US-Vizepräsident Joe Biden flog nach Ankara. Im Gepäck hatte er die Mitteilung, dass über die Auslieferung des von den Türken begehrten angeblichen Putschisten Gülen nicht der amerikanische Präsident entscheide, sondern Gerichte – und dass die USA die Türkei in ihrem Kampf gegen den IS vorbehaltlos unterstützen, weshalb auch gleichzeitig den bislang verbündeten syrischen Kurden erklärt wurde, sie dürften den Euphrat nicht überschreiten.
Unfähig, die Welt zu begreifen
Da schien sie also wieder zu sein, die amerikanische Unfähigkeit, die Welt zu begreifen. Allein schon die Mitteilung, dass in den USA Gerichte über Auslieferungsbegehren entscheiden, kann ein Erdogan nicht verstehen. Das hat das gleiche Qualität wie jener Hinweis des deutschen Bundeskanzlers, dass über die Armenien-Resolution der Bundestag zu entscheiden habe. Denn einem Erdogan ist es völlig egal, wer offiziell entscheidet – für ihn steht unverbrüchlich fest: Entscheiden kann nur einer – und wenn der es nicht kann, dann ist er unfähig.
So kam es in Folge der Bundestagsentscheidung dazu, dass Merkel bei Erdogan nur noch als erklärte Gegnerin oder Haushündchen läuft. Sie konnte die Armenien-Resolution nicht verhindern – also steht sie entweder hinter dieser und hat den Obertürken belogen, als sie ihm telefonisch zuflüsterte, sie würde auf den Beschluss einwirken – oder aber sie ist machtlos einem Parlament ausgeliefert, welches in Erdogans Welt das unbedingte Erfüllungsorgan des Präsidenten ist. Dann allerdings ist sie aus Erdogans Sicht ein Papiertiger, den man nach Belieben hin- und herschubsen kann und der zu nichts zu gebrauchen ist.
US-Präsident Obama wird es nun möglicherweise nicht anders ergehen. Es ist Erdogan völlig egal, ob der formale Weg über ein Gericht geht – in der Türkei haben die das zu tun, was der Präsident will. Also auch in den USA. Wird Gülen nicht ausgeliefert, dann wollte Obama nicht. Oder er ist so schwach, dass er nicht einmal seine Gerichte im Griff hat. Da – wie aus US-Kreisen zu hören war – das Auslieferungsbegehren zwar ellenlang ist, jedoch sich darin kein einziger Hinweis auf eine Verstrickung Gülens mit dem angeblichen Putsch befindet, wird Obama also vermutlich demnächst Merkels Schicksal teilen. Entweder Feind oder unfähig. Oder vielleicht sogar beides.
Nun – Obama kann es am Ende egal sein, was der Türke von ihm denkt. Er verlässt demnächst das Weiße Haus. Abgehakt.
Den Kompass verloren
Nicht egal sein kann es allerdings der amerikanischen Nation. Und in der wird hinter vorgehaltener Hand offenbar, was tatsächlich das Problem zu sein scheint im Umgang mit dem Despoten. Die Amerikaner haben in Sachen Türkei offenbar den Kompass verloren. Nicht ein einziges Strategiepapier ihrer Thinktanks hat auch nur im Ansatz die gegenwärtige Situation erwartet, eine Antwort auf die Entwicklung auch nur andeuten können.
„Wir wissen nicht mehr, was dort geschieht – und wir haben keine Idee, wie Amerika damit umgehen soll“, bekannte ein befreundeter Congressman dieser Tag in einem Telefonat. Und weil es so ist, schickte nun Obama seinen Vize an den Bosporus, um zu retten, was offenbar nicht mehr zu retten ist. Um dabei gleich noch mehr Porzellan zu zerschlagen.
Der Anschlag von Gaziantep
Denn neben der für Erdogan untauglichen Erklärung des rechtsstaatlichen Vorgehens bei Auslieferungsanträgen gelobte Biden dem Sultan unbedingte Treue. Da war es nun hilfreich, dass Erdogan – wie schon bei der Wiederaufnahme seines Feldzuges gegen die kurdische PKK im Irak – sein offizielles Ziel als Kampf gegen den „Islamischen Staat“ deklarierte und damit seinen Einmarsch in Syrien begründete.
