Tichys Einblick
ESC politique

Wir knacken den Code

Auch in diesem Jahr war der Eurovision Song Contest vor allem eines: politisch. Wie selten oder auch nie zuvor wurde allerdings überaus deutlich, wie sehr sich eine abgehobene europäische Elite von den Bürgern im Gesamten entfernt hat.

picture alliance/dpa | Jens Büttner - Collage: TE

Nemo kann singen, hüpfen, springen, balancieren. Nemo hat Sologesang studiert und bei einem Udo-Jürgens-Musical mitgespielt. Angeblich hat Nemo schon mit 9 Jahren bei der Zauberflöte mittiriliert. Und rappen kann ens auch. Vor allem ist Nemo ein Profi der Selbstvermarktung. Insofern: verdienter erster Platz beim Eurovision Song Contest in Malmö. Nichts gegen Nemo! Die meisten anderen „Performer“ waren schlimmer.

Überdies hat Nemo noch gerade rechtzeitig erkannt, dass es mehr braucht als ein Talent, sondern dass es darauf ankommt, die wahrhaftigsten Fans des Spektakels für sich einzunehmen – die Queer-Community, „die jedes Jahr treu den ESC als wanderndes Bayreuth der Trash-Klänge feiert.“

Denn erst im November 2023 hat Nemo Mettler gemerkt, derdiedas in Berlin mit einer Frau zusammenlebt, eigentlich „nonbinär“ und pansexuell ist und eine Aufgabe hat: Die Welt von der Notwendigkeit der Proklamation einer dritten Geschlechtsidentität zu überzeugen. Was könnte passender für eine solche Forderung sein als die Bühne des ESC?

In Nemos Gewinnersong wird Zweigeschlechtlichkeit als binärer Code beschrieben, den es zu knacken gilt. Gut gemacht.

„Normalos“ haben in der Kulturszene kaum noch eine Chance, man muss schon irgendeiner buntdiversen Gruppe oder Minderheit angehören. So gab es 2022 standing ovations in Frankfurt am Main bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises an Kim de l’Horizon, eine „genderfluide nichtbinäre schweizerische Person“, die also zwischen den Geschlechtern changiert, obwohl es die irgendwie ja gar nicht gibt. Außer als eine „jahrhundertealte Tradition“, aber Traditionen kann man schließlich aufgeben. Also nicht von der Biologie reden.

Und was könnte schöner sein als dankbare Fans, die bei der Ankunft des Siegers in der Schweiz skandieren „We exist! We exist! We exist!“ „Nemo reckt die Faust, die Nonbinärenflagge fest umklammert, und stimmt mit ein. Und ruft irgendwann: ‚We broke the code!‘ – Wir haben den Code geknackt. Die Menge antwortet mit Jubel.“

Doch das soll nur der Anfang sein. Nemo hat sich bereits mit dem Ersten Justizminister Beat Jans verabredet, um die Debatte über ein drittes Geschlecht in Gang zu bringen. Schon kann man eine Petition unterschreiben, der zufolge die Schweiz „die gesetzlichen Grundlagen für eine nonbinäre Geschlechtsidentität“ schaffen soll – ein teures bürokratisches Verfahren für eine Minderheit, in der die meisten gar nicht „betroffen“ sind, die Sache aber irgendwie „zeitgemäß“ finden. Was für eine geschickte Strategie.

Immerhin, die SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann schickt sich an, die nonbinäre Suppe zu versalzen. „Was beim ESC geschieht, ist Manipulation im Elfenbeinturm“, findet sie. Man suggeriere, dass Nemo als Sieger des ESC für die Entwicklung einer ganzen Gesellschaft stehe und versuche, damit zu politisieren. „Doch dieser Wettbewerb ist nichts als eine Bubble aus Linken und Queeren“, so Steinemann.

Damit dürfte sie recht haben. Die richtige Antwort auf das Geständnis „Ich bin nonbinär“ wäre „Mir egal“. Aber so läuft das nicht mehr in woken Zeiten. Aus unerfindlichen Gründen meinen vor allem deutsche Politiker, sich anbiedern zu müssen. Was in den vergangenen Zeiten mit Travestie noch lustig und bereichernd war, wirkt heute zunehmend verkrampft und zur gesellschaftlichen Provokation immer und immer überzeichneter, gepaart mit herrischem Verlangen nach Rücksichtnahme.

Rücksichtnahme? Nur auf die eigene Befindlichkeit. Besonders abstoßend bei dieser Feier von Toleranz und Trallala, die ja angeblich ganz und gar unschuldig sein soll und völkerverbindend und politikfern, war der Umgang mit einer Teilnehmerin, die einfach nur normal schön war und singen konnte. Und der auch von einem sonst lautstark Toleranz einfordernden Nemo.

Eden Golan musste für die Dauer des ESC vor einem wütenden Mob geschützt werden und konnte ihr Hotelzimmer nicht verlassen. Der israelische Geheimdienst war anwesend, norwegische und dänische Polizisten, sechs Polizeimotorräder, zwölf Autos, eine Drohne und ein Huschrauber. Eden wurde mit Israel identifiziert und Israel war der Feind der linken und queeren Hasser und Hetzer. Kam der Mob aus den muslimisch dominierten Problemvierteln von Malmö? Nein. Die schlimmsten Aggressionen kamen aus der linken, woken, queeren Ecke. Dort wissen viele offenbar nicht, dass sie in Tel Aviv ungehindert flanieren dürfen, im Gazastreifen wäre das nicht ratsam.

Bei der Publikumsabstimmung aber spürt man, dass nicht alle so ticken wie in der linkswoken Blase und der Kulturschickeria in der Jury. Für Israel gab es den zweitbesten Wert beim Televoting, in Deutschland und der Schweiz lag Israel bei den Zuschauern auf Platz eins, in Österreich auf Platz zwei – in vielen weiteren europäischen Ländern lag Israel ebenso auf vorne mit je 12 oder 10 Punkten.
Gibt das Hoffnung? Vielleicht ein wenig. Viele haben womöglich einen Sinn für Gerechtigkeit, den man bei denen vermisst, die nur den eigenen Stamm respektieren.


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