Keine „rote Welle“, dafür ein „blaues Auge“: So könnte man den Ausgang der US-Halbzeitwahlen (midterms) nennen. Auch bedeutende Republikaner wie Senator Lindsey Graham zeigten sich über das Ergebnis enttäuscht. So hatte man mit deutlicheren Erfolgen gerechnet – sowie einem Sieg im Senat. Nach derzeitigem Stand fällt nur das Repräsentantenhaus an die Grand Old Party.
Doch wie so häufig bestimmen nicht so sehr die Fakten denn die Narrative den Wahlabend. Einhellig verlegen sich die Medien darauf, dass es keine „rote Welle“, also signifikante Zugewinne der Konservativen gegeben habe. Die Strategie: Man legt einen imaginären, hohen Wahlsieg der Republikaner als Messlatte an; die wirklichen Parameter sind dabei nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass die Republikaner an ihren theoretischen Zielen gescheitert sind, nicht so sehr, dass sie nun effizient die Regierungspolitik der USA blockieren können. Interessant ist dabei, dass kein Medium, dass nun eine solche „rote Welle“ korrigiert, jemals von einer „roten Welle“ ausging.
Nach bisherigem Stand fällt das Repräsentantenhaus an die Republikaner, im Senat zeichnet sich ein Gleichstand ab. Zur Erinnerung: Als Donald Trump bei den Halbzeitwahlen 2018 das Repräsentantenhaus verlor, dafür aber im Senat die Mehrheit ausbaute, galt das Journalisten geradezu als Katastrophe und Beweis, dass Trump am Ende sei. Dass Präsidenten nach einer Halbzeitwahl eine der Kammern verlieren, gilt fast als Normalität. Biden ist nur knapp daran vorbeigeschrammt, beide Kammern zu verlieren. Übrigens: Die Wahl von 2018 wurde als „blue wave“-Wahl charakterisiert.
Dass aber eine von republikanischer Seite erwartete deutlichere Verschiebung ausblieb, wird man vor allem einer Person in die Schuhe schieben: Donald Trump. Wenn die Wahlen 2022 etwas bedeuten, dann das Ende der Ära Trump und den Beginn einer möglichen Ära DeSantis. Der Gouverneur von Florida hat rund 60 Prozent der abgegebenen Stimmen in seinem Bundesstaat eingesammelt und damit seine Ambitionen auf die Präsidentschaftskandidatur 2024 gefestigt. Ron DeSantis steht als der eigentliche Gewinner des gestrigen Tages dar.
Das Schicksal von Joe Biden steht nach dem erlittenen blauen Auge noch nicht fest. Es ist ein offenes Geheimnis, dass über ihm schon seit Längerem die Geier kreisen, die darauf hoffen, dass er 2024 kein zweites Mal antritt. Für seine politischen Projekte sieht es dagegen jetzt schon düster aus: Stand schon die hauchdünne Mehrheit im Senat in den letzten beiden Jahren auf der Kippe, so ist das Repräsentantenhaus nun in republikanischer Hand. Linke Klimaträume, woke Prestigeprojekte oder der Wunsch, ein nationales „Recht auf Abtreibung“ durchzusetzen, dürften damit durchkreuzt sein. Auch ganz ohne „rote Welle“.