Schauen wir einmal genau hin. Anlass für den vorgeblichen „Rachefeldzug“ gegen den IS bot einmal mehr ein angeblicher Terroranschlag gegen eine Hochzeitsgesellschaft in Gaziantep. Die Opfer, darunter zahlreiche Frauen und Kinder, waren Kurden, die nach zuverlässigen Informationen der alevitischen Glaubensgemeinschaft angehörten. Und die darüber hinaus noch Anhänger des Selahatin Demirtas sein sollen – jenes jungen Charismatikers der vor allem von Kurden und jungen. liberalen Türken unterstützten HDP.
Demirtash ist neben Gülen einer der Hauptfeinde Erdogans. Ständig versucht die offizielle Türkei, ihn als Parteigänger der vorgeblich terroristischen PKK zu diffamieren. Gegen ihn und seinen Vize Sırrı Süreyya Önder hat die Staatsanwaltschaft Anfang August Anklage erhoben und fünf Jahre Haft gefordert. Begründung: Beide sollen 2013 bei einer Veranstaltung positive Aussagen zur PKK und deren inhaftierten Chef Öcalan getroffen haben. Damals – manch einer wird das vielleicht noch in Erinnerung haben – hatte Erdogan selbst Friedensgespräche mit der PKK in Leben gerufen. Kurzfristig schien es, als könnte der ewige Konflikt zwischen Nationaltürken und Kurden beigelegt werden. Bis Erdogan meinte, ihm sei mit dem Kampf gegen die Vereinigung, die sich seit geraumer Zeit nur noch für eine kurdische Autonomie innerhalb der Türkei einsetzte und auf jegliche Gewaltanwendung verzichtet hatte, besser gedient und er den Waffenstillstand brach.
Wie auch immer: Der Anschlag auf die Hochzeitsgesellschaft reiht sich perfekt ein in eine Reihe von Anschlägen gegen kurdische Türken, bei denen die AKP-Regierung immer umgehend kundtat, die Hintermänner seien beim IS zu verorten.
Ungewöhnlich aber: Der sonst so auf Propaganda versessene IS, der jeden islamisch-motivierten Anschlag beispielsweise in Frankreich oder auch Deutschland großartig als eigenes Werk vereinnahmt, hat sich bislang zu keinem einzigen dieser anti-kurdischen Anschläge in der Türkei bekannt. Das lässt nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen den Verdacht wachsen, dass tatsächlich ganz andere hinter diesen Anschlägen stecken. Und diese seien demnach am ehesten beim türkischen Geheimdienst MIT selbst zu vermuten.
Wir erinnern uns: Der MIT, das ist jene staatliche Organisation, die geheim Waffen und anderes Material an radikal-islamische Gruppen in Syrien lieferte – und die, als der Journalist Can Dündar dieses auf Grundlage von verifizierten Unterlagen des türkischen Zolls offenbarte, als Mitkläger des Staatspräsidenten gegen Dündar ein Verfahren wegen Geheimnisverrats einleitete. Damit war dann auch der letztnotwendige Beweis erbracht: Erdogan und sein Geheimdienst belieferten die Radikalmuslime in der Kampfzone mit Waffen – während die USA mit ihren Verbündeten genau diese radikalen Gruppen bekämpften.
Von Manbij nach Jarabulus
Angeblich nun geht es also auch seitens der Türkei gegen die früheren Verbündeten. Zumindest gegen den IS – denn bei der Übernahme der am Westufer des Euphrat liegenden Grenzstadt Jarabulus haben offensichtlich andere radikalislamische Kampfverbände der AlNusra-Front (AlKaida) kräftig mitgewirkt. Im Zweifel also wird hier Pest mit Cholera bekämpft.
Tatsächlich allerdings geht es Erdogan auch nicht um seine muslimischen Brüder, sondern wie bereits bei dem Einsatz im Irak um die Kurden.
