Tichys Einblick
Die große Entschleunigung

Autofreie Straßen sind möglich, aber sinnlos

In Städten wie Gießen oder Frankfurt merkt man sofort: Autofahrer sollen draußen bleiben. Doch die Verkehrsberuhigung hat ihre Tücken. Ob Kampfradler, die gemütliches Radfahren unmöglich machen, zahlreiche Geschäftsschließungen in Folge ausbleibender autofahrender Kundschaft oder bis dahin unbekannte nächtliche Ruhestörungen.

IMAGO / Ralph Peters

Nach den massiven Zerstörungen durch den Bombenkrieg wurde vielen deutschen Städten der Rest in der Nachkriegszeit gegeben, durch Stadtregierungen, die es nicht nur licht und luftig wollten, sondern vor allem die autogerechte Stadt im Blick hatten. Selbst die ansehnliche Osnabrücker Altstadt, in der die Gesandten beherbergt wurden, die bis 1648 den Westfälischen Frieden aushandelten, sollte in den 60er Jahren dem „Fortschritt“ geopfert werden. Damit ist es erfreulicherweise vorbei, trotz des Widerstands einiger Fortschrittsfreunde wurde vieles wieder aufgebaut, man denke an die wiederauferstandene Frankfurter Altstadt um den Dom herum oder an das Berliner Stadtschloss.

Doch mittlerweile geht es dem städtischen Leben aus einer anderen Richtung an den Kragen. Erst kam Covid-19 – jetzt kommt die autofreie Stadt. Die Gastronomie hat unter der Panikpandemie ebenso gelitten wie der Einzelhandel. Wo 3G herrschte, wollte niemand mehr hin. Es profitierten amazon und andere Versandhändler – und die Kurierdienste. Deren Dienste werden künftig noch mehr benötigt: dank den schwarzrotgrünen Plänen für die autofreien Stadt.

Dass es dem Auto an den Kragen geht, merken wir ja schon länger, man muss nur auf die Anzeigetafeln der Tankstellen schauen oder über den „Abschied vom Verbrenner“ lesen – und nicht nur von dem. In Zwickau, wo Volkswagen ausschließlich Elektroautos baut, müssen 2500 Mitarbeiter entlassen werden. Grund: mangelnde Aufträge für die Kisten.

Autos und Autofahrern geht es an den Kragen. Wer es genauer wissen will, sollte versuchen, eine Stadt in Hessen anzufahren, sagen wir: Gießen. Oder Frankfurt am Main. Man merkt es sofort: wir sollen draußen bleiben.

In Gießen wurde seit Mitte Juni 2023 in mehreren Abschnitten die Verkehrsführung auf dem 4-spurigen Ring um die Innenstadt geändert: auf den zwei äußeren Fahrspuren sollen Autos auf einer Einbahnstraße (gegen den Uhrzeigersinn) um die Innenstadt fahren. Die beiden inneren Fahrspuren sind als Fahrradstraße vorgesehen. Wer sich das dadurch entstandene Chaos einmal angetan hat, versteht sofort, warum dieses zukunftsweisende Projekt vom Verwaltungsgerichtshof in Kassel gestoppt wurde. Die Stadt hatte argumentiert, dass der Verkehr auf dem Ring zu Spitzenzeiten besonders hoch ist, weswegen es für Fahrradfahrer dort gefährlich sei. Nun aber staut es sich zu Spitzenzeiten noch weit mehr, was auch den wenigen Fahrradfahrern, die nun viel Platz haben, keinen Spaß machen dürfte. Deshalb soll das Ganze rückgebaut werden – doch das wird dauern.

Lustig ist es auch in Frankfurt am Main. Im Frankfurter Nordend werden Straßen durch neu aufgestellte Stahlpoller „beruhigt“, was allerdings für Notärzte und Krankenwagen (oder für Feuerwehr und Polizei) ein zeitraubendes Hindernis ist. Für den Einzelhandel wiederum ist es nicht beruhigend, dass immer mehr Straßen für den Autoverkehr dichtgemacht werden. Es mag ja hyggelig sein, wenn dort statt Autostau und Parkplätzen Pflanzkübel und Holzliegen einladen, während über die rot ausgemalte Straße Bikes und Roller flitzen. Doch während der Einzelhandel aufgibt, herrscht dort nun aufgrund der Zunahme von Restaurants und Kneipen Partystimmung bis hoch in die Nacht. Tags kommt es dafür auf anderen Straßen zum Verkehrskollaps.

Ein Gutes hat das natürlich: für Stillstand braucht es dann keine Klimakleber mehr.

Wie lebt es sich nun also in diesen paradiesischen Ruhezonen ohne Autos? Ich würde nicht unbedingt empfehlen, dort bei gutem Wetter zu Fuß unterwegs zu sein. Die meisten Radfahrer glauben fest daran, dass Ampeln, Verkehrsschilder oder gute Umgangsformen für sie nicht gedacht sind, auch die Begrenzung ihrer Bewegungsfreiheit auf dafür vorgesehene Wege und Zonen empfinden sie als Zumutung, wie großzügig auch immer die sein mögen. Fußgänger werden geschnitten, aus dem Weg geklingelt, angepöbelt, selbst wenn sie ihr immer schmaler gewordenes Habitat gar nicht verlassen haben. Besonders auf dem E-Bike rast es sich prima. Gefährlich für den irritierten Wanderer sind auch Elektroroller, deren Besatzung (gern auch mal drei) nicht weiß, ob für sie die gleichen Rechte und Pflichten gelten wie für Autos, Fahrräder oder Fußgänger, weshalb sie überall herumsurren. Und überall herumliegen, weshalb die Pariser für ein Verbot des E-Scooter-Verleihs votiert und dieses umgesetzt haben.

Wie kommentiert ein Radfahrer die Sperrung des Frankfurter Oederwegs zugunsten seinesgleichen? Er meide die Straße, denn dort sei er nun in zu viele Beinaheunfälle geraten – mit anderen Radfahrern. Das kann ihm auf dem Gießener Stadtring nun auch passieren.


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