Ja, so ein Krieg macht den Mann zum Mann. Und ein trockenes Brötchen zum Staatsmann.
Ironie off.
Doch ich kann den Standing Ovations und der medialen Euphorie nach der Rede von Olaf Scholz am vergangenen Sonntag nicht recht folgen. Ich erlaube mir ein gewisses Staunen über die „180-Grad-Wende“, die unsere Regierung womöglich vollzogen hat: Als ob sie aus einem Dornröschenschlaf erwacht wären, stürzen die Roten und die Grünen mitsamt den Gelben nun ein Kartenhaus nach dem nächsten um. Jahrzehntelang gepflegte Überzeugungen zerfließen unter der Russenpeitsche und gelten mit einem Mal nichts mehr.
Womit wir bei Deutschland wären. Es ist schon trostlos genug, wie man hier versucht hat, mit Säbeln zu rasseln, über die man nicht verfügt. Und jetzt wird, alternativlos, also am Parlament vorbei, mit eben mal 100 Milliarden Euro versucht, ein nun schon Jahrzehnte währendes Desaster zu überschminken – und gibt, Ironie der Geschichte, ausgerechnet dem verachteten Donald Trump recht, der vor fast drei Jahren Deutschland dafür gegeißelt hat, dass es noch nicht einmal ein Prozent von den innerhalb der Nato verabredeten 2 Prozent des Inlandsprodukts für den Verteidigungsetat ausgebe. „Die Hegemonialmacht des Pazifismus sagt sich vom Pazifismus los. Was Donald Trump nicht fertiggebracht hat, schafft Putin mit seinem Krieg“, kommentiert Markus Somm. Und das bewirkt Putin ausgerechnet bei jenen Politikern, die einst vor allem die „aggressiv-imperialistische Nato“ im Visier hatten und nicht wahrhaben wollten, dass die vordem die Bundesrepublik weit mehr als 1968 prägende Friedensbewegung nicht nur ideell von der Sowjetunion unterstützt wurde.
Doch bleiben wir in der Gegenwart: Mit 100 Milliarden kann man gewiss den einen oder anderen schwangerengerechten Panzer flugtauglich machen. Doch was der Bundeswehr nun schon seit Jahren fehlt, ist qualifiziertes Personal. Die Abschaffung der Wehrpflicht traf sich mit der Verachtung des Soldatenberufs – die „Parlamentsarmee“ wurde zwar nach Afghanistan entsandt, doch die Veteranen durften bei ihrer Rückkehr nicht etwa mit Dankbarkeit rechnen, sondern sollten möglichst unsichtbar bleiben.
Deutschland hat sich vor allem in den Merkeljahren aus dem Spiel gebracht. Unwahrscheinlich, dass Wladimir Putin das nicht gemerkt hat. Offenbar hat er den Angriff auf die Ukraine seit Jahren geplant. Der Zeitpunkt dafür aber konnte günstiger kaum sein: Die schon unter Merkel grüne Energiepolitik strebt ihrem einsamen Höhepunkt zu. Der Abschaltung von drei Atommeilern folgt mit Ende des Jahres die von drei weiteren. Deutschland ist in einem Ausmaß abhängig von russischen Gas- und Kohlelieferungen, dass jedes deutsche Muskelspiel gen Putin nur noch lächerlich ist.
Möglich, und doch fast unvorstellbar, dass der mittlerweile geradezu Mitleid erregende Wirtschaftsminister Habeck das bis dato nicht wusste. Nun können wir gespannt sein, wie er seine Partei (und die zuständigen Versorgungsunternehmen) davon überzeugen will, die Atommeiler wieder in Betrieb zu nehmen bzw. weiterlaufen zu lassen. Mit weiteren Milliarden? „Am Ende ist es nur Geld“?
Doch auch hier gilt, was auf die Bundeswehr zutrifft: Man hat mit den kundigen Menschen unerlässliches Knowhow verspielt. Tja. Wo bleibt das Positive? Ich sehe nichts.
Doch womöglich kommt Putins Krieg dem einen oder anderen aus ganz anderen Gründen zupass: Nun ist die Öffentlichkeit mit anderem beschäftigt als mit Corona, die Aufarbeitung der skandalösen Maßnahmenpolitik fällt also aus. Da geht ein Aufatmen durch manche Politikerbrust. Denn wie schon bei Corona zerfleischt sich die Bevölkerung auch jetzt lieber selbst. Nach dem Hauen und Stechen zwischen „Covidioten“ und „Schlafschafen“ folgt nun das Spiel „Putinversteher“ gegen „Putin-ist-Hitler“. Da gibt es keine zwei Meinungen (also auch keine Diskussion). Und deshalb: Der russische Dirigent der Münchner Philharmoniker hat sich nicht von seinem Freund Putin distanziert und muss gehen.
Wenn man sonst schon nichts bewirken kann: Das jedenfalls wird Wladimir Putin tief treffen.