In Nordsyrien hatte sich in den vergangenen Jahren die YPG (Yekîneyên Parastina Gel) zum entscheidenden Machtfaktor entwickelt. Diese der PKK nahestehende Gruppe, in der sich neben sunnitischen und alevitischen Kurden auch Jeziden und chaldäische Christen finden, war zum besten Verbündeten der US-Allianz geworden, hatte nicht nur die vom IS überrannten jezidischen Städte befreit, sondern die Islam-Milizen auf breiter Front zurückgeschlagen. Dadurch war es im Machtvakuum Syriens entlang der Grenze zur Türkei zur faktisch autonomen Region Rojava gekommen, die sich im Osten über die irakische Grenze und im Westen bis über den Euphrat hinaus ausdehnt.
Das jetzt von den Türken besetzte Jarabulus grenzt unmittelbar an das kurdische Rojava und war der letztverbliebene, logistische Zugang des IS zur Türkei.
Nachdem die Kurden am 13. August die südlich von Jarabulus liegende Stadt Manbij als von den Islamkämpfern befreit gemeldet hatten, stand Jarabulus nicht nur als strategisches Ziel ganz oben auf der Liste. Hätte die YPG nach Manbij nun auch noch Jarabulus von den Islamkämpfern übernommen, dann wäre nicht nur jegliche Verbindung zwischen der Türkei und den vom IS gehaltenen Gebieten an die demokratischen Kräfte Syriens gegangen – die Kurden hätten auch die Kontrolle über den Euphrat gehabt und wären der von ihnen gehaltenen Enklave um Afrin im Westen Syriens deutlich näher gekommen.
Eine zusammenhängendes Kurdengebiet
Damit drohte nun ein zusammenhängendes, von den Kurden kontrolliertes Gebiet, das von der türkischen Mittelmeerprovinz Antiochia bis in den Irak gereicht hätte. Wollte die Türkei dieses verhindern, so war Eile geboten. Und Erdogan wollte es nicht nur verhindern – er musste es verhindern. Denn mit diesem Rojava wäre er aus dem syrischen Spiel heraus gewesen und hätte – was für ihn eine Unmöglichkeit darstellt, entlang seiner eigenen, von Kurden besiedelten Südostprovinzen einen faktisch unabhängigen Kurdenstaat gehabt.
Bereits vor dem Anschlag in Gaziantep hatte Erdogans Gefolgsmann Yildirim die offizielle Politik der Türkei in Syrien deshalb damit beschrieben, die „Aufteilung des Landes nach ethnischen Grenzen“ um jeden Preis verhindern zu wollen. Und das bedeutete: Ein Syrisch-Kurdistan wird es, geht es nach der Türkei, nicht geben.
Wenige Tage nach dieser Erklärung kam es zum Anschlag in Gaziantep, welcher nun als Vorwand gilt, direkt in den Syrienkrieg einzugreifen. Da sollte es eigentlich reichen, zwei und zwei zusammen zu zählen, um die Kausalketten zu verstehen – und zu begreifen, wessen Interessen hinter welchen Vorgängen stehen.
Verrat an den Kurden?
Trotz dieser Offensichtlichkeiten fährt Biden in die Türkei und fordert dort den US-Verbündeten YPG auf, nicht über den Euphrat hinaus zu gehen. Mit anderen Worten: Der Zugang zu Syrien und damit zum IS muss für die Türkei offen bleiben.
Gut nachvollziehbar, dass die Kurden nun Verrat wittern. Denn ihnen ist seit langem bewusst, dass die Türkei alles daran setzen wird, ihre Autonomie zu verhindern. Redur Xelil, Oberkommandierender der YPG, reagierte prompt: „Wir sind in unserem Land und werden uns nicht zurückziehen, nur weil die Türkei oder sonst jemand es will.“
Wechseln die USA in ihrer Angst, die wankende Türkei als NATO-Partner abschließend zu verlieren, nun schnell die Fronten – weg von den bislang unterstützten demokratischen Syrischen Kräften zu Erdogan und seinen IS-Verbindungen? Es scheint so zu sein – und es würde gut zu der Kopflosigkeit einer US-Politik passen, die „nicht weiß, was dort geschieht und wie sie damit umgehen soll“.
