Kim ist ein netter Junge. Bestimmt. Und er soll ruhig so bleiben, wie er ist. Offenkundig ist er ja ein Mann, wenn man nach seinem Schnauzbart geht. Er fühlt sich aber irgendwie anders? Non-wie? Egal. Völlig okay. Darf er doch. Doch wenn ich mir das so anschaue, sagt meine Schwägerin A., dann stört mich, dass er sich nicht rasiert hat. Und das Makeup! So macht man das doch nicht, bei so einem Anlass. Und dann sein Geschmack, was die Kleidung betrifft. Dieser formlose Paillettenrock, den er dauernd hochziehen muss, weil er nicht richtig passt! Und dann dieses grüne Gewölle vor der Brust! Also eine Frau hätte was Elegantes angezogen. Ist ja immerhin eine Ehre, so ein Preis.
Der Deutsche Buchpreis, sage ich.
Eben. Sie nickt. Immerhin scheint Kim bei der Preisverleihung vernünftiges Schuhwerk getragen zu haben, man stolpert ja gern bei solchen Anlässen. Ich versuche, zu erklären. Dass Kim und die Preisverleihung eine „Sternviertelstunde“ gewesen sei, wie es in der FAZ hieß. „A Star is born“.
Ja, gewiss, aber doch sicher nicht wegen seiner Kleidung?
Ja, Nein. Sondern weil es der „stärkste Auftritt nichtbinär definierten Erzählens“ war. Wobei ja eigentlich der Erzähler auftrat und nicht das Erzählen.
Versteh ich nicht. Sie wiegt das Haupt. Jedenfalls sieht der Junge nett aus. Also wenn nicht der Rock wäre…
Das ist doch nicht nur ein Rock. Das ist „queer schillernde, farbenfrohe Pracht“, „eine umwerfende Erscheinung“ .„Sexy. Verrucht“.
Na, da kannte ich in meiner Jugend aber anderes, sagt A. Was verrucht betrifft und so. Und für dermaßen vergleichsweise Harmloses gibt es Tränen und Applaus?
Naja, sage ich. Er hat sich dann die Haare abrasiert.
Was? Die schönen dunklen Locken?
Aus Solidarität mit den Frauen im Iran.
A. schweigt. Endlich.
Na gut, sagt sie nach einigen Minuten, während sie die Stirn kraus zieht. Dann kann er sich jetzt ja auch mal im Gesicht rasieren.
Thema durch. Meine ländlichen Verwandten werden nie begreifen, was die woke Gemeinde in den Städten so unendlich fasziniert. Nicht, weil sie nicht tolerant wären, ganz im Gegenteil. Sind sie. Sowieso. Ganz normal eben. Weswegen sie einfach nicht verstehen wollen, warum man um jedes Anderssein so ein Getöse und Aufhebens machen muss.
Kim hat übrigens seiner Mutter gedankt, sage ich, da waren alle zu Tränen gerührt.
Na bitte, sagt sie. Ein netter Junge, eben. Nur das mit dem Rock…
Ich gebe auf.