Im Augenblick ist es nicht einfach in Deutschland, liberal-konservativ zu sein. Seitdem die CDU bis auf die Werte-Union die Seiten gewechselt hat, dominiert der links-grüne Mainstream in großer Koalition und zieht auch die FDP in ihren Bann. Aus lebendigem demokratischen Streit ist eine Große-Koalition-Konsens-Gesellschaft geworden. Scholz könnte in der CDU sein, Laschet könnte in der SPD sein, Merkel könnte bei den Grünen sein. Würde nicht viel ändern.
Politik, Verwaltung, Medien, Kirchen, Kunst – bis auf kleinere Nuancen alle weitgehend auf einheitlicher Linie bei den fundamentalen Themen Euro, EU, Flüchtlinge, Klimaschutz, Energiewende, Familienpolitik, „Kampf gegen Rechts“, Verkehrspolitik, Corona… Und der Wählerwille will es bisher auch so haben.
Dagegen ist es nicht leicht, auch nur in Teilbereichen oppositionelle Einstellungen zu vertreten. Zumal die dominierende Mehrheit durchaus machtbewusst agiert.
Demokratie als umfassender freiheitlicher Diskurs mag in der Theorie richtig sein; aber beginnen sie mal einen freiheitlichen Diskurs unter ihren Arbeitskollegen etwa über die guten und schlechten Seiten von Boris Johnson. Wahrscheinlich können sie dann Demokratie in der Realität erleben. Die Mehrheit zeigt ihnen schnell mit mehr oder weniger sanfter Gewalt, welche Positionen im Diskurs erwünscht sind und welche nicht.
Jesus Christus sagte dazu in ähnlicher Situation, als er seine Jünger in einer Minderheitensituation wußte: „Ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe“ (Matthäus 10,16a).
Was für eine Sendung! Wie kann man das als Schaf überhaupt überleben und durchhalten?
Jesus fährt fort: „Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben“ (Matthäus 10,16b).
Schafe können sich das nicht leisten.
Sie brauchen die Schärfe des Verstandes.
Wenn sie ihre Meinung bilden und ausformen.
Wenn sie mit ihrer Außenseitermeinung in Diskussionen gehen.
Wenn sie gesellschaftliche Framings und Manipulationen aufdecken.
Wenn sie wohldosiert mit ihren Kräften umgehen, um sich nicht aufzureiben.
Wenn sie ihre Lieblingsgedanken hinterfragen, um in der Klugheit weiter zu wachsen.
Doch so wichtig der Kopf ist – Jesus zielt dann auf etwas noch Wichtigeres.
Jesus verweist auf ein ehrliches und friedliches Herz: „Seid klug wie die Schlangen, aber auch ohne Falsch wie die Tauben.“
Ein scharfer Verstand ohne Herz ist kalt und lässt das Leben in ständigem Winter erstarren, dem die Wärme des Frühling fehlt. Gibt es einen tragischeren Anblick als eine politische Richtung, die sich auf die Höhen eines disziplinierten, klaren Verstandes emporgeschwungen hat, zugleich aber in der friedlosen Tiefe der Hartherzigkeit versunken ist?!
Wie schnell kann man mit seiner eigenen politischen Klugheit in Rechtgläubigkeit verbittern?! Und dann verhärtet man gegenüber anderen Menschen oder zieht sich in sein selbstverliebes Schneckenhaus zurück.
Möge uns Gott davor bewahren und diese beiden Gegensätze in eine fruchtbare und bereichernde Spannung bringen: „Hart und klug in der Sache, aber weich und friedfertig den Menschen zugewandt, selbst wenn diese mir oft genug ihre Wolfszähne zeigen.“
Eine von möglichen Alternativen dazu wäre fatal, nämlich wenn jeder dem anderen zum Wolf würde.