Nicht zum ersten Mal in der Geschichte wären die Kurden die Verratenen – mit einem Unterschied allerdings, den niemand, der sich in der Region engagiert, übersehen sollte. Durch ihren Kampf an der Seite der US-Allianz sind die Kurden mittlerweile zu dem neben fremden Interventionstruppen wie denen der Hisbulah und der Russen die kampfstärkste, in sich selbst homogene Einheit in Syrien geworden. Der Kampf gegen den IS hat früher einander misstrauisch beäugende Kurdengruppen geeint und ihnen gezeigt, dass sie gemeinsam ihre Interessen erfolgreich durchsetzen können. Insofern sollte an einem niemand einen Zweifel haben: Egal wer an der Seite der Kurden steht – kampflos werden sie das, was sie errungen haben, nicht aufgeben. Insofern hat der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, Ali Ertan Toprak, recht, wenn er im Frühstücksfernsehen feststellt: „Ohne die Kurden wird es keinen Frieden geben.“
Von Offensichtlichem – und vielleicht nicht offensichtlichem
Geht es nun also in dieser nächsten Runde des Krieges um Syrien in eine neue, noch selbstzerstörerische Phase? Einiges deutet darauf hin. Und wenn es denn so wäre, dann würde die US-amerikanische Nahostpolitik abschließend in Trümmern liegen. Denn auch eine noch so unterwürfige Solidaritätsadresse an Erdogan wird diesen nicht davon abhalten, die von der YPG gehaltenen Gebiete östlich des Euphrat übernehmen zu wollen. Damit allerdings wäre der Türkisch-Kurdische Krieg dann in voller Härte in der Türkei selbst angekommen. YPG und PKK könnte nichts mehr von ihrer Kriegsführung auf türkischem Boden abhalten, wenn die USA, die dieses bislang noch erfolgreich unterbunden haben, sie verraten sollten. Der von vielen befürchtete Flächenbrand wäre unausweichlich.
Vielleicht allerdings läuft hinter den Kulissen auch ein ganz anderes Spiel. Denn Biden könnte nicht nur vorgebliche Unterwürfigkeit im Gepäck gehabt haben, als er Erdogan besuchte. Um die negativen Folgen eines Verrats an den Kurden zu umgehen und die Türkei dennoch nicht zu verlieren, könnten die USA bereits einen Friedens- und Teilungsplan in der Tasche haben, der beide Seiten zwar nicht glücklich macht, aber eine Eskalation verhindern könnte.
Dieser Plan könnte lauten: Rojava endet am Euphrat und wird kein selbständiger Staat. Aber es wird künftig eine unter amerikanischem Schutz stehende, autonom verwaltete Kurdenregion innerhalb eines föderalistischen Syriens sein. Im Gegenzug kann sich die Türkei als Interessenvertreter der turkmenischen Volksgruppen etablieren und damit ihren Einfluss auf die Region zwischen Manbij und Afrin ausdehnen. Südlich davon könnte als Mündel Russlands eine autonome Region der Alawiten (nicht zu verwechseln mit den kurdischen Aleviten) entstehen. Um gleichwohl die arabisch-sunnitischen Interessen nicht unberücksichtigt zu lassen, würde der Süden und Südosten Syriens als vierter Im Bunde der autonomen Regionen eines künftigen syrischen Staats im wesentlichen deren Refugium.
Die Illusion eines Friedensplans?
Illusorisch? So scheint es zu sein. Und doch gibt es einige Hinweise, die auf ein solches Modell hinweisen könnten.
Da ist zum einen der schon seit geraumer Zeit andauernde Vernichtungskampf der alawitisch-russischen Kräfte gegen die Sunniten in Aleppo. Diese ehemals stolze Stadt könnte wie dereinst unter französischem Mandat zum Zentrum der autonomen Alawitenregion werden – weshalb die Sunniten dort kein Machtfaktor mehr sein dürfen. Russlands Interessen wären damit erst einmal bedient, denn sowohl seine Stützpunkte an der Küste als auch die neu eingerichtete Airbase wären gesichert.
Bemerkenswerter allerdings ist eine aktuelle Meldung, wonach die YPG Manbij verlassen und die Verwaltung an einen örtlichen Militärrat übergeben hat. Das nun widerspricht der Aussage Xelils und könnte darauf hindeuten, dass die Kurden unter amerikanischem Druck bereit sind, die Euphrat-Grenze zu akzeptieren. Das wiederum können sie nur, wenn sie von den USA absolute Sicherheitsgarantien sowohl gegen die Türkei als auch gegen die von Russland gestützten Alawiten erhalten haben.
