Tichys Einblick
Jörg Sartor hat die SPD aufgegeben

„Was weg ist, ist weg“ – die SPD in ihrer einstigen Hochburg Essen

"Was weg ist, ist weg", stellt Jörg Sartor nostalgisch fest. Er meint den Arbeiterstadtteil in Essens Norden, in dem er aufwuchs. Das trifft ebenso zu auf eine Partei, die als Arbeitervertretung groß wurde, deren Funktionäre in einer Parallelwelt leben, in der jeglicher Bezug zum wahren Leben nur noch mit ideologischer Abscheu betrachtet wird.

imago Images/epd

Am kommenden Sonntag sind Kommunalwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Nicht wenige sehen darin einen Stimmungstest: Für den Möchtegern-CDU-Vorsitzenden und Kanzlerbewerber Armin Laschet ebenso wie für den ExCum-angeschlagenen SPD-Kanzlerbewerber Olaf Scholz. So lohnt es sich dann doch, auch mal einen Blick auf die Mainstream-Medien zu werfen. Und da hat der Berliner „Tagesspiegel“ am 9. September einen durchaus bemerkenswerten Artikel veröffentlicht.

Sonst recht vorbehaltlos in rotgrüner Linientreue verharrend, stehen in dem Artikel unter der Überschrift „Warum Jörg Sartor die SPD aufgegeben hat“ die Zeichen nun auf Sturm. Sturm gegen die SPD, gegen die pseudointellektuellen Linksutopisten, die die SPD gekapert und von der Volkspartei zum Club der Sektierer gemacht haben.

Sartor, der Heimatlose

Jörg Sartor ist das, was man als sozialdemokratisches Urgestein bezeichnen kann. Vor 64 Jahren in Essen, einst eine Hochburg der SPD, geboren, war die Partei von Willy Brandt und Helmut Schmidt für ihn immer die Heimat der sogenannten „kleinen Leute“. In Essen waren das vor allem jene, die im Bergbau ihr Geld verdienten und davon träumten, dass es ihren Kindern einst besser als ihnen selbst gehen sollte. Die SPD war ihnen Garant dafür, dass aus Steigern Aufsteiger werden konnten. Eine Partei für Menschen, die in der sozialen Marktwirtschaft der BRD nie ihre Bodenhaftung verloren und die davon träumten, über ihre Arbeit einen kleinen Wohlstand schaffen zu können. Und die dabei irgendwie das waren, was sie heute nicht mehr sein dürfen: Typisch deutsch. Für die ihr Kiez Heimat war. Doch das ist lange her.

Es war einmal
Der stille Exodus der klassischen Sozialdemokraten
Sartor beklagt den mit den Händen zu greifenden Niedergang der Stadt, in der einst das Herz der deutschen Stahlindustrie schlug. Doch die kleinen Läden, mit denen er groß geworden ist, sind weg. Stattdessen Ramschläden, Shisha-Bars, Wettbuden. „Strukturwandel“ nennen das jene, die als Sozialdemokraten in Essens Rathäusern lange das Sagen hatten und die dafür sorgten, dass die Stadt die Weltkonzerne RWE, Thyssenkrupp und Steag als größten Arbeitgeber abgelöst haben. Doch Sartor kann mit diesem Wort nichts anfangen. Für ihn ist Strukturwandel eine „leere Hülse“ – ein Wort, das nur den Niedergang beschönigen soll. Ein bürokratischer Kunstbegriff, der beschreibt, wie dem „Pott“ mit dem Bergbau sein Herz herausgerissen wurde. Die Schuld daran gibt er jenen, die für ihn immer politische Heimat und Hoffnung zugleich waren.
Die SPD der Arbeiter ist tot

Doch diese SPD ist tot. Gestorben und für die Leute an Rhein und Ruhr nicht mehr wählbar. Sartor macht das an einer Politik fest, die die Bedürfnisse der kleinen Leute völlig aus den Augen verloren hat. Und an Personen. So am SPD-Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Essen.

„Da kriege ich das kalte Kotzen“, zitiert der Tagesspiegel den Mann, der 30 Jahre unter Tage gearbeitet hatte und später in der Tradition der Kümmerer die Essener Tafel aufbaute, wenn er auf den Bewerber schaut, der seine Wähler mit Werbefotos in schicken Anzügen gewinnen will. Sartor spricht von Oliver Kern, einem typischen Vertreter der neuen SPD: Gelernter Erzieher, Gesundheits- und Sozialökonom, Geschäftsführer des örtlichen Kreisverbandes der NGO Arbeiterwohlfahrt. „Leute, die noch nie in ihrem Leben richtig gearbeitet haben, wie der Kevin Kühnert in Berlin“, stellt Sartor fest und beschreibt die Parteielite zutreffend als Personen, die in ihrem Leben nichts anderes geleistet haben, als für Abgeordnete oder SPD-nahe NGO tätig gewesen zu sein. Menschen eben, die keine Ahnung vom wirklichen Leben haben.

