Für die Nachgeborenen: Viele Berliner Eigenarten verdanken sich der Tatsache, dass junge Männer einst vorzugsweise in Berlin studierten, weil man dort vom Wehrdienst befreit war, den man im übrigen „Kriegsdienst“ zu nennen beliebte. Aber auch als schnöder Kriegsdienstverweigerer im Westen Deutschlands musste man nur halbwegs überzeugend das eigene grundlegend friedenswillige Wesen bekunden – und schon war‘s das mit dem Dienst an der Waffe. Das hinderte übrigens viele nicht daran, bei Demonstrationen auch schon mal Steine zu schmeißen und dabei „Sieg im Volkskrieg!“ zu skandieren. So eine Volkskriegsguerilla bezog ihre Legitimation zwar nicht aus demokratischen Wahlen, sondern lediglich aus der Macht ihrer Gewehre, aber irgendwie war das Volk, das sie zu vertreten und zu befreien behaupteten, schon was anderes als das deutsche Volk, dem Vertretung nicht zusteht, oder?
Nun, das ist lange her. Doch mittlerweile haben die damaligen „Pazifisten“ ihren Weg durch die Institutionen hinter sich und auch ihre Nachkommen setzen das früh Verinnerlichte um. Bullen sind Schweine? „ACAB“ (All Cops are Bastards), ruft da die Antifa auch in der SPD, und nicht nur in Berlin macht man erfolgreich auf „Defund the Police“. Ebenfalls in Hessen, in Frankfurt am Main, wo der Innenminister das SEK kurzerhand aufgelöst hat, weil sich ihre Mitglieder in privaten Chats rechts danebenbenommen haben sollen. Die Polizisten im Spezialeinsatzkommando sind unter anderem für Terrorismusbekämpfung und Geiselbefreiung ausgebildet. Braucht man heutzutage wohl nicht mehr. Viel wichtiger in „Coronazeiten“ ist, die Polizei zur Razzia gegen Jugendliche zu missbrauchen, die endlich wieder feiern wollen.
Die Tochter von Freunden fragt sich längst, ob sie unter diesen Umständen noch Polizistin bleiben will. Die Affäre um das SEK, die eigentlich eher eine Affäre um den hessischen Innenminister ist, hat ihre Bereitschaft nicht gerade erhöht, Kopf und Kragen zu riskieren für die Sicherheit im öffentlichen Raum. Und das geht vielen ihrer Kollegen so.
Nun, Menschen, die von Recht und Gesetz nicht viel halten, sind auch nicht dümmer als unsere Politiker und dürften das als Aufforderung lesen, sich peu à peu weitere Territorien des öffentlichen Raums anzueignen, die man hernach „No Go Areas“ nennt, also: „Polizisten müssen draußen bleiben“.
Das stört natürlich niemanden, der meint, es gäbe ja sowieso nichts zu verteidigen in diesem Land. Weshalb es vielen am Allerwertesten vorbeigeht, dass deutsche Soldaten „unsere Sicherheit“ auch am Hindukusch verteidigt haben (was man allerdings mit Fug und Recht bezweifeln kann). Sie haben sich allerdings nicht selbst dorthin geschickt, das verantwortet unser Parlament. Und sie haben nicht nur Brunnen gebaut und Mädchen auf dem Schulweg begleitet, sie sind dort auch gestorben.
Dafür wurden sie in Deutschland gründlich vergessen, so auch jetzt, wo Soldaten nach zwanzig Jahren Präsenz der Bundeswehr in Afghanistan zurückkehren. Sie angemessen zu empfangen, ist angeblich wegen Corona nicht möglich.
Im Grunde ist ihre Existenz ja auch anachronistisch. Was brauchen wir Polizei oder Armee? Ist das nicht immer noch überwiegend Männersache, also toxisch, und wenig geeignet für den fluiden Metropolenlauch?
Ist es, übrigens. War es schon immer. Daran ändert auch nichts, dass beide Berufe mittlerweile Frauen weit offenstehen – das ist auch nötig, angesichts geburtenschwacher Jahrgänge. Das heißt allerdings nicht, dass Frauen allesamt an der Front stehen, weshalb die Panzer für schwangere Soldatinnen umgebaut werden müssen.
Etwa 400 der insgesamt 20 400 Frauen in der Bundeswehr waren 2017 schwanger. Der Anteil der Berufs- und Zeitsoldatinnen sowie der Frauen, die freiwillig Wehrdienst leisten, beträgt 2020 rund dreizehn Prozent. Die Mehrheit der Frauen betätigt sich im Sanitätsdienst. Kurz: Kaum eine schwangere Frauen wird sich in einen Panzer zwängen müssen.
Doch wozu braucht die Truppe überhaupt Panzer, wenn es offenbar weder am Hindukusch noch hierzulande noch etwas zu verteidigen gibt? Sturmreif schießt sich dieses Land von selbst.
Ach, Guido. So ist das halt mit der spätrömischen Dekadenz. Wer für alles offen ist, ist eben nicht ganz dicht.