Druck ist unverzichtbar
Wenn das amerikanische Modell wie beschrieben aussehen soll, dann wird es bei den beiden, verfeindeten Verbündeten kräftigen Drucks bedürfen, um ihn durchzusetzen. Die Kurden könnten dazu unter zwei Bedingungen bereit sein: Rojava bleibt als syrisch autonom und die Türkei beendet ihre Hetzjagd auf die Kurden im eigenen Land.
Das sind zwei Ziele, die mit Erdogan kaum machbar sind. Allerdings sollte man auch hier das Druckpotential nicht unterschätzen. Erdogans Türkei schwankt dank der unberechenbaren Politik der Despoten am Abgrund. Wenn die USA wollen, könnten sie beispielsweise den Geldhahn zudrehen und die türkische Lira zur Ramschwährung machen. Ob ein Erdogan den daraus resultierenden Vertrauensverlust seiner Anhänger überleben würde, darf angezweifelt werden. Andererseits aber könnten die USA die Türkei gezielt stützen – und die EU bewegen, ähnliches zu tun.
Sie könnten auch dem Türken in seinem Land für seine korrupten Geschäfte und seinen Rachefeldzug weitgehend freie Hand lassen – und beispielsweise bei dem Italiener Renzi ein gutes Wort dafür einlegen, die gegen Erdogans Sohn erhobenen Vorwürfe unter den Tisch fallen zu lassen.
Mit anderen Worten – die USA verfügen über sehr undiplomatisch heftige Geschütze der Diplomatie, die gegen Erdogan in Stellung gebracht werden könnten.
Die Konferenz der Friedensfürsten
Vor allem aber könnten sie Erdogan erläutern, dass seine Träume eines Großosmanischen Reichs massiv gegen die US-Interessen verstoßen – und ihm im Gegenzug erläutern, dass eine friedliche Koexistenz mit den Kurden über einen Ausgleich das genaue Gegenteil bewirken und die Erdogan’sche Türkei zur priviligierten Mittelmacht machen würde. Insofern wäre tatsächlich vieles vorstellbar. Dann könnte Erdogan vielleicht sogar noch in die Geschichtsbücher als großer Sultan einziehen – und hätte damit die von ihm erträumte Unsterblichkeit erreicht.
Und Putin? Der wird seines Abenteuers in Syrien langsam müde – und der damit verbundenen Kosten, die seine ohnehin geschwundenen Geldmittel verzehren, sowieso. Als aktiver Partner einer Friedenslösung und künftige Schutzmacht hätte er endlich die internationale Reputation, nach der er so verlangt – und mit der Alawitenprovinz hätte er seinen Fuß dauerhaft in eine der Schlüsselregionen des Landes gestellt. Er könnte sich international als Friedensmacher und intern als Held feiern lassen, der Russlands Bedeutung nach dem postsowjetischen Zusammenbruch erfolgreich wieder hergestellt hat. Womit auch er seinem Traum, als bedeutender Herrscher der Reußen in den Geschichtsbüchern seines Volkes zu stehen, einen großen Schritt nähergekommen wäre.
Denn eines mus man in der Politik stets vor Augen haben: Mag es noch so sehr um scheinbar nationale Interessen gehen – gerade bei Egomanen und Despoten siegt am Ende immer nur eines: Das Bild, das sie sich von sich selbst machen.
Und insofern kann Bidens Besuch derzeit immer noch beides sein: Ein Akt der Verzweiflung, der einen Flächenbrand auslösen kann – oder aber der Versuch, einen Friedensplan auf den Weg zu bringen, in dem sich alle Beteiligten am Ende wiederfinden können.
Die kommenden Wochen werden zeigen, welche dieser beiden Möglichkeit den Tatsachen entspricht – und ob die US-Administration entgegen der Verzweiflung des oben zitierten Congressmans vielleicht doch zum ersten Mal seit langer Zeit ein Konzept entwickelt hat, das in der Lage sein kann, einen gordischen Knoten zu zerschlagen.