Es ist gar nicht ironisch gemeint: Ich habe langsam Mitleid mit Harry Sussex, dem einst so angenehm verrückten und unterhaltsamen Enkel der Queen. Nicht, weil er von seiner Familie und den Medien schlecht behandelt wird, wie er gerade wieder in seiner Autobiografie „Spare“ (Reserve) und in tränenreichen Interviews (und auch hier) ausführt. Sondern weil er, wie seine Großtante Princess Margaret, der zweitgeborenen Schwester der Queen, einem Missverständnis unterliegt.
Man mag ja den Schmerzensschrei Harrys verstehen: „Ich sitze hier und bitte um eine Familie“. Er war schließlich erst zwölf, als er am Grab seiner Mutter stehen musste. Und Charles war als Vater gewiss nicht die erste Adresse für die Herzenswärme. Doch die Royals sind eine Institution, erstens, zweitens, drittens. Und erst viel später eine Familie.
Und doch: Wie kann das sein, dass ein Enkel der Queen mit seinen nunmehr 38 Jahren nicht begriffen hat, wie eine Monarchie funktioniert? Hat er seiner Großmutter weder zugeschaut noch gehört?
Dann ist da Meghan. Auch hier, so scheint es, wiederholt sich etwas. Nicht, wie Harry unablässig betont, dass ihr womöglich das Schicksal Dianas drohe, von Paparazzi zu Tode gehetzt zu werden. (Wohl eher war der Chauffeur nicht ganz nüchtern. Doch zurecht beklagt Harry, dass seine Mutter noch im Sterben fotografiert worden ist.) Sondern dass sie, die geschiedene Schauspielerin, für das konservative Königshaus nur wenig passender sein dürfte als einst Wallis Simpson, Amerikanerin, zweimal geschieden, deretwegen König Edward VIII. 1936 als Monarch zurücktrat. Im Übrigen wirkt sie nicht sehr sympathisch, auch wenn man sich nicht zu einer derartigen Verachtung versteigen muss wie Rauhbein Jeremy Clarkson.
Was sich ebenfalls wiederholt: die Affinität zur Öffentlichkeit, die auch Diana pflegte. Harrys innige Klage über die Yellow Press und der Wunsch nach Privatheit kontrastieren mit dem Eifer, mit dem die Sussexes selbst an die Öffentlichkeit gehen. Ein Interview mit Oprah Winfrey, in dem Meghan dem Königshaus mehr oder weniger Rassismus vorwirft. Eine sechsteilige Netflix-Serie mit Harry und Meghan voller Vorwürfe gegen die königliche Familie. Eine Autobiografie mit einem Mitleid erheischenden Titel. Zwei große Interviews. Wie kann man da noch der Presse die Schuld geben am Zerwürfnis zwischen den Sussexes und der Royal Family?
Angesichts der Negativauswahl, mit der wir es in der Politik zu tun haben, halte ich die Erbmonarchie ja noch immer für das kleinere Übel. Doch eines scheint, sollten die Royals auch diese neuerliche Krise als Institution überleben, dringend geboten: Dem „Spare“ muss eine echte Lebensaufgabe zukommen, um ihm oder ihr das Gefühl der Nutzlosigkeit zu nehmen. Geld allein macht ja bekanntlich auch nicht glücklich.
In früheren Zeiten – sagen wir: im Mittelalter – war das ein brandheißes Thema. Die Töchter wurden verheiratet, der älteste Sohn erbte Haus und Hof, der zweite ging zum Klerus und der dritte … war ein Problem, wie alle „überschüssigen“ Männer. „Wo es zuviele junge Männer gibt, wird getötet.“ Stehende Heere disziplinierten die überschießenden Aggressionen, immerhin.
Das, vielleicht, hätte Harry geholfen: die Fortsetzung seiner militärischen Karriere, unter anderem als Kampfhubschrauberpilot in Afghanistan, mitsamt seinem Engagement für die „Invictus Games“, ein Wettbewerb kriegsversehrter Veteranen, die 2014 unter der Schirmherrschaft von Harry gegründet wurden.
In seinem Buch hat er nun bekannt, so um die 25 Taliban persönlich getötet zu haben. „Ich hätte es natürlich lieber gehabt, diese Zahl nicht auf meinem Militärzeugnis oder in meinem Kopf zu haben, aber ich hätte auch lieber in einer Welt ohne die Taliban gelebt, in einer Welt ohne Krieg.“
Versteht man. Man darf sich allerdings nicht lange fragen, was die Taliban von diesem Bekenntnis halten. Womöglich sind die afghanischen Glaubenskrieger eine weit gefährlichere Bedrohung für Harry als übergriffige Medien.
Man kann also wirklich Mitleid haben: Das Leben als Royal möchte man niemandem an den Hals wünschen. Und deshalb: Prince Harry gehört nicht in die Öffentlichkeit, sondern auf die Couch.