Nachdem im ersten Teil das Mimimi und die vermeintliche Ausgrenzung einer PoC aus der 3F-Bewegung im Mittelpunkt stand und davon eine Verknüpfung zu der Müllkolumne eines gefühlten PoC hergestellt wurde, soll in diesem zweiten Teil nun der Versuch unternommen werden, die PoC- und NonPoC-Welt in ein Gesamtbild einzuordnen. Hierbei werden wir feststellen, dass es mindestens zwei Welten gibt, die parallel existieren und von denen offenbar zumindest eine nicht einmal ahnt, dass es die andere gibt. Zum besseren Verständnis werde ich sie künftig als „Realwelt“ und „Gegenwelt“ bezeichnen.
Realwelt und Gegenwelt
Gegenwelt steht für das, worin sich die Haltungslinken bewegen. Eine fiktive Welt, die sich aus pseudo-soziologischen Interpretationen und der Vision einer besseren Welt speist. Und die dennoch für ihre Protagonisten denselben Realitätswert hat, wie die Realwelt für den Normalo.
Ein taz-Text gibt Aufschluss
Um zu verstehen, wie die Gegenwelt funktioniert, wie sie zustande gekommen ist und wie wir sie uns vorzustellen haben, werde ich mich umfassend eines Textes bedienen, den ein Christan Jakob im Zuge einer taz-internen Debatte erstellt hat. C.J. ist Jahrgang 1979 und seit 2006 bei der taz – damit fast schon redaktionelles Urgestein. C.J., so steht es in seinem Lebenslauf bei Wikipedia, studierte Soziologie, Volkswirtschaft und etwas mit der Bezeichnung „Global Studies“.
Unter Global Studies versteht der angelsächsische Sprachraum etwas, das früher vielleicht als eine Art Studium Universale bezeichnet wurde. Mit der Einschränkung allerdings, dass sie sich weitestgehend im geisteswissenschaftlichen Segment bewegen. Global Studies wird im englischsprachigen Wiki wie folgt beschrieben:
„Global Studies is the interdisciplinary study of political, economic, legal, ecological and cultural interconnectedness. Predominant subjects are politics, economics and law on an international level. Global studies is oriented around the study of globalization as it relates to intercontinental politics, the global economy, international law, market relations, the movement of people and resources, global communications, the effect of human activity on the environment, and many more topics. Global studies is often used to map global change and is both micro and macro in scope.“
Anschließend weist das Webionary darauf hin, dass das Cambridge English Dictionary es auch weniger umfänglich schafft. Danach sind Global Studies das „Studium politischer, ökonomischer und sozialer Situationen in der Welt“.
C.J. steht unzweifelhaft ziemlich weit links im Lager jener, die durch Masseneinwanderung die Chance zur Überwindung der gefühlten, strukturrechten BRD-Gesellschaft erblicken. Dass er dennoch ein helles Köpfchen ist, das zumindest innerhalb seiner erweiterten Echokammer den Versuch unternimmt, Klarheit in die Wirrnis zu bringen, beweist sein Text vom 25. Juni, der unter dem Titel „Die Welt ist nicht schwarz-weiß“ den Versuch unternimmt, das innerredaktionelle Chaos, das von der Müllkolumne ausgelöst wurde, einzuordnen. Dabei unterlaufen ihm zwar ein paar Flüchtigkeitsfehler – so mag er sich nicht entscheiden, ob er lieber zum Gender-Stern oder zum Binnen-I greift, und verwechselt bei der Frage der Herkunft mit Blick auf die Kultur das „in“ mit einem „aus“ – doch sei dieses der Hektik des Redaktionsalltags zugeschrieben.
Die zwei Lager der „linken“ Tageszeitung
Die Kolumne beginnt mit einer manifesten Behauptung: „Kaum etwas ist für junge KollegInnen wichtiger als Identität – und das verändert den Journalismus stark.“
Bereits mit diesem Satz deutet sich an, was sich bei der Lektüre des Textes zunehmend vertieft: C.J. hat ein mulmiges Gefühl im Bauch – doch er vermag es sich als Haltungslinker nicht einzugestehen. Zu stark die emotionale Bindung in der Gegenwelt, zu groß die Angst, dort als Renegat betrachtet zu werden.
