Tichys Einblick
Vorwort zum Sonntag

Die evangelische Kirche eskaliert die Gesellschaftsspaltung

Die Kirche steigert die politische Spaltung der Gesellschaft, indem sie selber Extrempositionen propagiert.

IMAGO / epd

Die EKD begeht einen schweren Kardinalfehler: Sie lässt sich willig in die politische Spaltung der Gesellschaft hineinziehen. Statt als „Körperschaft des Öffentlichen Rechts“ alle demokratischen Positionen zuzulassen und den menschlichen Diskurs zwischen ihnen zu fördern, nimmt die Kirche deziert auf der links-grünen Seite Stellung. Ja, noch mehr. Die Kirche steigert die politische Spaltung der Gesellschaft, indem sie selber Extrempositionen propagiert.

Dafür steht die „Predigt“ des ostfriesischen Pastors Quinton Ceasar auf dem Abschlussgottesdienst des ev. Kirchentags in Nürnberg (11.6.2023). Die ganze Rede ist voller theologischer und politischer Minenfelder. Ich zitiere aus einem der Minenfelder:

„Ich werde euch heute nicht anlügen.
Jetzt ist die Zeit zu sagen:
Wir sind alle die Letzte Generation.
Jetzt ist die Zeit zu sagen:
Black lives always matter.
Jetzt ist die Zeit zu sagen:
Gott ist queer.
Jetzt ist die Zeit zu sagen:
We leave no one to die.
Jetzt ist wieder die Zeit zu sagen:
Wir schicken ein Schiff und noch viel mehr.“

Was für Extrempositionen!

„Wir sind alle die Letzte Generation“ erklärt die ganze ev. Kirche zu Straftätern. Da ich persönlich die Letzte Generation ablehne, gehöre ich demnach nicht mehr zum „wir“ der Kirche; ich werde also von dem vermeintlichen inklusiven Regenbogen-Redner sprachlich exkommuniziert. Harter Tobak.

Das „Black lives always matter“ mit dem hinzugefügten „always“ zeigt, dass es dem Prediger nicht extremistisch genug sein kann. Was für eine krasse Abwertung des christlich-integrativen „All lives matter“, das unserer Gesellschaft weiterhelfen könnte.

„Gott ist queer“ steht für eine Theologie des Zeitgeistet, die schon die Deutschen Christen beherrscht haben: Der Zeitgeist erschafft Gott zu seinem Bilde. Wenn schon unsere Sprache, Zebrastreifen und die Reichstagsbeflaggung durchgegendert werden, dann musste zwangsläufig auch noch Gott an die Reihe kommen. Eine absolutistische Ideologie will immer alles.

Der Tod passt auch nicht zum „Happyland“ des Redners: „We leave no one to die.“ Nach Null-Covid und Null-CO2 sollen unsere schrumpfenden Kirchen in Deutschland das elende Sterben in Asien und Afirka beseitigen. Pseudosakraler kirchlicher Überforderungs-Fundamentalismus in Höchstform.

Der Wunsch, viele weitere kirchliche „Schiffe“ ins Mittelmeer zu schicken, zeugt davon, dass Kirchenleute Freude daran haben, Öl ins Feuer zu gießen und die Wohnungskrise, die Bildungskrise und die aufziehende Krise des Sozialstaates weiter zu verschärfen. Der Kirchentag in Nürnberg hat bewiesen, dass die ev. Kirche voll auf Konfrontationskurs fährt und die Gesellschaftsspaltung bewusst eskaliert.

Einige Christen feiern das als große prophetische Predigt. Ich verstehe: Je kompromissloser, radikaler und fundamentalistischer, desto „prophetischer“. Quinton Ceasar duldet keinen Widerspruch, denn er betont mehrfach in seiner Rede „ich lüge nicht“. Wie aber kann Demokratie funktionieren, wenn sich immer mehr Menschen theokratisch zu „Propheten“ aufschwingen oder von anderen zu solchen ernannt werden?

Einige Kirchenmitglieder, die ihren christlichen Glauben lieben und die eine friedliche Gesellschaft wertschätzen, kommen bei solchen Aussagen in Gewissensnöte, ob sie noch weiterhin Mitglied dieser Körperschaft des öffentlichen Extremismusses sein können.

Wo ist die Kirche, die in unserer Gesellschaft deeskaliert?

Deeskalation könnte auf dreierlei Art gelingen:

Erstens: Die Kirche muss alle Gruppierungen innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes akzeptieren und tolerieren. Wer innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes ist, das sollte bei einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ nicht irgendein kirchliches Gremium entscheiden, sondern allein das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Zweitens: „Einmal den Gedanken zulassen, der oder die andere könnte doch recht haben“, so fordert es der Kirchentagspräsident Thomas de Maiziere am Ende des Kirchentags. Ein kluger Deeskalationsratschlag. Leider hat sich der Kirchentag selber nicht daran gehalten, indem er verschiedene unliebsame Gruppierungen ausgeladen und ausgegrenzt hat. Was sagte Jesus zu den Pharisäeren: „Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln, denn sie sagen es zwar, tun es aber nicht“ (Matthäus 23,3).

Drittens: Die Kirche kann Brücken zwischen den Christen in allen politischen Lagern anbieten durch ein spaltungsüberwindendes gemeinsames Drittes im Glauben. Beim Abendmahl, zu dem Gott die Menschen einlädt und nicht die Kirche, könnte der Pastor Quinton Ceasar gemeinsam mit den „Christen in der AfD“ vor Gott knien. Das könnte für beide den Horizont erweitern. Das Abendmahl könnte ein christlicher Brückenkopf für eine Deeskalation der gesellschaftlichen Spaltungen sein.

Es ist ein törichter Kardinalfehler der evangelischen Kirche, dass sie ihr Deeskalations-Potential sträflich vernachlässigt und statt dessen woke Scharfmacher ins Schaufenster stellt.

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