Am vergangenen Mittwoch begann für einige Freunde des Fastens die 40-tägige christliche Fastenzeit. 47 Tage nach Aschermittwoch wird das Osterfest gefeiert. An den 7 Sonntagen wird selbstverständlich nicht gefastet; jeder Sonntag ist nach christlichem Verständnis ein Freudentag der Auferstehung Jesu Christi; Sonntag und Fasten passt so wenig zusammen wie Feuer und Wasser.
Evangelische Christen waren mit dem Fasten zurückhaltend. Huldrych Zwingli inszenierte in Zürich ein öffentliches Wurstessen in der Fastenzeit als reformatorischen Paukenschlag. Humorvoll gesagt: In der Schweiz begann die Reformation nicht mit 95 Thesen, sondern mit 95 Würstchen. In der Predigt „Über die freie Wahl der Speisen“ rechtfertigte er das demonstrative Fastenbrechen als Bekenntnis zur „Freiheit, zu der Christus uns erlöst hat“.
Der wohlgenährte Martin Luther hat selbst gefastet, aber er ging eher als großer Liebhaber des Essens und Trinkens in die Geschichtsbücher ein. Das beruht unter anderem auf der Bibelstelle Markus 2 Vers 10, wo betont wird, dass die Jünger Jesu nicht fasten, weil sie mit dem Kommen Jesu Christi lebensfroh gestimmt sind. Allerdings wissen die wahren Genießer, dass zur Steigerung der Lebensfreude und des Genusses sehr wohl der zeitweise Verzicht auf das Genussmittel gehören kann. Der kürzeste Weg, sich die Freude etwa an einer heißen Badewanne zu nehmen, ist der, jeden Tag heiß zu baden. Großer Wohlstand ohne Fasten endet schneller als gedacht im freudlosen Überdruss. Das „Genussfasten“ als Trick, die Dankbarkeit und die Achtsamkeit und die Genussfähigkeit zu steigern.
Über Jesus Christus lästerten die Menschen: „Was ist dieser Mensch für ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder“ (Matthäus 11,19). Der menschliche Gottesoffenbarer war kein Johannes der Täufer, der in der Wüste gelebt und sich von Heuschrecken ernährt hat; die Europäische Union mit ihrer neuen Erlaubnis, Insekten in Lebensmittel unterzumengen, knüpft also nicht an Jesus Christus an, sondern an den Wüsten-Asketen Johannes den Täufer.
Doch bevor Jesus im Alter von ca. 30 Jahren seine öffentliche Wirksamkeit startete, heißt es in der Bibel: „Da wurde Jesus vom Geist Gottes in die Wüste geführt… Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn“ (Matthäus 4,1). Das Fasten als spirituelle Stärkung am Anfang seines ca. 1,5-jährigen weltverändernden Dienstes. Dieser Spur folgen katholische Christen mit einer lebendigen und reichen Fastentradition. „Der Mensch lebt nicht vom Brot alleine, sondern durch ein jegliches Wort, das aus dem Munde Gottes kommt“ (Matthäus 4,4).
Das Essenfasten als geistliche Übung, die irdischen Dinge und Wünsche mal zurückzustellen, um sich neu auf Gott und sein Wort auszurichten. Gut, wenn man dabei angeleitet wird durch einen Fastenkalender oder noch besser durch eine spirituelle Gemeinschaft, in der man seine Fastenerfahrungen regelmäßig miteinander teilt. Das Fasten als bereichernde Gotteserfahrung, Selbsterfahrung und Gemeinschaftserfahrung. Fasten als Nahrung, die die „unerschöpfliche Kraft des Einfachen“ (Heidegger) schenkt.
Mittlerweile stärken auch evangelische Initiativen die christliche Fastentradition. In diesem Jahr lautet eine Aktion „7-Wochen-ohne-Verzagtheit“. Ein interessanter und spannender Versuch, die Idee des Fastens über die Nahrung hinaus für das Leben fruchtbar zu machen.
Und natürlich gibt es in Zeiten der allmächtigen Klimakatastrophe auch das sakro-politische „7-Wochen-Klimafasten“. 25 Kirchen und Bistümer bieten eine Anleitung für mehr Nachhaltigkeit als Booster für ein ganzjähriges Dauerklimafasten. Mir persönlich ist nicht bekannt, ob dabei in guter alter christlicher Tradition zumindest die Sonntage als Freudentage der Auferstehung Jesu aus dem Klimafasten herausgenommen werden; denn der Mensch scheint immer noch nicht vom Klimafasten alleine zu leben, sondern auch von den Emotionen, die aus dem Motorsound eines Porsches kommen.
Ob die unterschiedlichen christlichen Fastenaktionen gesellschaftlich wahrgenommen werden, wage ich zu bezweifeln. Das kann von Vorteil sein: „Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen, wie die Heuchler. Denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten… Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist“ (Matthäus 6,16-18). Jesus macht Werbung für ein Fasten, das sich nicht politisch instrumentalisiert und funktionalisiert, sondern das auf die persönliche Gottesbegegnung abzielt, die im Verborgenen geschieht.
Jesu Wunsch nach Verborgenheit beim Fasten steht im Gegensatz zum stärker werdenden muslimischen Ramadan-Fasten in der Bundesrepublik. Ramadan dient wie das christliche Fasten der psycho-sozialen-spirituellen Horizonterweiterung. Allerdings fordert Ramadan zwangsläufig mehr gesellschaftliche Rücksichtsnahme; denn ansonsten ist die harte und strikte Fasten-Vorschrift, tagsüber überhaupt nichts trinken zu dürfen, kaum durchzuhalten. Logisch, dass in muslimisch geprägen Ländern zu Ramadan das ganze öffentliche Leben herunterfährt. Auch beim Fasten gehören im Islam Religion und Politik untrennbar zusammen.
Die säkulare deutsche Bevölkerung kennt ebenfalls das Fasten. Am verbreitetsten ist die „Jojoeffekt-Fasten-Diät“ zur Dynamisierung der eigenen Gewichtigkeit. Daneben steigt die Zahl der oftmals missionarisch hochaktiven Veganer und Vegetarier, die das ganze Leben zum Dauerfasten verwandeln. Dagegen gehören viele zur „Fast“-Food-Fraktion mit dem Motto: „Der Mensch lebt nicht vom Brot alleine, sondern von einem jeglichen Doppelburger aus dem Schlunde der Fast-Food-Ketten.“
Dabei steckt ein altes jüdisches Sprichwort immer noch den Rahmen für ein gesundes Fasten ab: „Zu viel essen kann tödlich sein. Zu viel fasten kann ebenfalls tödlich sein.“