In die Geschichtsbücher eingegangen ist die Demuts-Inszenierung am „Tag von Potsdam“, 21. März 1933. Der Reichskanzler Adolf Hitler beugte sich ehrfürchtig und bescheiden vor dem damaligen Reichspräsidenten und dem ehemaligen kaiserlichen Generalfeldmarschall Paul Hindenburg. Der Reichspropagandaminister Josef Goebbels hatte diese Szene clever und bis ins Einzelne hinein ausgearbeitet. Das Foto ging um die Welt: der demütige Brückenschlag des neuen nationalsozialistischen Deutschlands zum alten Kaiserdeutschland. Mit dieser „nationalen Erhebung“ wurde der Boden bereitet für das Ermächtigungsgesetz zwei Tage später, mit dem die Weimarer Demokratie als „kurzes Zwischenspiel“ endgültig erledigt wurde.
In der Politik geht es um die machtvolle Durchsetzung von eigenen Interessen. Offene und ungeschminkte Machtausübung kommt aber nicht gut an. Da ist es geschickt und raffiniert, wenn man seine Machtinteressen in die Watte der Demut hüllt. Kein Wunder, dass die Politik aus populistischen Gründen ein Interesse daran hat, sich als demütig zu verkaufen. Das erhöht die Sympathiewerte; das erhöht die Schlagkraft.
Im Jahr 2021 hat sich Angela Merkel „in Dankbarkeit und Demut“ als Kanzlerin von Deutschland verabschiedet. Das ist feiner Stil, der beim Volk gut ankommt. Mit ihrem Äußeren hatte es diese Kanzlerin all die Jahre geschafft, eine liebenswürdige Bescheidenheit, Einfachheit und Zurückhaltung an den Tag zu legen. Hinter dieser anheimelnden Schafswolle lassen jedoch Merkels Führungsstil, Personalpolitik, Medienumgang und „Alternativlosigkeiten“ ahnen, dass sie im Innersten knallhart die Klaviatur der Macht beherrschte. Nur dadurch konnte sie sich 16 Jahre im politischen Haifischbecken als Kanzlerin durchsetzen. Aber ein „in Dankbarkeit und Demut“ getöntes Haifischbecken ist einfach schöner.
Wenn es um Demut geht, dann darf natürlich die Kirche nicht fehlen. Es ist doch klar, dass die Kirche in der christlichen Demut schon immer die „Größte“ und „Beste“ und „Klügste“ war.
„Chrismon – Das evangelische Magazin“, das aus dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt hervorging und das von der Evangelischen Kirche in Deutschland jährlich mit Millionenbeträgen subventioniert wird, bringt die Demut bei der Corona-Frage ins Spiel: „Wie eine alte Tugend helfen kann, dass wir uns besser vertragen“, lautet der Untertitel. Das Problem seien die „sogenannten Querdenker“ mit ihrer „Hybris“: „Es ist abenteuerlich, wie medizinische Laien der Wissenschaftsfeindlichkeit anheimfielen und meinten, alles besser zu wissen als Virologinnen, Epidemologen oder Modelliererinnen.“ Die Demut dagegen passe „zu den vielen, vielen Menschen, die … auf andere Rücksicht genommen und versucht haben, sich durch die oft verwirrenden Beschlüsse der Politik zu hangeln“.
Bei allem Demut-Fallobst in Politik und Kirche will ich daran festhalten, dass die Demut im eigenen stillen Kämmerlein des Herzens eine wertvolle und bereichernde Grundhaltung ist:
In Demut zu seinen eigenen Überzeugungen stehen und sie mit aufrechter Körperhaltung vor seinen Mitmenschen streitbar vertreten,
ohne dabei die Achtung vor Andersdenkenden zu verlieren,
über sich selber lachen können,
die Kunst, sich mit unerfüllten Lebenswünschen zu arrangieren,
um des Friedens willen für gute Kompromisse streiten,
selbst seinem größten Gegner zugestehen, dass er auch mal richtig liegen kann,
das eigene Tun und Wirken nicht zu überschätzen gegenüber dem, was man durch andere empfangen hat.
Die Demut als Herzenshaltung ist unendlich hilfreich im zwischenmenschlichen und politischen Miteinander. Aber sobald die Demut das stille Kämmerlein des Herzens verlässt, um im Licht der Öffentlichkeit instrumentalisiert zu werden, da zerfällt sie und verwandelt sich bestenfalls zum emotionalen Edelkitsch.
„Rechte Demut weiß niemals, dass sie demütig ist.
Denn wenn sie es wüsste, so würde sie hochmütig von dem Ansehen dieser schönen Tugend.
In der Demut bleiben wir unseren Mitmenschen gegenüber, den elenden Sündern, gütig.
In der Demut wissen wir, dass wir letztlich Bettler sind, die aber dem vertrauen dürfen, der Bettlern die leeren Hände mit seinem Lebensbrot füllt.“ (Martin Luther)