Offen beschreibt der 41-jährige den internen Konflikt der taz. Die Müll-Kolumne – C.J. setzt dabei das „Müll“ in Anführungszeichen – habe zu einem Hagel interner „Distanzierungs- und Solidarisierungsbekundungen“ geführt. Er zitiert den „unzutreffenden Einwurf“ einer Kollegin (ohne Binnen-I, demnach ungegendert weiblich), wonach „sich bisher ausschließlich Weiße gegen Hegemah positionieren“. Tatsächlich jedoch verlaufe der „Streit“ nicht zwischen PoC (People of Color) und „Weißen“, sondern zwischen „intersektional Denkenden, für die Identität eine zentrale politische Kategorie ist, und dem Rest der Redaktion“.
Wir lernen: Innerhalb der taz gibt es zwei Lager. Zum Verständnis ist es daher unverzichtbar, an dieser Stelle zwei der besagten, haltungslinken Begriffe näher zu beschreiben.
Das entwissenschaftlichte Identitätsverständnis
Die neo-soziologische Interpretation setzt sich über diese naturwissenschaftlich-philosophischen Grundbedingungen hinweg – sie entnaturalisiert sich und bewegt sich in eine angeblich soziologische, tatsächlich jedoch irreal-metaphysische Kategorie. Dabei übernimmt sie die Definition der nationalen Sozialisten, unterscheidet im Sinne der Rasse-Ideologie grundlegend zwischen „Weißen“ und „People of Color“ (PoC), denen alle Menschen zugewiesen werden, die genetisch im Sinne der Abstammung nicht rein-weiß sind (Beispiel: Der 50-50-Mulatte Barack Obama wird aufgrund seines genotypischen Erscheinungsbilds ausschließlich als „Schwarzer“ wahrgenommen, ist also PoC auch dann, wenn sein Genmaterial zur Hälfte „weiß“ ist), und begründet dieses vorgeblich „soziologisch“, tatsächlich jedoch auf Grundlage der Rasse-Theorie mit der radikalen Unterscheidung zwischen eben diesen PoC und den „Weißen“.
Diesen wird grundsätzlich im Sinne der Ideologie einer „white supremacy“ unterstellt, von Natur aus „rassistisch“ zu sein und die eigene Existenz ausschließlich über die Ausbeutung der PoC zu organisieren – und dieses, seitdem es „Weiße“ auf diesem Planeten gibt. Weiterhin wird das biologische Geschlecht negiert, die geschlechtliche Zuordnung als Folge „sozialer Zwänge“ interpretiert, womit es jedem Individuum freisteht, sich seine eigene Geschlechtlichkeit nach Belieben und Empfinden frei zu wählen.
Der Intersektionalismus
Mit Intersektionalismus beschreibt die Gegenwelt, die Situation multipler Diskriminierung. Beispiel: Eine negroide, lesbische Frau islamischer Weltanschauung wird diskriminiert, weil sie a. „Neger“, b. weiblich, c. lesbisch und d. muslimisch ist. Lebt sie beispielsweise in Deutschland, ist aber der deutschen Sprache nicht mächtig und verdient ihr Geld als Reinigungskraft, könnte intersektional die Diskriminierung wegen der Sprachbarriere und der sozialen Stellung als „Putzfrau“ hinzukommen. Bedeutet: Im intersektionalen Denken sind die Anhäufungen der Diskriminierungen letztlich unbegrenzt – jedoch können „Weiße“ grundsätzlich nicht intersektional diskriminiert werden, da sie per definitionem diejenigen sind, die alle Nicht-Weißen diskriminieren.
