Französischer Sinn für die große Geste und deutsche Kartoffeligkeit? Stilfragen.
(Nicht nur, natürlich. Macron bleibt Präsident, auch wenn das Wahldesaster weitergeht. Scholz aber dürfte nach Neuwahlen nicht mehr Kanzler sein.)
Egal: es gibt sie noch, die Unterschiede im Nationalcharakter, obzwar oft nur noch als Klischee. Die großartige französische Küche? Davon spürt man wenig, wenn man nicht gerade in hochklassige Restaurants in Lyon oder Paris geht. Ansonsten scheint es am wichtigsten zu sein, dass der Gast sich nicht einfach irgendwo hinsetzt, so nach Lust und Laune. Oder nach einem Getränk vor 19 Uhr verlangt. Mittags aber sind die Straßen leer, dann ist der Franzose zuhause bei Muttern, die Zutaten, die man auf den Märkten erwerben kann, sind wirklich Spitzenklasse. Und erst der Käse!
Nun, Frankreich verdankt die Kunst des Kochens Italien. Caterina de‘ Medici aus Florenz, durch Heirat mit Heinrich II. ab 1547 Königin von Frankreich, hat dort die Gabel eingeführt, den Franzosen Tischmanieren beigebracht und mit ihren italienischen Köchen die französische Küche revolutioniert. Voilà. So ist Europa! Beglückend und befruchtend. (Wenn man mal von den Kriegen und anderen Kleinigkeiten absieht.)
Doch wir wollen heute einfach nur schwärmen angesichts der Ergebnisse der Wahlen zum EU-Parlament. Hat es da wirklich einen Rechtsruck gegeben? Oder haben womöglich viele der Wähler anstelle eines sogenannten EU-Parlaments in Wirklichkeit Europa gewählt, Europa in seiner ganzen Widersprüchlichkeit und, nunja, Vielfalt? Die meisten von ihnen möchten nicht von einer von Größenwahn geplagten Kaste reglementiert werden, die in alle möglichen Lebensbereiche der Europäer eingreifen will, an der Lösung des größten Problems jedoch scheitert, nämlich die Grenzen wirkungsvoll gegen außereuropäische Migration aus anderen Kulturen zu schützen. Denn wenn es so weiterläuft, kann man davon ausgehen, wie Herwig Birg, Direktor des Instituts für Bevölkerungsforschung an der Uni Bielefeld, bereits 1998 konstatierte, „dass nicht nur Deutschland als Nation verschwindet, sondern ganz Europa als Kulturraum“.
Und das wäre verdammt schade. Europa ein ganzes großes Kalifat mit strengen Sitten und Gebräuchen? Mit Kindsbräuten, Vollverschleierung der Frauen, ohne Freiheit, ohne Meinungsfreiheit, patriarchalisch-reaktionär und arm? Welch Verlust.
Und welch Verrat an der christlichen Tradition, die mit dem Verbot der Cousinenehe die Dominanz der Familienclans beendete und Individualismus begünstigte, der den persönlichen Ehrgeiz beflügelte, der Europa erfolgreich gemacht hat.
Was wären wir ohne unsere Traditionen, unsere Kunst- und Kulturschätze, unsere zivilisierenden Institutionen, und last but not least ohne all unsere nationalen Eigenheiten, die noch nicht dem Globalismus zum Opfer gefallen sind? Die Briten sind aus der EU ausgestiegen, aber nicht aus Europa. Sie halten an einer Monarchie fest, die einst von Saxen-Coburg und Gotha hieß, bevor sie sich 1917 des Krieges mit Deutschland wegen in Windsor umbenannte. Sie lieben das Skurrile und warmes Bier, schenkten uns Monty Python, „Don’t mention the war“, die Beatles und all die anderen Heroen des Britpop der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ganz zu schweigen von Fish and Chips. Britische Pubs sind die besten Kneipen in ganz Europa, auch wenn es in Spanien weit mehr Bars gibt.
Und dann die Niederlande! Ein eigentlich sehr entspanntes Volk, das sich jüngst eine neue Regierung herbeigewählt hat – gemeinsam mit der Partij voor de Vrijheid des einst leidenschaftlich bekämpften Geert Wilders, Islamkritiker, Israelfreund und EU-Skeptiker. An der Regierungsbildung beteiligt war auch die noch junge Bauernpartei, BoerBurgerBeweging, die aus dem Kampf gegen Versuche der vorigen Regierung entstanden ist, Bauernhöfe und Tierbestand zu dezimieren. Gerade die Bauern fürchten Konkurrenz durch einen globalen Markt, auf dem Anbieter auftreten können, die niedrigere Löhne zahlen und weniger Rücksicht aufs „Tierwohl“ nehmen müssen.
Auch hier will man zurück zum „Eigenen“, das nur den Deutschen so suspekt ist, dass Politik und Medien einen Empörungsfeldzug gegen betrunkene junge Menschen inszeniert haben, die „döp dö dö döp“ sangen. Nur bei uns darf man nicht „Deutschland den Deutschen“ grölen; dass Frankreich den Franzosen gehören solle, würde niemand als anstößig empfinden. Aber dort ist man nicht weniger geschlagen durch Migration aus anderen, insbesondere juden- und freiheitsfeindlichen Kulturen.
„Europa muss sich aufs neue Europäisieren“, schreibt Tomasz Gabiś, polnischer Publizist und Übersetzer, im neuen „Tumult“. Die EU-Wahlen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Jetzt weiter so.