Oktober 2020. In Paris wird der Lehrer Samuel Paty enthauptet; eine muslimische Spezialität für vermeintliche Gotteslästerungen. Der Lehrer hatte zum Thema „Meinungsfreiheit“ Mohammed-Karikaturen gezeigt und darüber gesprochen. Das war sein Todesurteil.
Viele Menschen sind entsetzt über diese abscheuliche Terrortat an einem Unschuldigen.
Einige muslimische Communities scheinen das allerdings anders zu sehen. Überall auf der Welt verbrennen sie französische Fahnen und skandieren dazu:
„Keine Toleranz für Respektlosigkeit gegenüber dem Propheten.“
Dieser Satz hat es in sich.
Denn wie schnell kann man aus innerislamischer Sicht in den Ruch geraten, respektlos gegenüber dem Propheten zu sein:
Respektlos – wenn jemand Mohammeds Worte nicht für bindend hält.
Respektlos – wenn jemand Mohammed nicht Sonderrechte zubilligt, etwa dass nur er mehr als vier Frauen haben durfte.
Respektlos – wenn jemand hinter dem Namen Mohammed nicht ein „gepriesen sei sein Name“ hinzufügt.
Respektlos – wenn jemand Mohammeds Verschmelzung von Religion und Politik als fundamentalen Fehler ansieht.
Respektlos – wenn jemand das Schlagen von Frauen schlimmer findet als das Essen von Schweinefleisch.
Respektlos – wenn jemand an Mohammed überhaupt nicht interessiert ist oder Allah in seinem Leben keine Rolle spielt.
Diese vermeintlichen Respektlosigkeiten können fatale Folgen haben, wenn sie auf das Gemisch einer chronischen Opfermentalität, einer hohen narzisstischen Kränkbarkeit und gewaltverherrlichenden Koranstellen treffen. Die muslimische Verehrung des Korans als unkritisierbares buchstäbliches Gotteswort ist an dieser Stelle Teil des Problems, weil sie der tiefe theologische Grund dafür ist, dass die Übergänge zwischen Islam und Islamismus fließend sind.
Schlechte Karten für Buddhisten, Christen, Atheisten, Nihilisten, Skeptizisten, Andersgläubige … Schlechte Karten für alle Nicht-Muslime, die per se eine gewisse Distanz zu Mohammed haben, die als Respektlosigkeit interpretiert werden kann.
Und jetzt kommt noch das „keine Toleranz“ ihnen gegenüber hinzu.
Auch das kann sehr folgenreich interpretiert werden.
„Kopf ab“ ist vielleicht die konsequenteste Form von „keine Toleranz“. So wie bei Samuel Paty, der nach dieser Logik kein Opfer war, sondern mit seiner Respektlosigkeit gegenüber dem Propheten der eigentliche Täter.
Eine andere Variante von „keine Toleranz“ wäre eine Extra-Steuer für Nichtmuslime in muslimischen Staaten oder deren Benachteiligung bei Rechtstreitigkeiten mit Muslimen. Beides sehr zermürbend und darum sehr effektiv.
Darüber hinaus gibt es unzählige andere Formen, Menschen zu diskriminieren, die respektlos gegenüber dem Propheten sind. Man schaue nur auf die Türkei, welche feinen Nadelstiche sie gegenüber Christen setzt: Vom Ausschluss aus bestimmten Berufen über die komplizierten Eigentumsrechte des Kirchenbesitzes bis hin zu besonderen Friedhofsecken. Denn das ist ja wohl logisch: Dass ein Mensch, der respektlos gegenüber Mohammed ist, nicht neben einem Muslim begraben werden darf, selbst wenn er 40 Jahre mit diesem verheiratet war.
„Keine Toleranz für Respektlosigkeit gegenüber dem Propheten“ – dieser Satz zerstört die fundamentalen Errungenschaften eines aufgeklärt-freiheitlich-pluralistischen Europas.
