Eine überwältigende Mehrheit der Funktionäre in der evangelischen Kirche sieht es als einen wichtigen kirchlichen Auftrag an, sich in die Politik einzumischen. Und dieses Einmischen in die Politik soll nicht nur durch die einzelnen Christen passieren, die sich da politisch engagieren, wo sie sich berufen fühlen. Dieses Einmischen in die Politik soll darüber hinaus durch die Gremien und Institutionen die Kirche selbst passieren.
Kurz: Die Institution Kirche will in politischen Fragen nicht nur FORUM für Christen unterschiedlicher Coleur sein; sie will selber politischer FAKTOR sein. Dieses Faktorsein wird dann noch durch hochtrabende theologische Etiketten geschmückt, indem man vom „Wächteramt für die Gesellschaft“ oder vom „Prophetenamt“ der Kirche für die Öffentlichkeit spricht.
Wenn die EKD aber politischer Faktor sein will, dann darf sie kein pluralistischer gärender Haufen sein, sondern dann muss sie in politischen Fragen auf Eintracht getrimmt werden. Denn das ist klar: Zuviel innerkirchliche Diskussion oder sogar Streit würde das vermeintliche Prophetenamt und Wächteramt der Kirche entscheidend schwächen. Von daher ist es verständlich, wie stark in den letzten Jahren aus diesem theologischen Ansatz heraus der politischer Konformitätsdruck innnerhalb der ev. Kirche zugenommen hat. Die Konzeption der Kirche als klarer politischer Faktor wird um Gleichschaltung nicht herumkommen.
Damit stellt sich aber die Frage, wie eine solche politische Eintracht der evangelischen Kirche hergeleitet werden kann.
Ein päpstliches unfehlbares Lehramt, das die Eintracht autoritär herstellen könnte, hat die evangelische Kirche nicht.
Zwar kann die Polit-EKD „Bibel-Rosinen-Pickerei“ betreiben. Sie kann ihre einseitigen Lieblingsstellen immer wieder herausheben und werbewirksam als wahrhaft biblisch publizieren. In einer Gesellschaft, in der das Bibelwissen nahezu verdunstet ist, fällt so eine Rosinen-Pickerei vielleicht nicht einmal auf. Doch alle Menschen, die noch ein wenig die Bibel kennen, werden diesen ideologischen Missbrauch der Bibel schnell durchschauen, zumal die EKD-Lieblings-Bibel-Stellen oft nur mit viel Blauäugigkeit auf gegenwärtige Kontexte übertragen werden können.
Wenn aber auch die Bibel als Grundlage der Eintracht in politischen Fragen ausfällt,
dann bleibt der Polit-EKD nur noch folgender Weg zur Eintracht, den der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm in einer Diskussion über „Öffentliche Theologie und Kirche“ so beschreibt:
„Für mich ist die Verbindlichkeit öffentlicher Äußerungen – und das kann auch ein prophetisches Element beinhalten – direkt proportional zu einem kommunikativem Prozess… Verbindlichkeit entsteht durch kommunikative Prozesse. Synoden sind ein Beispiel dafür… Da sitzen Menschen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, auch unterschiedlichen politischen Herkünften, die diskutieren leidenschaftlich auf der Basis des gemeinsamen christlichen Glaubens… und erstaunlicherweise schaffen die es, zu gemeinsamen…. Äußerungen zu kommen… Und wenn jetzt eine Synodenpräsidentin etwa mit diesem kommunikativem Prozess im Rücken etwas sagt, dann hat es schon eine andere kommunikative Verbindlichkeitskonsequenz, als wenn es jetzt etwa eine Privatperson sagt.“
Die erstaunlich homogenen Synodenbeschlüsse sollen es also sein, die den Rücken von Heinrich Bedford-Strohm so stärken, dass er mit erhöhter prophetischer Autorität in politischen Fragen auftreten kann.
Statt desssen ist es der Kaiser Karl V., der auf dem Wormser Reichstag 1521 wie Bedford-Strohm heute die höhere Verbindlichkeit von kommunikativen Prozessen proklamiert: „Denn es ist sicher, dass ein einzelner Mönch in seiner Meinung irrt, wenn diese Meinung gegen die der ganzen Christenheit steht, wie sie seit mehr als 1000 Jahren gelehrt wird.“
Provokativ zugespitzt: Auf Bedford-Strohms homogenen Synodenbeschlüssen steht zwar evangelisch-lutherisch drauf, aber drin ist der Wahrheitsanspuch des mittelalterlichen Karl V.. Eine klassische Mogelpackung.
Wenn aber weder Bibel, noch Lehramt noch Synoden-Konzilien die evangelische Kirche in politischen Fragen zur Eintracht bringen, dann sollte sich die evangelische Kirche davon verabschieden, politischer Faktor sein zu wollen. Natürlich dürfen und sollen alle Christen in der Demokratie sich politisch einbringen, wie sie es jeweils aus ihrem Glauben heraus verstehen. Die Kirche Jesu Christi hat als weitherziges Forum in politischen Fragen Platz für die unterschiedlichsten politischen Positionen.
Die Polit-EKD dagegen überhebt sich gnadenlos, wenn sie da Eintracht herbeiführen will, wo vom christlichen Glauben her viele Wege möglich sind. Die evangelische Kirche zerstört sich selber, wenn sie sich anmaßt, mit konformistisch-politischen Synodenbeschlüssen ein politisch prophetischer Faktor sein zu wollen.
Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms vor genau 500 Jahren ist immer noch brandaktuell; nur steht Martin Luther heute gegen die Polit-EKD.