Tichys Einblick
Wer 130 fährt, ist gottlos?

Wie die EKD Gesellschaft, Kirche und Evangelium mit Tempolimit ins Aus fährt

Die Synode nahm mit dem Tempolimit eine der Forderungen der „Letzten Generation“ auf: „Die EKD-Synode beschließt, politische Bemühungen um ein Tempolimit auf deutschen Straßen zu unterstützen. Das Tempolimit soll 120 km/h nicht überschreiten.“

IMAGO/Mangold

Mindestens einmal im Jahr tagt die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als höchstes evangelisches Kirchenparlament; diese Woche tagte das Gremium vier Tage in Magdeburg.

Es stand viel Politisches auf der Agenda: die Unterstützung der Frauenrevolution im Iran durch ein gemeinsames Solidaritätsphoto, der Ukraine-Krieg und nicht zuletzt als ein Schwerpunktthema die „Solidarisierung der Evangelischen Kirche mit der Letzten Generation“. Die evangelische Kirche hat auch in diesem Jahr bewiesen, dass sie politisch gut durchtrainiert ist, um den Themen der Tageszeitung eindrucksvoll hinterherzuhecheln.

Die „Letzte Generation“ ist eine Gruppe von Klima-Apokalyptikern, die die Bevölkerung aufrütteln will. Dazu kleben sie sich mit Klebstoff auf Straßen und Autobahnen, um den Verkehr lahmzulegen; dazu schütten sie in Museen Tomatensauce oder Kartoffelsuppe auf alte wertvolle Gemälde. Gemäß ihrem Motto: „Wenn ihr uns unsere Zukunft nehmt, dann nehmen wir euch eure Vergangenheit.“

Ausgerechnet diese spezielle Gruppierung bekommt auf der EKD-Synode stehend Applaus. Zudem nimmt die Synode mit dem Tempolimit eine der Forderungen der „Letzten Generation“ auf: „Die EKD-Synode beschließt, politische Bemühungen um ein Tempolimit auf deutschen Straßen zu unterstützen. Das Tempolimit soll 120 km/h nicht überschreiten.“

Ich persönlich fahre seit 39 Jahren prinzipiell nicht schneller als 100 km/h mit dem Auto. Das ist für mich wunderbar entspannend und hat bisher wohl auch der Langlebigkeit unserer Autos gutgetan. Doch obwohl sich diese kirchliche Entscheidung zum Tempolimit vernünftig, harmlos und gutmenschlich anhört, so möchte ich exemplarisch zeigen, wie sehr die evangelische Kirche mit solchen Sakro-Politbeschlüssen großen Schaden anrichtet.

Erstens: Die Evangelische Kirche fährt mit 120 km/h die demokratische Gesellschaft vor die Wand

Wer 130 km/h fährt, ist mit diesem Beschluss gegen die Kirche und damit letztlich (vermeintlich) auch gegen Gott. Aus ganz normalen politischen und persönlichen Abwägungsfragen werden durch die Kirche plötzlich Fragen von Glauben oder Unglauben. Aus Kalkülfragen werden Gewissensfragen. Aus demokratischen Diskussionsprozessen werden theokratische Missionsprozesse.

Mit der theologischen Zauberformel „Bewahrung der Schöpfung“ kann jede noch so irre grüne Wahnvorstellung als Gottes Wille hochgejazzt werden. Ein „Gott-will-es“ in der Politik ist das Einfallstor für theokratische Denkmodelle. Die Theokratie weiß, was alternativlos von Gott her richtig ist, und braucht dieses nur noch umzusetzen. Diskussion und Demokratie ist nicht mehr nötig. Im Iran machen es die Mullahs bei dem Kopftuch mithilfe brutaler Gewalt durch die Sittenpolizei; in Deutschland macht es die evangelische Kirche beim Tempolimit mithilfe sanfter Gewalt durch die Klima-Missionare der „Letzten Generation“. Theokratische Denkmodelle in welcher Spielart auch immer vergiften eine offene demokratische Gesellschaft.

