Tichys Einblick
Das Märchen vom neuen Normal

„Es gibt keine Rückkehr zur Normalität“?! – Wo Merkel und Schwab irren

Wir sollen uns an eine neue Normalität gewöhnen. Die Rückkehr zum Alten soll unmöglich werden. Aber keine Krise schafft neue Menschen. Sie bleiben die alten naturhaften Wesen. Also vergesst die Sache mit dem „neuen Normal“. 

imago Images/IPON

Es wird nie wieder so sein, wie es war! Es gibt keine Rückkehr zur Normalität! Gewöhnen wir uns also ans neue Normal! So tönen die apokalyptischen Reiter auf ihrer Pandemiemähre. Das ist alternativlos und gilt ab sofort: Wir müssen „die gesamte Art des Lebens, wie wir es uns im Industriezeitalter angewöhnt haben“ verlassen, dekretierte die Kanzlerin jüngst und kündigte eine „Transformation von gigantischem historischen Ausmaß“ an. 

Das hören alle Systemveränderer gern. Hier ist sie, die große Chance für den großen Reset: Die Erfahrung, wie man dank Covid-19 die Bevölkerung an die Kandare genommen hat, ist auch für andere dringende Anliegen rotgrünschwarzer Umstürzler nützlich. Mach ihnen Angst, dann machen sie alles mit!

Kann schon sein. Für eine Weile. Denn derzeit wird die straff gestrickte Geschichte von der Katastrophe globalen Ausmaßes immer fadenscheiniger. Es gibt keine erkennbar vernünftigen Gründe für einen Lockdown der ganzen Gesellschaft, selbst die WHO weist darauf hin, dass die Bemessungsgrundlage all dieser rabiaten Maßnahmen – „Zügel anziehen!“ –, nämlich die Zahl der Infektionen, die mit einem PCR-Test nachgewiesen werden, unzulänglich ist, da der Test dafür nicht ohne weiteres geeignet sei. Sollte das ganze Theater ein riesengroßer Irrtum gewesen sein? Dann wird, neben dem gesellschaftlichen Leben, vor allem das Vertrauen in politische Entscheidungen und Institutionen irreparablen Schaden genommen haben. Das hat man sich womöglich nicht unter dem ersehnten „neuen Normal“ vorgestellt. 

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Was soll das überhaupt sein? Normal ist, sofern man Menschen so nimmt, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollen, dass sie selbst nach so einschneidenden Katastrophen wie Kriegen schnell wieder ins Vertraute zurückfinden. Das alte Normal ist extrem zäh und überlebensfähig. Gerade in Krisenmomenten meldet sich der Mensch in seiner archetypischen Verfasstheit. Menschen sind kein unbeschriebenes Blatt, dem die Gesellschaft alles einschreiben kann, was ihr beliebt. Derlei Experimente sind meist tödlich ausgegangen, man denke (nicht nur) an Stalin und Mao. 

Wichtiger als die großen Entwürfe sind im Krisenfall die Nächsten, sprich: vor allem die Familie, und, ja, das, was in der Weltgesellschaft angeblich keine Rolle mehr spielt: der Nationalstaat. Familie und Nation sind krisenfeste Solidargemeinschaften, meint der Soziologe Heinz Bude, der eine Renaissance des Konservatismus prophezeit. Die ist jedoch bereits länger unterwegs, nur in den meinungshabenden Klassen hat man das noch nicht mitbekommen. 

Keine Krise schafft den neuen Menschen, die bleiben die alten naturhaften Wesen, die bei Gefahr dazu neigen sich abzuschließen, abzuschotten, zu verbarrikadieren. Sie schließen bei feindlicher Belagerung die Stadttore und ziehen die Zugbrücke hoch. Und so gibt es dank Covid 19 auch im weltoffenen Europa plötzlich wieder geschlossene Grenzen, selbst innerhalb Deutschlands. Die alten Instinkte funktionieren noch immer prächtig. Vergesst es, die Sache mit dem „neuen Normal“. 

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Gewohnheiten, schrieb Hans Magnus Enzensberger einst, „sind vor allem Sedimente, in denen sich eine unermesslich alte Lebenserfahrung niedergeschlagen hat, im Guten und im Bösen. Die Normalität ist das kollektive Gedächtnis in seiner massivsten Form, und insofern ist sie immer veraltet.“ Veränderung? Die scheitert regelmäßig an der „Renitenz der Mehrheit“. „Die Normalität ist eine defensive Kraft, aber sie ist unfähig zu resignieren. Mit Meinungen, Weltanschauungen, Ideologien ist ihr nicht beizukommen (…). Sofern die Gattung fähig ist zu überleben, wird sie ihre Fortdauer vermutlich nicht irgendwelchen Außenseitern verdanken, sondern ganz gewöhnlichen Leuten.“

Ganz gewöhnlichen Leuten, genau. Den Normalen, den eher konservativen Kräften, die keinen Bedarf für radikale Reformen oder gar Revolution haben, die nicht die Welt retten möchten, sondern, wenn’s mal nötig wird, ihre nächsten Angehörigen. Menschen, die bei allen großen Utopien leise: „Aber bedenke die Folgen“ murmeln. Die Künder von der neuen Normalität dürften sich an den alten Normalen die Zähne ausbeißen.


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