Sorry, ihr Integrations-Fundamentalisten, die ihr meint, man könne alles und jedes aus den verschiedensten Kulturen miteinander integrieren!
Sorry, ihr Integrations-Fundamentalisten, die ihr die Augen vor der Realität verschließt, dass es in der Begegnung der Kulturen tatsächlich Konflikte gibt, bei denen es nur ein Entweder-Oder geben kann.
ENTWEDER Toleranz für Kritik am Glauben, ja selbst für Spott und Hohn und Blasphemie.
ODER „keine Toleranz für Respektlosigkeit gegenüber dem Propheten“.
Beides zusammen geht nicht.
Natürlich können Abendland und Orient an vielen Stellen einander bereichern und befruchten. Aber an diesem Punkt lässt sich der Clash der Kulturen nicht schönreden oder übertünchen:
Auf der einen Seite steht eine kritikfreundliche Lebenseinstellung:
Karikaturen, Spott und Hohn gehören zum Spiel eines lebendigen friedlichen Wahrheitsstreites. Sie sind Salz und Pfeffer in der Suppe des Dialogs zwischen den Weltanschauungen.
Wer Kritik und Satire zulässt, der hat die Chance, daran zu wachsen und sich zu verbessern. Ist jemals eine Eiche eingegangen, weil ein Hund sein Beinchen an ihr gehoben hat?
Auf der anderen Seite steht eine Lebenseinstellung, die in einem verzweifelten Abwehrkampf jede Kritik als Respektlosigkeit unterdrückt. Dabei ist auch Gewalt legitim: Die Gewalt des „gottgewollten Volkszorns der Gläubigen“ oder die staatliche Gewalt, wenn es die Mehrheitsverhältnisse in einem Land erlauben.
Wer aber eine Religion des Friedens sein will, der muss bereit sein, selbst unberechtigten Spott und Hohn über sich ergehen zu lassen.
Jesus Christus ist erstaunlich locker mit Abwertungen umgegangen.
„Als das die Verwandten von Jesus hörten, sprachen sie: Er ist von Sinnen“ (Markus 3,21). Jesus reagiert darauf gar nicht.
„Und die Schriftgelehrten sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch den Teufel.“ Aber Jesus antwortet nur ganz cool: „Warum sollte der Satan den Satan austreiben?“ (Markus 3,22f)
Und Jesus bleibt defensiv, als der Hohenpriester seine Kleidung zerreißt und das Urteil über ihn spricht: „Was bedürfen wir weiterer Zeugen? Ihr habt die Gotteslästerung (= Blasphemie) gehört… Da fingen einige an, ihn anzuspeien“ (Markus 14,64f).
Was hat dem Christentum mehr Schaden zugefügt?
Wenn Jesus und seine ersten Jünger Kritik und Verleugnung geduldig ertragen haben?
Oder als die Christenheit in späteren Kirchenzeiten gewalttätig wurde, um jede Respektlosigkeit ihrem Glauben gegenüber blutig zu bekämpfen?
„Keine Toleranz für Respektlosigkeit gegenüber dem Glauben“ – das ist ein Satz einer schwachen Religion, die dem Glauben keine Lernfähigkeit zutraut und die darüber hinaus die Menschen zerstört. Denn zum Menschsein gehört die Freiheit – die Freiheit zum Spott, zum Irrtum, zum Unglauben, zum Querdenken; und die Freiheit zur zivilisierten und respektvollen Respektlosigkeit gegenüber Menschen und Ideologien, die man für schädlich hält.
Fazit: „Der Islam gehört zu Deutschland“ – empirisch gesehen stimmt dieser Satz; natürlich gibt es Islamgläubige in unserem Land.
„Der Islam gehört zu Deutschland“ – kulturell gesehen kann dieser Satz in des Teufels Küche führen, wenn damit fatale lebenszerstörende Glaubenssätze geadelt werden.