Tichys Einblick
Kommt runter, Obere

Wenn politisch ungehörte Stimmen sich gesellschaftlich vermeintlich unerhört benehmen

Kommen die Menschen in Deutschland bei der Beantwortung oder Vermeidung dieser Fragen nicht auf eine einheitliche Linie, dann liegt das nicht an „Schwurblern“, „Unbelehrbaren“, „Covidioten“ oder „Rechtsextremen“, sondern schlicht und einfach an der hohen sachlichen und emotionalen Komplexität des Themas.

IMAGO/ Future Image

Für mich stellen sich beim Covid-Impfen folgende vier Fragen:
Erstens: Habe ich mehr Angst vor einer Covid-Erkrankung oder habe ich mehr Angst davor, als „Versuchskaninchen“ (Olaf Scholz) mit einer nicht genügend erforschten experimentellen Gen-Impfstoffart behandelt zu werden?

Zweitens: Vertraue ich den Wissenschaftlern, die von Politik und großen Medien hochgejubelt werden oder sprechen mich auch die kritischen Wissenschaftler an, die bereits 2009 bei der „Schweinegrippe“ ein gutes Näschen hatten und die bei Corona jenseits der Regierungslinie argumentieren?

Drittens: Möchte ich bei medizinischen Eingriffen selber über meinen Körper entscheiden oder möchte ich es den Politikern in Berlin erlauben, über meinen Körper zu bestimmen, selbst wenn deren Argumente mich nicht überzeugen?

Viertens: Kann ich nur durch die Impfung solidarisch mit meinen Mitmenschen sein oder gibt es bei Covid nicht auch noch viele andere Wege, meine gefährdeten Mitmenschen zu schützen?

Wenn die Menschen in Deutschland bei der Beantwortung oder Vermeidung dieser Fragen nicht auf eine einheitliche Linie kommen, dann liegt das sicherlich nicht an irgendwelchen „Schwurblern“, „Unbelehrbaren“, „Covidioten“ oder „Rechtsextremen“, sondern schlicht und einfach an der hohen sachlichen und emotionalen Komplexität des Themas.

Tichys Einblick hat darum meines Erachtens sehr, sehr gut daran getan, sich bei Covid nicht auf eine Richtung festzulegen. In Tichys Einblick finde ich vom Impfaufruf bis hin zu einer angemessenen Portion -Skepsis ein breites Meinungsspektrum. Tichys Einblick steht mit seinen Autoren für das fruchtbare Miteinander von Geimpften und Nichtgeimpften. Das allein ist schon eine frohe Botschaft in diesen Zeiten der staatsgewaltigen Diskriminierung und Ausgrenzung.

Umgekehrt gilt: Die Gleichschaltung bei diesem hochkomplexen Thema kann höchstens mit massiver Ausübung von Propaganda und Gewalt gelingen. Alternativlose Slogans wie „nur Impfen hilft“ zeugen bei dieser noch unausgereiften Impfart per se von einem unwissenschaftlichen, illiberalen und autoritären Geist.

Es ist darum ein gutes Zeichen für eine lebendige und freiheitliche Demokratie, wenn überall im Lande friedliche Demonstrationen stattfinden, die den Denkhorizont bei Corona erweitern möchten.

In diesem Sinne hat am 5. Dezember ein Arzt im kleinen thüringischen Sonneberg eine Lichterketten-Demonstration organisiert. Über 1.000 Bürger kamen zusammen. Als Gastredner trat Pfarrer Martin Michaelis aus Quedlinburg auf. Dieser erhob in seiner Predigt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung. Der Staat maße sich mit vielen maßlosen Maßnahmen an, Menschen in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Basis völlig zu zerstören. Damit verstoße der Staat gegen das siebte Gebot „du sollst nicht stehlen“. „Das Gemeinwesen, das Gesundheitswesen, alles und jeder wird ausgeplündert.“

Darum sei es Zeit, individuell das Gewissen zu prüfen, ob gegenüber manchen staatlichen Covid-Geboten nicht der Gehorsam aufgekündigt werden müsse.
Michaelis beruft sich dabei auf die „Confessio Augustana“ von 1530, die von Philipp Melanchthon und Martin Luther als grundlegende evangelische Bekenntnisschrift konzipiert worden war. Dort heißt es in Artikel 16: „Wenn aber der Obrigkeit Gebot ohne Sünde nicht befolgt werden kann, soll man Gott mehr gehorchen als den Menschen“.

Das sind wahrlich ungewöhnlich Töne von einem Pfarrer. Darf man unseren Staat als Plünderer und Dieb bezeichnen? Darf man im Namen der evangelischen Bekenntnisschriften zum Widerstand gegen staatliche Gesetze wie etwa die Covid-Impfpflicht aufrufen?

Oder sind die Worte eher psychologisch zu verstehen in dem Sinne, dass sich Ungeimpfte angesichts gewaltiger staatlicher Maßnahmen wie Mäuse fühlen, die von der Katze in die Ecke gedrängt werden, und jetzt dort mit all ihrer Kraft um ihr Leben kämpfen müssen?

Der Sonnenberger Superintendent distanziert sich „ausdrücklich“ von den Aussagen des Pfarrers; zudem hätte Michaelis auf der Demo angesichts der hohen Inzidenz im Landkreis „Menschenleben unnötig und fahrlässig in Lebensgefahr gebracht“. Obendrein spricht er in den Medien die Drohung aus, es werde vermutlich „dienstrechtliche Konsequenzen“ geben. Der Personaldezernent der Landeskirche ergänzt: „Die Synode unserer Landeskirche hat auf ihrer letzten Tagung das Impfen als einen Akt der Nächstenliebe qualifiziert. Dass unmittelbar danach ein Pfarrer aus unserer Landeskirche bei einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen auftritt, wirft Fragen auf.“

Die Kirchenoberen gehen nicht in den echten Austausch auf Augenhöhe. Dabei hat Pfarrer Michaelis so viele spannenden Diskussionsstoff geliefert.
Die Kirchenoberen aber können es wohl gar nicht verstehen, dass Gläubige bei einer Demo gegen die Corona-Politik mitmachen. Darum holen sie die dienstrechtlichen Daumenschrauben heraus. Doch ich bezweifle, dass die Kirche mit Zwang und Druck das emotional und sachlich hochkomplexe Covid-Thema lösen kann. Meines Erachtens kann uns nur ein faires Miteinander von Geimpften und Ungeimpften weiterhelfen.

Der Synodenbeschluss „Impfen ist Nächstenliebe“ ist für so ein Miteinander geradezu kontraproduktiv. Zum einen werden durch ihn indirekt alle Nichtgeimpften als lieblos abqualifiziert. Zum anderen kann eine Gen-Impfung nicht durch noch so schöne kirchliche Verlautbarungen qualifiziert werden; ein Impfstoff muss sich schon selber qualifizieren durch eine überzeugende Wirksamkeit und durch geringe Nebenwirkungen. Aber genau daran scheint es ja bei den Covid-Impfstoffen zu hapern.

Ein Synodenbeschluss „Impfen ist Nächstenliebe“ würde nur dann kein Öl ins gesellschaftliche Feuer gießen, wenn gleichzeitig beschlossen würde, dass auch Nicht-Impfen mit einem noch unausgegorenen Impfstoff Ausdruck von Nächstenliebe sein kann.

Im Augenblick aber scheinen Kirche und Gesellschaft eher den erlaubten Meinungskorridor auf eine winzige Nadelspitze reduziert zu wollen.

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