Natürlich ist die biblische „Bewahrung des Garten Eden“ (Genesis 2,15) eine christliche Grundhaltung und meine herzenstiefe Glaubenshaltung. Doch wie diese Bewahrung persönlich und politisch in der heutigen Zeit gesellschaftlich verträglich konkret umgesetzt werden kann, da gibt es keine simplen Antworten. Da brauchen wir einen offenen Diskussionsprozess, in den durchaus religiöse Impulse einfließen dürfen, bei dem aber letztlich die Vernunft maßgebend ist. Klerikal überhöhte Sakro-Politbeschlüsse sind da nur hinderlich. „Es genügt völlig, dass in der Politik die Vernunft herrscht“ (Martin Luther 1528, WA 27, 418,4).

Zweitens: Die Evangelische Kirche fährt mit 120 km/h die eigene Kirche vor die Wand

Wenn Kirche sich in politischen Fragen einseitig auf einer Seite festzurrt, dann muss sie dafür einen hohen Preis bezahlen: Sie entfremdet sich von all den Gläubigen, die theologisch und politisch anders ticken:

Mit ihrer Strategie, sich in immer mehr politischen Fragen einseitig auf eine bestimmte Seite zu schlagen, vergiftet sich die Kirche selber von innen heraus. Ich befürchte, der Vergiftungszustand der evangelischen Kirche ist mittlerweile schon recht hoch.

Statt über das gemeinsame Dritte des biblischen Glaubens und die Abendmahlsgemeinschaft Brücken zueinander zu schlagen, verschmelzen Kirchengremien den Glauben derart mit einer ganz bestimmten politischen Meinung, dass sie damit alle andersdenkenden Gläubigen mit dem Geruch des Unglaubens und der Ketzerei belegen. Dass diese Christen, die von ihrer eigenen Kirche als minderwertig belächelt oder gar diffamiert werden, ihre Kirche verlassen, ist wohl verständlich.

Drittens: Die Evangelische Kirche fährt mit 120 km/h das Evangelium vor die Wand

Der Beschluss zum Tempolimit ist in vielerlei Hinsicht fragwürdig:

Ich karikiere ein bisschen, aber Sie merken: Wer den Weg der Klima-Moralapostel geht und den Lebensstil der Menschen von oben aus regulieren möchte, der wird schneller als gewollt in den Sumpf einer mühseligen und kleinkarierten Kasuistik geraten. Und das ausgerechnet in einer Kirche, die durch Luther gegründet wurde, der in der Moralisierung des Glaubens das Grundübel erkannt hat.

Statt das Evangelium = die „frohe Botschaft“ zu verkündigen, statt Menschen zu trösten und zu stärken, statt den Menschen in der Seelsorge nahe zu sein, statt Menschen die Tür zum Himmel zu zeigen, muss sich die evangelische Moralkirche plötzlich mit dem riesigen Knäuel an Fragen beschäftigen, die rund um die CO2-Reduktion aufkommen. Es reicht doch, wenn um diese Fragen in der Politik gestritten wird; warum soll sich die gleiche politische Diskussion in der Kirche noch einmal wiederholen – meist auf niedrigem Niveau?

Die EKD-Synode hat es bestimmt gut gemeint mit ihrem Beschluss zum Tempolimit. Doch ich befürchte, sie merkt gar nicht, was für ein Gift polit-kirchliche Beschlüsse mit sich bringen. Da hilft nur ein göttliches Gegengift, eine göttlich-heilige Medizin: die herzliche Freude am Schöpfer und an der Schöpfung. Diese Freude kann die Kirche verkündigen und vorleben. Und diese Freude wird Kreise ziehen.

Dann kann Kirche zuversichtlich und glaubensgelassen ihre Gläubigen ermutigen, sich für den Umweltschutz zu engagieren, ob in Parteien, ob in der Industrie, ob in der Forschung, ob in Öko-Initiativen, ob im privaten Leben. Dabei werden sehr individuelle, unterschiedliche und biographisch verwurzelte Wege herauskommen, von denen sich dann einige auch in gesetzlichen Verordnungen verfestigen werden. Doch im offenen Diskurs und Miteinander werden bessere und kreativere Lösungen entstehen, als sich die Kirchenoberen in ihren gutmenschlichen Bemühungen um gleichgeschaltete spirituelle Lebensstilregulierung jemals vorstellen können.


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