Der Rassist Küppersbusch
C.J. geht diese Problematik mit Blick auf einen Kommentar des taz-Autoren Friedrich Küppersbusch an. Der erfolgreiche Fernsehproduzent ist mit seinen 59 Lebensjahren heute hart an der Grenze zum „alten, weißen Mann“ und hatte es angesichts der Häufung von „MeToo“-Diskriminierten im Jahr 2018 gewagt, einen Text unter dem Titel „Bei #MeDreiundfuffzig wird’s öde“ zu veröffentlichen. In diesem Text „muffelte“ (so C.J.) er, dass letztlich jeder kommen könne, um sein „Elend an der Welt“ an seiner Diskriminierung festzumachen und „beleidigt in der Ecke“ zu sitzen. Eindeutig: Küppersbusch hält nichts vom Intersektionalismus.
Wie das zu verstehen sei, hätte, so C.J., nun eine „jüngere Kollegin“ verdeutlicht. Diese hätte sich gewünscht, dass „all die White Privilege People“ nichts zu der Müll-Kolumne gesagt hätten. „Den Diskurs sollten diejenigen führen, die wirklich etwas zu struktureller Diskriminierung zu sagen haben“, zitiert C.J. seine Mitstreiterin.
Wir lernen
a. auch in der taz-Redaktion wird radikale Zensur erwartet und
b. es gibt Themen, bei denen sich Weißhäutige einen Maulkorb anzulegen haben.
Die Meinungsfreiheit hat folglich da zu enden, wo behauptete Privilegien auf die Befindlichkeiten gefühlter Unterprivilegierter stoßen. Konkret: Redeverbot für Weiße.
Nichtredegebot statt Redeverbot
Das genau hätten, so C.J., auch einige „KollegInnen“ so gesehen – sei aber „ein Irrtum“. Vielmehr weiß der Haltungslinke, wie derartige Äußerungen tatsächlich zu verstehen sind: „Denn natürlich wird niemandem verboten zu reden. Erwartet wird vielmehr, sich der Auffassung anzuschließen, nichts zum Diskurs beizutragen zu haben, wenn man keine eigenen Erfahrungen hat – und deshalb freiwillig zu schweigen, anders also als Küppersbusch.“ Übersetzt: Weiße dürfen „natürlich“ plappern – aber zu sagen haben sie nichts.
C.J. weiß auch, warum dieses ausschließende Plapper-Gebot geboten ist: „So soll die gesellschaftliche Auseinandersetzung stärker von Benachteiligten bestimmt werden können und sich die Dinge deshalb zum Besseren verändern mögen.“
Deshalb auch, so sähen es die Intersektionalisten, dürfe eine (gefühlte) PoC-Autorin „alles“. Wer ihr dieses Recht abspreche, sei „kein guter ally“ (Gegenwelt-Sprech für einen weißen Verbündeten der PoC) und als PoC ein „token“ (ein Nicht-Weißer, der von Weißen manipuliert ist).
„Entscheidend ist die Zugehörigkeit zu einem privilegierten oder zu einem unterdrückten Kollektiv. Aus Letzterem soll Definitionsmacht erwachsen – das Recht also, zu bestimmen, was diskriminierend ist. Rassistisch etwa ist demnach, was von einer – im Zweifelsfall einzigen – PoC so empfunden wird. Für intersektional Denkende ist dies zwingend“, so C.J..
Diskriminierung aufgrund Farbe ist Rassismus
Tatsächlich jedoch ist dieses – dürfen wir es „Kauderwelsch“ nennen? – purer Rassismus. Denn nicht nur, dass es die Menschheit in zwei Rassen teilt: Eine weiße und eine nicht-weiße, also NonPoC und PoC, – es verhängt auch ein faktisches Mitspracheverbot gegen jene Rasse, die als nicht-farbig vorgeblich keine Erfahrung mit den zu besprechenden Inhalten hat.
