Tichys Einblick
Stephans Spitzen:

Wenn vermeintliches Kindeswohl für die politische Agenda herhalten muss

Nach einem Gerichtsurteil in Großbritannien stellt sich auch hierzulande die Frage, was es mit der wachsenden Zahl so genannter Transkinder auf sich hat. Können und sollten Kinder und Jugendliche wirklich bereits entscheiden, ihr Geschlecht ändern zu lassen?

IMAGO / Science Photo Library

Ist es wirklich nur Ausdruck von Enttabuisierung, von endlich errungener Freiheit und Selbstbestimmung, wenn die Zahl der Jugendlichen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen wollen, von Jahr zu Jahr steigt? In Deutschland verzeichnen Kliniken eine Verfünffachung der Zahlen sogenannter „Transkinder“. In England wurden um 2010 32 Fälle weiblicher Dysphorie registriert, einige Jahre später mehr als 50 mal so viele. Doch nun hat der High Court in London einer Klägerin recht gegeben, die sich bei ihrer Entscheidung als Teenager, ein Mann zu werden, nicht ausreichend beraten fühlte und der man Pubertätsblocker verschrieben hatte – mit fatalen Folgen, nicht zuletzt Unfruchtbarkeit. Bei Keira Bell begann diese Behandlung erst mit 16, im Prinzip aber kann das Medikament bereits Kindern ab 10 Jahren verschrieben werden.

Können Kinder und Jugendliche wirklich bereits entscheiden, was dieser Eingriff, dem zu beinahe 100 Prozent chirurgische Maßnahmen folgen, bedeutet? Das englische Gericht verneint das. Womöglich können auch Sechzehnjährige noch nicht beurteilen, was es für sie und ihren Körper bedeutet, das Geschlecht zu ändern – und wie schwierig es ist, das wieder rückgängig zu machen. 

Während das Gericht in England begriffen hat, dass man junge Menschen schützen sollte, dass eine solche Entscheidung Zeit braucht und dass Verständnis auch heißt, solchen Wünschen nicht sofort zuzustimmen, wird in Deutschland gerade der Kurs in die andere Richtung eingeschlagen. Birgit Kelle hat einen Gesetzesentwurf der Minister Christine Lambrecht und Horst Seehofer bekannt gemacht, der vorsieht, dass künftig jeder das Geschlecht wählen darf, das er gern hätte, und das schon im Alter von 14 Jahren – ohne sich beraten oder gar medizinisch begutachten lassen zu müssen. Erwachsene „Aktivisten“ möchten den Geschlechtswechsel „demedikalisieren“, indem der schmerzhafte und riskante Eingriff als „folgenlose Wunscherfüllung“ dargestellt wird. Vierzehnjährige dürfen den Bundestag nicht wählen und keinen Alkohol trinken, haben aber ein Kinderrecht auf Selbstverstümmelung?

Dass manchmal Mädchen lieber Jungs sein wollen und Jungs gern Mädchen, weiß jeder, der Kinder hat oder sich auch nur an die eigene Jugend erinnert. Die Unsicherheit, was das eigene Geschlecht betrifft, hat sich in den allermeisten Fällen nach der Pubertät erledigt. Wann ist daraus ein Fall für die Medizin geworden – ein sehr lukrativer Betätigungszweig, im übrigen? Und seit wann wird jeder Jugendliche, der solcherlei empfindet, zum Gutachter in eigener Sache? 

Wer sich „Kinder an die Macht“ wünscht, hat vergessen, wie unbedingt so ein Mensch zwischen, sagen wir: 13 und 20 sein kann. So völlig überzeugt von der eigenen Meinung und der eigenen Sicht auf die Dinge, und ja, auch so manipulierbar und fanatisch, wenn man (nicht nur) an Maos Rote Garden denkt. So ganz ohne Zweifel an dem, was irgendwie gerade angesagt ist, so gar nicht bereit, Mode und Zeitgeist von den haltbareren Dingen des Lebens zu unterscheiden. Jugendliche dürfen so sein. Fatal ist nur, dass es immer weniger Erwachsene zu geben scheint, die bereit sind, ihnen zu widersprechen. 

Wir befinden uns auf einem Höhepunkt der Kindsvergottung. Kindermund tut Wahrheit kund – die Heiligsprechung Greta Thunbergs ist das beste Beispiel dafür. Begeistert wird den Fridays-for-Future-Kids applaudiert, jeder Zweifel an ihrem Anliegen empört zurückgewiesen. „Die Wissenschaft sagt!“ ist der Kernsatz einer neuen Heilslehre. (Wir wissen, wie objektiv derlei Wissenschaft sein kann, seit Wissenschaftler sich zu „maximaler Kollaboration“ mit der Regierung bereit erklärt haben.) Mindestens 22 Mal sollen sich Vertreter der Bundesregierung mit den Kids getroffen haben, als ob das die wahren Fachkräfte sind, auf die man hören muss.

Erwachsene sind hässliche Relativierer. Wahrheit aber ist kinderleicht. Werdet alle wie Kinder, scheint auch die Bundeskanzlerin empfehlen zu wollen, die ihren Untertanen mit kindgerecht einfacher Sprache begegnet. Das soll wohl die Kinderarmut einer alternden Gesellschaft ausgleichen? Grübel…

Im Ernst: Im Falle der erwachsenen Vorkämpfer für die „Selbstbestimmung“ über das eigene Geschlecht schon im Kindesalter scheint es sich um die schlichte Instrumentalisierung von Minderjährigen für die eigene Agenda zu handeln. Ich finde das unanständig.


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