Ich weiß ja nicht, ob die Franzosen wirklich so locker und flockig sind, wie der Mythos will: Laissez faire, laissez aller. Die Gendarmerie mit umgehängter MPi kennt wenig Nachsicht mit hartnäckigen Verkehrsindividualisten und in Paris wird schon immer gern angeordnet und gedroht. Wir wagten es dennoch. Das Ziel war die Ardéche, also die Provinz, von der es in Frankreich besonders viel gibt, und dort hält man von Paris und dem, was man dort so denkt und anordnet, schon aus jahrhundertealter Erfahrung eher wenig.
Andererseits gibt es sie ja wieder, hört man, eine Grenze zwischen Deutschland und Frankreich, einreisen dürfe man nur mit frischem PCR-Test und ausgefülltem Fragebogen, in dem man ankreuzen muss, welche Symptome man nicht hat. Wir erreichten also die Grenze in Habachtstellung. Doch niemand erwartete uns, der Verkehr floss ungehindert gen Süden. Auffällig nur, dass kaum Deutsche oder andere Touristen aus den Nachbarländern unterwegs waren, die hatten sich also abschrecken lassen. Nun, an der nächsten Mautstation würden sie uns kontrollieren, da waren wir sicher. Wir waren im übigen extra früh losgefahren, Sperrstunde ab 19 Uhr, hieß es, da muss man dann die Zugbrücke hinter sich hochgezogen haben.
Dabei hatte Macron doch noch einmal so richtig zum Zügel anziehen geblasen! Allerdings mit einer einschränkenden Fußnote von Bedeutung: Man appelliere an die Breitwilligkeit der Bürger. Kontrollieren werde man nicht – höchstens im Fall von öffentlicher Party mit Alkohol.
Nach außen Härte und Abschreckung, nach innen Zurückhaltung? Man könnte aus dieser Strategie zweierlei schließen: Die Angst hat die Franzosen dermaßen im Griff, dass man sie nicht mehr überwachen und strafen muss. Angesichts der bekannt antiautoritären Einstellung vieler Franzosen, staatlicher Hoheit gegenüber, kommt mir das unwahrscheinlich vor. Also spekuliere ich auf ein anderes Kalkül: Macron sucht einen Ausweg aus der völlig verfahrenen Situation. Wer sein Handeln auf ein tödliches Virus abgestellt hat, das eine nationale Notlage bewirkt, die einschneidende Einschränkungen verlangt, kommt von diesem Ross nach einem Jahr gepflegter Hysterie nicht so leicht wieder herunter. Was von Anfang an das Richtige gewesen wäre – an den Selbstschutz der Bürger zu appellieren – schleicht sich jetzt durch die Hintertür herein. Auch in Frankreich spricht die Statistik eine deutliche Sprache. Die Panikpandemie muss ein Ende haben, irgendwie.
Bedauerlich, dass die deutschen Ministerpräsidenten sich nicht dazu aufraffen können, ihre Unabhängigkeit von der Berliner Regierung auszukosten. Stattdessen lassen sie die Kanzlerin vom noch schärferen, vom allerschärfsten Lockdown mit Ausnahmesperre auch tagsüber reden, als letzten Versuch, ihre längst angezählte Macht unter Beweis zu stellen. Deutsche Untertanen, die derzeit mit ergebenster Dankbarkeit von ihrem erfolgreichen Impferlebnis schwärmen, und mehr oder weniger Prominente, die mit zu einem Dächelchen gefalteten Händen unter dem Slogan „Wir bleiben zuhause“ fürs Gesundheitsministerum posieren, lassen offenbar alles mit sich machen.
Zuhause? War das nicht mal die Stätte kleinfamiliären Grauens? Und soll heute der Ort sein, an dem man sich am ehesten ansteckt? Egal. Danke, Mama Merkel!
Wie gesagt: vielleicht ist das ja ein Mythos, die Sache mit den lässigen Franzosen. Doch ich bin heilfroh, dem deutschen Mutterland für eine Weile entflohen zu sein.