Die Hautfarbe also bestimmt, wer sich zu Themen äußern darf, und wer nicht. Damit erfüllt die in der taz dargelegte und dort vertretene Position eindeutig ein Rassismus-Kriterium gemäß dem Völkerrechtlichen Vertrag, der bei den Vereinten Nationen am 21. Dezember 1965 verabschiedet wurde.
Artikel 1 dieser internationalen Konvention formuliert wie folgt:
„The term „racial discrimination“ shall mean any distinction, exclusion, restriction or preference based on race, colour, descent, or national or ethnic origin which has the purpose or effect of nullifying or impairing the recognition, enjoyment or exercise, on an equal footing, of human rights and fundamental freedoms in the political, economic, social, cultural or any other field of public life.“
Ausdrücklich steht dort nicht, dass die Diskriminierung aufgrund „weißer“ Hautfarbe vom Diskriminierungsverbot ausgenommen ist. Da hilft im Zweifel auch das Ersatzargument nicht, dass „weiß“ keine Farbe und deshalb in der UN-Konvention nicht gemeint sei – physikalisch ist „weiß“ sogar „alle Farben“ gleichzeitig und übererfüllt daher das „Colour“-Kriterium.
Wer, gleich mit welcher Begründung oder Intention, „Weißen“ oder „Nichtfarbigen“ das Mitspracherecht zu bestimmten Themen abspricht, der diskriminiert diese aufgrund von „colour“ und ist damit nach UN-Maßstäben Rassist. Im Sinne des Artikels 3.3 des bundesdeutschen Grundgesetzes verstößt er darüber hinaus gegen die Verfassung – steht folglich nicht auf dem Boden der Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung.
In der taz wachsen rassistische Jungredakteure heran
Gleichwohl lernen wir: In der Redaktion der taz wächst offenbar eine junge Generation heran, die in einem Maße rassistisch ist, dass einem angst und bange werden kann. Ihr Rassismus definiert sich jedoch in Abweichung vom klassischen Rassismus in der genauen Umkehrung eben dieser klassischen Rassismusvorstellung.
Um beide Varianten des Rassismus unterscheiden zu können, soll dieser neue, „farbige“ Rassismus als Neo-Rassismus bezeichnet werden, während wir den „weißen“ Rassismus als Arche-Rassismus verstehen.
Die Ursachen des Neo-Rassismus
Wie nun aber kann es geschehen, dass 75 Jahre nach dem blutigen Ende einer archerassistischen Ideologie eine junge Generation des Neo-Rassismus herangewachsen ist? Auch auf diese Frage finden wir bei C.J. die Antwort. Er schreibt:
Abgesehen davon, dass sich damit nach Memmi „Antirassismus“ als Werkzeug zur Erlangung von Privilegien deuten lässt, lernen wir: Unbemerkt von der Realwelt hat sich an Deutschlands Universitäten die Gegenwelt etabliert, in deren Konsequenz Neo-Rassisten gezeugt wurden und die von diesen getragen wird. Dieser Prozess erfolgt über ein Instrumentarium dessen, was gemeinhin als „Gehirnwäsche“ bezeichnet wird, durch „politische Sozialisierung“. Wenn nun, wie C.J. darlegt, diese Auffassung „akademische Hochkonjunktur“ hat, dann ist zu konstatieren, dass sich an den deutschen Universitäten eine rassistische Ideologie festgesetzt hat, die als klassische Scheinwissenschaft offensichtlich zahlreiche Fakultäten unterwandert hat und diese Unterwanderung nutzt, um ihre verfassungsfeindliche Ideologie zu verbreiten.
Der Erfolg der Neo-Rassisten
Wie erfolgreich die Neo-Rassisten zwischenzeitlich sind, legt C.J. im Weiteren seiner Ausführungen dar:
„Mit dem Verweis auf an Identität gekoppelte Expertise werden heute Diversity-Quoten eingefordert, die ‚ganz neue Perspektiven‘ einbringen sollen. Faktisch sind PoC noch immer überall da deutlich unterrepräsentiert, wo viel Geld verdient und wichtige Entscheidungen getroffen werden. Gleichzeitig aber sind Unis, Stiftungen, Beratungsstellen, NGOs, Teile des öffentlichen Dienstes und viele Medien heute voller junger AkademikerInnen, die intersektional denken. Dies ist vielerorts nicht marginalisiert, sondern teils längst hegemonial. Und auch dies sind Schaltstellen gesellschaftlicher Macht. Zu sehen war dies jetzt auch daran, wie wuchtig die Solidarisierung mit Hengameh Yaghoobifarah war.
Ältere LeserInnen und RedakteurInnen der taz tun sich damit teils schwer. Einige sehen ihre blinde Flecken, im Weltbild und im eigenen Handeln. Andere sind verunsichert, fürchten Rassismusvorwürfe und fragen sich, wo und wie sie als Weiße mitreden sollen, wenn von ihnen eigentlich nur erwartet wird, ‚sich über den eigenen Rassismus zu bilden‘. Und wieder andere finden, dass die Fixierung auf ‚Privilegenreflexion‘ und Identität viele wichtige Fragen unter den Tisch fallen lässt. Oder sie stoßen sich daran, dass für die Vorstellung gemischter politischer Organisierung und Solidarität in der intersektionalen Vorstellung von Antirassismus wenig Platz ist.“
Wir lernen: Die Neo-Rassisten der Gegenwelt sind über die Universitäten mittlerweile tief in die Realwelt eingedrungen und übernehmen dort wichtige Funktionen, in denen sie „vielerorts“ bereits „hegemonial“ agieren – also im Sinne ihres Neo-Rassismus Andersdenkende entweder ausgrenzen oder dominieren. Konkrete Konsequenzen dieser hegemonialen Übernahme sind beispielsweise sogenannte „Quoten“, mittels derer unabhängig von tatsächlichen Qualifikationen Intersektionalisten gegenüber Nicht-Intersektionalisten bevorzugt positioniert werden. Auch dieses ein offensichtlicher Verstoß gegen Artikel 3(3) GG.
Wir lernen weiterhin: In taz-Redaktion und Leserschaft gibt es noch Restbestände jener, die sich in der Realwelt bewegen. Diese jedoch neigen teilweise dazu, sich den Intersektionalisten zu unterwerfen oder knicken ein, weil sie befürchten, als Archerassisten stigmatisiert zu werden. Eine weitere Gruppe erkennt in der intersektionalistischen Ideologie ein monothematisches Modell, welches wesentliche Aspekte der Gesellschaftsbetrachtung unzulässig ausklammert.
Ein Autor auf Orientierungssuche
„Erstens: Meinungen sollen unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, wer sie äußert. Wer unterdrückt wird, hat erst mal recht. Dafür stehen Imperative, die etwa bei #MeTwo zu hören waren: Nicht relativieren, nicht infrage stellen, nicht anzweifeln. Am besten gar nichts sagen. Nur zuhören. Wie viele es sich auch bei der ‚Müll‘-Kolumne wünschten. Zum ‚nicht kritisieren‘ ist es da nicht weit. Für Journalismus, der ohne zu kritisieren nutzlos ist, ist das heikel, für den gesellschaftlichen Dialog auch.
Zweitens: Expertise, die auf eigener Erfahrung gründet, hat Vorrang. Heute ist ausgemacht, dass eine Talkrunde über Rassismus ohne PoCs inakzeptabel ist. Das Schlagwort lautet: Erkenntnisbarrieren. Aber was heißt das für andere Felder?
Drittens: Diskriminierten soll Sicherheit vor Verletzungen garantiert werden. Für den Journalismus heißt dies, sprachliche Gewalt zu unterbinden. Das bekannteste Beispiel ist die Ächtung des verletzenden N-Worts [gemeint ist „Neger“]. Die Implikationen gehen allerdings darüber hinaus: Wenn der Gewaltbegriff tendenziell der sozialen Aushandlung entzogen und der individuellen Definitionsmacht übertragen wird, ist er zwangsläufig entgrenzt. Auch ein Satz wie der eingangs geschilderte von Küppersbusch kann dann als rassistisch ausgelegt werden – und müsste folglich gestrichen werden. Extrem heikel.“
Das Ziel: Anarchistischer Individualterror
Diesen Darlegungen ist aus Sicht der Realwelt wenig hinzuzufügen auch dann, wenn C.J. den Neo-Rassismus entweder nicht erkennt oder nicht erkennen will. Er spürt als Vertreter eines immer noch kritischen Haltungs-Journalismus sehr wohl, dass die Positionen der Intersektionalisten auf ein uneingeschränktes Meinungsdiktat hinauslaufen, welches noch dazu nicht, wie in linken Kreisen üblich, innerhalb eines Kollektivs im wesentlichen Gleichgesinnter ausgehandelt wird, sondern in die alleinige Definitionshoheit selbstreferenzierender Einzelner gelegt wird. Das Ergebnis wäre zwangsläufig anarchistischer Individualterror, der angesichts der neorassistischen Grundausrichtung des Intersektionalismus ausschließlich von „People of Color“ gegen Vertreter der „whiteness“ gerichtet ist.
Ausgeblendet wird auch – mit Blick auf jene H.Y., die mit ihrer Müll-Kolumne auf sich aufmerksam machte – die Tatsache, dass die persisch-iranische Gesellschaft länger noch als die europäischen eine Sklavenhalterkultur gewesen ist. Durch die Eigendefinition als PoC wäscht H.Y. diesen historischen Makel von sich ab und verschafft sich darüber hinaus das uneingeschränkte Recht, nach Belieben Hassrede zu verbreiten. Das ist nicht nur bigott – es ist eben auch durch und durch rassistisch.
Auch NonPoC können Opfer von Alltagsrassismus sein
Wenn gleichwohl, wie C.J. feststellt, die Intersektionalisten bereits auf breiter Front von ihrer Gegenwelt in die Realwelt eingedrungen sind, dann haben sie im Clash of Civilizations bereits strategisch bedeutsame Positionen erobert.
Der taz-Autor, der mit seinen 41 Lenzen offenbar ahnt, dass auch er demnächst von seinen intersektionalistischen „KollegInnen“ zur „Alterskohorte 50+“ gezählt werden wird, versucht sich zum Abschluss seiner überaus informativen Kolumne mit klassischer „Links“-Logik aus der Affäre zu ziehen. Unter Hinweis auf seinen Kollegen Ambros Waibel, der in einem Text aus dem Jahr 2018 dieser „Alterskohorte“, die „politisch ein Riesendesaster“ hinterlassen habe, empfahl, den Jungen „ausnahmsweise mal zu[zu]hören“, beendet C.J. seinen Text mit der Feststellung: „Und damit hatte er nicht unrecht. Denn wären frühere Generationen Linker erfolgreicher gewesen, müssten viele Kämpfe heute gar nicht mehr geführt werden.“
Ich lasse an dieser Stelle dahingestellt, ob dem tatsächlich so wäre. Denn tatsächlich hat die politische Linke die Realwelt bereits in einem Maße verändert, dass sie in den Augen der Generation 60+ nur noch selten etwas zumindest mit der freiheitlich-demokratischen Bundesrepublik ante-89 zu tun hat.
Vor allem aber wird kein noch so gut gemeinter Erfolg „weißer“ Linker etwas an den Zielen der neo-rassistischen Intersektionalisten ändern. Zum einen deshalb, weil in diesem Weltbild auch weiße Linke zuallererst Weiße sind – zum anderen, weil der tatsächliche Hintergrund des Intersektionalismus der Kampf um eigene Privilegien und nicht um eine „gerechte“ Gesellschaft ist. Sollten dann vielleicht eines Tages die linken, weißen Allies merken, dass sie selbst längst zu Token, vielleicht sogar zu Sklaven der PoCs geworden sind, wird es für diese Erkenntnis allerdings zu spät sein.