider

„Narrengold“ ist ein eindrückliches Mineral. Es wird häufig mit Gold verwechselt, denn es hat wie dieses eine goldene Farbe und einen metallischen Glanz. Narrengold ist allerdings kein Gold, sondern lediglich eine chemische Verbindung aus Eisen und Schwefel (FeS).

Tropft man konzentrierte Salzsäure (HCI) auf das Narrengold, dann zersetzt sich das Narrengold. Dann stinkt es entsetzlich nach faulen Eiern, da in einer chemischen Raktion gasförmiger Schwefelwasserstoff (H2S) freigesetzt wird.

„Narrengold“ ist ein Gleichnis für unsere gegenwärtige Gesellschaft. Es gibt so viel Ideologie und Propaganda in goldener Farbe mit metallischem Glanz. Doch wehe, es kommt mit der konzentrierten Realität in Berührung. Dann stinkt es ganz gewaltig nach faulen Eiern:

In Wahlkampfzeiten mit seinen unzähligen Versprechungen und Bestechungsversuchen der Wähler kann man Politik als die professionelle Kunst bezeichnen, Narrengold als Gold zu verkaufen.

„Hauptsache, es glänzt und sieht gut aus“, diesem tiefen Bedürfnis der Wähler nach Illusion und heiler Welt kommen die Politiker gern entgegen. „Deutschland ist ein Sanierungsfall und wir brauchen Blut, Schweiß und Tränen, um wieder auf die Erfolgsspur zurückzukehren“ – damit lassen sich im Augenblick wohl kaum Wahlen gewinnen.

Wenn es in der Politik in ihrem Wesen nicht um Wahrheit, sondern um Macht geht (Max Weber), dann ist das Narrengold sicherlich die attraktivste Versuchung, seit es Politik gibt. Mit Narrengold lässt sich auf billige Weise Ansehen und Macht steigern. Wenn die politische Propaganda es nur oft genug wiederholt, dann halten weite Teile der Bevölkerung Narrengold für echtes Gold.

In der Illusion des Narrengoldes von Energiewende, Transformation, grenzenloser Willkommenskultur und evidenzloser Pandemiebekämpfung muss „freie Rede“ neu definiert werde. Die Rede und der Dialog dienen nicht mehr dem Finden von echtem Gold, sondern dem Hochjubeln des Narrengoldes.

Es wird zur Hauptaufgabe der Rhetorik, den Gestank wegzuwedeln, den das Narrengold bei der Berührung mit der Realität erzeugt. Je weniger das der Propaganda gelingt, desto schwieriger werden sich die Menschen in ihren Bereich des Privaten zurückziehen können, weil der Gestank nach faulen Eiern unter die Türspalte hindurch bis in die privaten Refugien hineinzieht. Der Gestank des sich auflösenden Narrengoldes hat die Kraft, selbst in Privatsphären einzudringen.

Allen Spielverderbern, die sich auf die Spielregeln des Narrengoldes nicht einlassen, darf kein Podium gegeben werden. Narrengold braucht Narren und närrische Regeln, um an der Macht zu bleiben. Unter der Herrschaft des Narrengoldes ist die Wahrheitssuche der größte Feind, denn die Wahrheitssuche wird das Narrengold entlarven und damit zuerst einmal Armut und Leere erzeugen.

Mit der Zerstörung der freien Rede sinkt im Land des Narrengoldes die Zuversicht. Zuversicht braucht die herzensechte freie Rede. „Schüttet euer Herz vor ihm aus, denn Gott ist eure Zuversicht“ (Psalm 62,9). Wo Menschen ihr Herz nicht ausschütten können, da vergeht die Zuversicht. Das ist im Glauben nicht anders als in der Politik oder in der Familie. Autoritäre Systeme des Narrengoldes wie die DDR bekamen diesen eigentümlich depressiven, graubraunen, bleiernen Charakter, weil die freie Rede in ihnen unterdrückt wurde. Zuversicht lebt vom offenen Wort, vom Zuhören, vom Meinungsaustausch, vom Suchen nach echtem Gold. Das offene Wort ist der gefährlichste Feind des Narrengoldes. Die freie Rede ist die Zwillingsschwester der Zuversicht. Die Freiheit, „es stinkt hier nach faulen Eiern“ sagen zu dürfen, ist der erste Schritt heraus aus der Sackgasse des Narrengoldes.

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