Ich habe mich längst daran gewöhnt, als „rechts“ dargestellt zu werden. Das gehört sich ja heute so, wenn man sich weder als links noch als grün bekennt. Doch manchmal ist man die absichtsvollen Denunziationen einfach leid. Gut, wenn man ein paar Anwälte im Rücken hat, auf die man sich verlassen kann…
Mir riss der Geduldsfaden, als ich kürzlich erfuhr, dass ich nicht nur zu den „Türöffnern“ der AfD gehörte, sondern auch das Wort „Schuldstolz“ erfunden hätte. So jedenfalls las man es in der Rezension eines Buchs von Patrick Bahners bei BR Kultur. Jetzt liest man es dort nicht mehr. Und das verdanke ich meinen Anwälten, die den Sender davon überzeugt haben, dass man bei der Wahrheit bleiben sollte – wenn es schon der Buchautor nicht tut.
Nicht der Rede wert, vielleicht? Doch die Geschichte ist mehr als skurril.
Patrick Bahners, Donaldist und wackerer Kämpfer fürs Gute und Wahre im Feuilleton der FAZ, „erzählt“ in seinem Buch „Die Wiederkehr“ die Geschichte der AfD, als, wie der Titel ja schon andeutet, Geschichte eines „neuen Nationalismus“, mit dem offenbar irgendwie der alte wiederkehrt.
Nun hat ironischerweise die AfD ihre Keimzelle womöglich just in der FAZ: Der Mitbegründer der AfD Konrad Adam ( vor einigen Jahren aus der Partei ausgetreten) arbeitete dort einst und auch Alexander Gauland war „früher ein gern gesehener Gast im Feuilleton“. Schlimm! Hat Bahners das unstillbare Bedürfnis, diese Kontaktschuld zu bekennen? Mit Stolz, womöglich? Weil man damit zu den Guten gehört, zu den Kämpfern gegen Rechts, was ja das Hauptanliegen der jetzigen Regierung ist?
In der ursprünglichen Rezension des Bahnersbuchs beim BR hieß es: Der Dresdner Autor Uwe Tellkamp sei ein „Autor, der so wie auch die Publizistin Cora Stephan, von der mutmaßlich das Wort ‚Schuldstolz‘ stammt, gern das Phantasma von angeblichen Denk- und Redeverboten hierzulande penetriert (sic!).“
Screenshot / BR
Nun gibt es „mutmaßlich“ auch hierzulande eine solide „cancel culture“, die ist kein Phantasma, ganz abgesehen davon, dass es einigermaßen rätselhaft ist, wie man ein solches penetriert. Der Rezensent Knut Cordsen jedenfalls legt sich keinerlei Denk- und Redeverbot auf und scheut vor keiner Behauptung zurück, auch wenn er ein feines „mutmaßlich“ voranstellt.
Habe ich das Wort „Schuldstolz“ erfunden? Ich kann mich dessen durchaus nicht rühmen, bekenne mich allerdings schuldig, dessen Erfindung Martin Walser unterstellt zu haben – der hatte in seiner bekannten Paulskirchenrede im Jahr 1998 allerdings von „Moralkeule“ gesprochen. Mittlerweile bedauert er, dass sich damals die Falschen angesprochen gefühlt hätten. Und doch war er damit prophetisch: Noch nie wurde die Moralkeule so freudig geschwungen wie heutzutage.
Was hat es nun mit dem „Schuldstolz“ auf sich? Nach allem, was ich weiß, tauchte der Begriff im Jahr 1998 in der ehrwürdigen Zeit auf. Damals sandte er offenbar noch nicht das Warnsignal „Vorsicht, Rechts“! aus.
Das ist nun das Gegenteil dessen, was Entlarver wie Patrick Bahners unterstellen. Lau wirft den Ergriffenen vor, dass sie sich vor lauter eingeübter Betroffenheit im Grunde nicht für das interessieren, was damals den Menschen in den Lagern wirklich widerfahren ist. Der allergrößte Schrecken muss erzählt werden, als ob das tatsächlich Erlittene nicht ausreichte.
Der Suhrkamp Verlag ließ sich zunächst nicht von der Tatsache erschüttern, dass „Wilkomirski“ seinen Bericht von vorn bis hinten erfunden hatte, man nahm das Buch erst über ein Jahr später aus dem Markt. Es dürfte sich bis dahin gut verkauft haben.
Lau ist nicht der einzige. Auch Mathias Brodkorb insistiert im Jahre 2010 darauf, dass die Vokabel Schuldstolz „alles andere als ‚rechts‘ geerdet“ sei, Schuldstolz erweise sich „letzlich als eine andere Art der Instrumentalisierung der Opfer des Holocaust zu egozentrischen Zwecken.“
Diese Instrumentalisierung zu allen möglichen Zwecken scheint mittlerweile üblich geworden zu sein. Ein Außenminister Heiko Maas bekennt, er sei „wegen Auschwitz“ in die Politik gegangen. Ein anderer Außenminister, Joschka Fischer, rief Auschwitz an, um deutsches Engagement im Kosovo zu rechtfertigen. „Instrumentalisierung“ ist ein viel zu schwacher Ausdruck für diese widerwärtige Art der Propaganda.
Immerhin: Damals musste man sich die Mühe noch geben, mit den höchsten Werten zu werben. Unter der jetzigen Außenministerin geht das viel einfacher.
Was lernen wir nun aus alledem? Dass jedes Mittel recht zu sein scheint, wenn man denunzieren will? Nein. Dass das auch gewaltig nach hinten losgehen kann. Diese Art eines „Kampfs gegen Rechts“ entlarvt sich selbst.
Das neue Buch von Cora Stephan, „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“ ist am 8. Februar bei Kiepenheuer & Witsch erschienen: