Jeder kennt den Spruch. Wenn ein Schiff unterzugehen droht, ruft irgendwer: „Alle Mann von Bord, Frauen und Kinder zuerst!“ – und vielleicht wird dann noch ein „Rette sich, wer kann!“ hinterhergerufen.
Im Sinne des Emanzipationsgedankens ist besagter Spruch selbstverständlich mehr als fragwürdig – zumindest jedoch unlogisch. Denn nach der reinen Lehre sind Frauen keine und Kinder noch keine Männer. Zudem ist der daraus abzuleitende Vorgang der vorrangigen Rettung von Frauen und Kindern auch nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des bundesdeutschen Grundgesetzes vereinbar, denn er benachteiligt ohne jeden Zweifel eine bedeutende Gruppe allein wegen ihres Geschlechts. Jedoch – als diese Parole in der christlichen Seefahrt ihre Bedeutung erlangte, war an ein Grundgesetz noch nicht zu denken. Und an Gleichberechtigung auch nicht.
Biologische Notwendigkeit vor Eigennutz
Das „Frauen und Kinder zuerst“ hat verschiedene Ursachen. Zum einen geht es darum, diejenigen, die scheinbar oder tatsächlich am wenigsten in der Lage sind, in der Katastrophe ihre Rettung durch sich selbst zu organisieren, vor dem Tod zu schützen. Hier gelten traditionell Frauen als das schwache Geschlecht – und Kinder sowieso. Bei Letzteren kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Sie, die ihr Leben noch vor sich haben, können im Sinne der Arterhaltung den größten Anspruch auf Überleben geltend machen. Da wiederum vor allem die Jüngsten allein für sich kaum überlebensfähig sind, müssen sie gemeinsam mit ihren Müttern gerettet werden. Was letztlich bedeutet, dass es eigentlich „Mütter und Kinder zuerst“ hätte heißen müssen.
Frauen jammern gegen härtere Angriffe
Szenenwechsel. Gegenwärtig erleben wir in der Bundespolitik eine spannende Variante des klassischen „Frauen und Kinder zuerst“. Er kommt daher als emotionale Mischung aus Galanterie und Welpenschutz. Politiker wie Promotionsabbrecherin Annalena Baerbock und die Titelerschleicherin Franziska Giffey beklagen sich darüber, Frauen seien in der Politik härteren Angriffen als ihre männlichen Kollegen ausgesetzt. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, klassischer Vertreter der Rubrik alter, weißer Mann, kontert: „Wer die Hitze nicht verträgt, hat in der Küche nicht verloren!“
Allerdings galt auch damals schon – oder sagen wir besser: damals noch – die zwingende Bedingung, dass Frauen in der Politik ihren männlichen Konkurrenten intellektuell ebenbürtig sein mussten. Frauen konnten seinerzeit zwar allein schon deshalb, weil es von ihnen in der Politik deutlich weniger als Männer gab, schneller in den Karrierefocus vorrücken – für eine als bemerkenswert zu beurteilende Politiker-Karriere bedurfte es jedoch damals noch mehr als nur der Tatsache, als Frau geboren worden zu sein. Frauen, die es damals in den Parteien zu Führungspositionen brachten, mussten stark und im Sinne der politischen Qualifikationen „gut“ sein – meist sogar besser als ihre männlichen Konkurrenten. Wer als Frau seinerzeit über vorgeblich „härtere Angriffe“ gejammert hätte, wäre schnell im Unterbau der Parteien verschwunden.
Quote ersetzt starke Frauen
In den Folgejahren erfasste der emanzipatorische Anspruch, auch in der Politik gleichberechtigt zu sein, letztlich sogar die Unionsparteien. Zwar hütete sich die Union vor verfassungs- und genderwidrigen Zwangsquoten und Listenbesetzungsvorgaben, jedoch sorgten bereits Regelungen wie jene, wonach von drei zu besetzenden Positionen mindestens eine an eine Frau gehen müsse, dafür, dass der ursprüngliche Qualitätsbonus durch einen Geschlechtsbonus ersetzt wurde. Das wiederum organisierte bei tatsächlich selbstwussten, starken Frauen einen grundsätzlichen Widerstand gegen jegliche Quotenregelung. So betrachtete beispielsweise Marita Meyer-Kainer, bis 2017 Vorsitzende der Hamburger Frauen-Union, die Quote letztlich sogar als einen Angriff auf die Würde der Frau. Für sie bedeutete jegliche Quote zwangsläufig sowohl die Unterstellung wie das Eingeständnis, dass jene, die der Quote bedurften, gegenüber nicht quotenfähigen Konkurrenten qualitativ minderwertiger sind. Anders formuliert: Wer seine Karriere auf einer Quote aufbauen muss, stellt damit unter Beweis, dass er für diese Karriere ungeeignet ist.
Die Quote befördert insofern in mehrfacher Weise eine ohnehin schon aufgrund der Unwägbarkeiten des Politikerdaseins bestehende Negativauslese, was wiederum für die Qualität von Politik insgesamt nicht ohne Konsequenzen bleiben kann.
Die Statuten der Grünen als Perfektion des emanzipatorischen Paradoxons
Einen in jeder Hinsicht mehr als fragwürdigen Höhepunkt des emanzipatorischen Paradoxons liefern die als Anti-Establishment-Partei gestarteten Grünen. Scheinbar als perfekte Vertreter des feministischen Anspruchs auftretend, führt die Quote bei ihnen so weit, dass bei Listenplatzierungen weibliche Bewerber grundsätzlich vor männlichen Konkurrenten gesetzt werden – und bei einem Mangel an bewerbungswilligen Frauen zu besetzende Posten sogar unbesetzt bleiben müssen, obgleich qualifizierte Männer bereitstehen. Ist bereits jeder nicht besetzte „Frauenplatz“ letztlich das dokumentierte Eingeständnis, dass Politik mangels politischer Frauen auch heute vorrangig Männersache ist, so beschleunigt der krampfhafte Zwang, sich genau diese zuvor erwähnte Blöße nicht zu geben, die Negativauslese. Grünen Quotenfrauen darf insofern unterstellt werden, nicht nur qualitativ auf gleicher Ebene konkurrierenden Männern unterlegen zu sein – sie treten auch spätestens dann, wenn „Frauenplätze“ unbesetzt bleiben müssen, den Beweis an, dass die weiblichen Kandidaten insgesamt dem männlichen Angebotsfeld qualitativ unterlegen sind.
Gesonderte Behandlung trotz Gleichbehandlungsanspruch
Aus diesem emanzipatorischen Paradoxon nun leiten Quotenfrauen gemäß dem traditionellen, aber anti-emanzipatorischen „Frauen und Kinder zuerst“ den Anspruch ab, in der Politik anders als Männer behandelt zu werden. Sie formulieren das allerdings im Sinne einer um Mitleid heischenden Opferrolle dialektisch um: Statt, wie es den Tatsachen entspricht, für Frauen einen „weicheren“ Umgang zu fordern, behaupten sie, als Frauen „härteren Angriffen“ ausgesetzt zu sein.
Die dialektische Umkehr des Tatsächlichen, mit der nun die angeblich emanzipierten Frauen Baerbock und Giffey einen Welpenschutz für weibliche Politiker einfordern, macht das emanzipatorische Paradoxon perfekt. Ob Quote oder Sonderschonung in der politischen Auseinandersetzung: Jene Frauen, die offensichtlich nur über die Quote in ihre Führungspositionen gelangen konnten, sind der lebendige Beweis dafür, dass Quoten und Sonderbehandlungen den emanzipatorischen Anspruch konterkarieren. So entpuppen sich vor allem die Grünen als eine Partei, die unter der Monstranz der Emanzipation den Beweis für die Unterlegenheit der Frau in der Politik antritt.
Emanzipation versus Personenstandsgesetz
Allein – damit ist es nicht getan. Hier nun spielt auch das Personenstandsgesetz eine Rolle, welches die biologische Geschlechtsidentität um die Möglichkeiten der Nicht-Geschlechtlichkeit wie des Geschlechtswechsels erweitert hat.
Auch hier also tritt das emanzipatorische Paradoxon auf den Plan: Die Quotenfrau scheitert im Quotenpoker, wenn ein Konkurrent – gleich ob männlich, weiblich oder etwas anderes – mehr Quotenpunkte auf sich vereinen kann. Und die Frau, die um Gleichberechtigung und Gleichbehandlung kämpft, macht sich einmal mehr zum Spielball von Regularien, die sie selbst gegen sich aufgestellt hat, obgleich sie sie zum eigenen Nutzen aufstellen wollte.
Die Lösung des Dilemmas der Geschlechterquoten
Wie nun aber ist dieses Dilemma zu lösen, wie das emanzipatorische Paradoxon zu überwinden?
Die Lösung findet sich in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zur Anerkennung von Transgendern, Geschlechtsumwandlung und Geschlechtsbestimmung. Per Gesetz wurde mittlerweile die Möglichkeit geschaffen, das gefühlte oder biologisch falsche oder undefinierbare Geschlecht in das Personenstandsregister eintragen zu lassen. Von emanzipatorischen Kreisen gefeiert, ist jedoch auch diese Gesetzgebung nichts anderes als ein Teil des emanzipatorischen Paradoxons. Denn statt, wie es das Grundgesetz vorsieht und festschreibt, jegliche Ungleichbehandlung des Geschlechts wegen grundsätzlich zu verhindern, manifestiert es Unterschiede exakt hinsichtlich des Geschlechts.
Mit der Transsexuellen- und Personenstandsgesetzgebung hat der Gesetzgeber der Emanzipation einen Bärendienst erwiesen. Da das Geschlecht – gleich ob biologisch oder gefühlt – bei der Behandlung von Bürgern keinerlei Rolle spielen darf, muss der Staat auch nicht wissen, welchem Geschlecht sich der Bürger zuordnet oder nicht zuordnet. Es besteht für die Verwaltung schlicht kein Bedarf mehr für die Kenntnis des Geschlechts – also kann auf diese Feststellung konsequent verzichtet werden.
Auch Gendersprache ist anti-emanzipatorisch
Somit übrigens offenbart sich auch der krampfhafte Versuch der Durchsetzung von angeblich gendergerechter Sprache als Teil des emanzipatorischen Paradoxons. Denn statt geschlechtsbedingte Unterscheidungen zu unterlassen, wie dieses die deutsche Sprache seit Ewigkeiten durch generisches Maskulinum und generisches Femininum tut, manifestiert Gendersprache die grundgesetzlich zu überwindende Unterscheidung nach Geschlecht.
Was nun das pseudo-feministische Gejammer über angeblich „härtere Angriffe“ gegen Frauen in der Politik betrifft, hat Schäuble das Entscheidende bereits gesagt. Wobei – er hätte es auch anders formulieren können: Wer ins Haifischbecken springt, muss entweder selbst ein Hai sein oder damit rechnen, gefressen zu werden.
Welpenschutz ist was für das Kinderzimmer – in der realen Welt der Erwachsenen hat er ausgedient. Und die Situation der vergesslichen Dorie, die bei ihrer Suche nach dem gefangenen Nemo im Haifischbecken Pazifik auf vegetarische Haie trifft, gibt es eben nur im Märchen.
Vielleicht wäre es an der Zeit, dass dieses jemand einmal den Jammerdamen erklärt – und ihnen in diesem Zusammenhang darlegt, dass ihr Gejammer im Sinne von Emanzipation und Gleichberechtigung alles andere als hilfreich ist, weil es letztlich nur dazu dient, möglicherweise immer noch vorhandene Vorurteile über die Minderbefähigung von Frauen in der Politik zu fördern.