Von den Genossen verraten

Diese SPD-Funktionäre auch waren es, die Sartors Liebe zur SPD den Rest gegeben hatten. Als ab 2015 die sogenannten „Flüchtlinge“ ins Land strömten, merkte er, dass die Politik aus dem Ruder läuft. Anfang 2018 platzte ihm der Kragen. Denn er sah, wie etwas kippte.

Ein Abschied nach dem anderen
„Die SPD ist eine Partei, in der man die Wirklichkeit nicht beschreiben darf“
Bis dahin half er mit seiner „Tafel“ vor allem älteren Menschen und alleinerziehenden Müttern, deren Rente und Sozialhilfe kaum reichte, das zum Leben notwendige zu bezahlen. Doch nun standen in den Schlangen vor der kostenlosen Essensverteilung immer mehr Menschen, die man nie zuvor gesehen hatte. Vor allem junge Männer, deren Auftreten Angst verbreitete, deren Gehabe die Alten und die Mütter verschreckte. Als drei Viertel der nach kostenloser Lebensmittelversorgung Strebenden aus diesen Menschen bestand, schlug Sartor Alarm. Er verhängte einen Ausgabe-Stopp für die Aufnahme weiterer Zuwanderer – und fand sich bundesweit in den Schlagzeilen als Ausländerfeind.

Katharina Barley, die íns EU-Parlament entsorgte SPD-Funktionärin, ließ als damalige Ministerin aus dem fernen Berlin wissen, eine solche Aktion passe nicht zu den Grundwerten einer solidarischen Gemeinschaft. Merkel schwafelte etwas davon, das sei „nicht gut“. Aus den Niederungen kamen die üblichen Beschimpfungen als „Rassist“.

Die Integration ist gescheitert

All das traf Sartor. „Hier leben wir seit 60 Jahren mit vielen Ausländern: Türken, Italienern, aber es gab früher eine Durchmischung. Die kamen nach der Schicht mit in die Kneipe, sie wurden integriert und wollten sich integrieren. Ich habe viele Freunde mit türkischen Wurzeln im Fußballverein, die sind Zollbeamte oder bei der Feuerwehr“, sagt er.

Nein, ein Rassist ist Sartor sicherlich nicht. Nur jemand, der sich um das Zusammenleben ernsthafte Sorgen macht. Die Schuld daran sieht er beim türkischen Präsidenten Erdogan – und bei der SPD. Plötzlich, in der dritten Generation, trügen die jungen Mädchen wieder Kopftuch. Die Türken bewegen sich hinaus aus der deutschen Gesellschaft, doch statt nach Wegen zu suchen, diese Entwicklung aufzuhalten, laufe die SPD dem Trend verzweifelt hinterher. Sartor macht das fest an Kandidaten, die nur wegen ihres Migrationshintergrundes auf vorderen Plätzen der Wahllisten platziert werden. Unbekannte für den Essener, Menschen, die im Kiez niemand kenne. So gewinne man niemanden, für die SPD zu stimmen.

„Mit der SPD bin ich durch“

Sartor hat mit der SPD abgeschlossen. Als die Partei bei den EU-Wahlen Barley zum Spitzenkandidaten gemacht hatte, gab er seine Stimme zum ersten Mal in seinem Leben der CDU. Zu tief die Verletzung: „Bleib mir weg. Scheißegal, was die sagt.“
Für die Kommunalwahl am Sonntag hat er trotz Merkel seine Stimmen bereits per Briefwahl für die CDU abgegeben. Auch bei den nächsten Bundestagswahlen wird er keinesfalls für die Sozialdemokratie stimmen.

Über das Ende einer Volkspartei
Vielleicht will die SPD gar nicht, dass es sie gibt?
Zu Scholz winkt er nur müde ab: „Hilft denen auch nicht.“ So, wie auch ein Brief vom Ex-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück dem SPD-Urgestein Sartor nicht geholfen hat, mit dem der Mann aus dem Norden, der wie ein Korken auf der auch ihm längst fremden SPD schwamm, den langjährigen Genossen Sartor vor den Angriffen aus der SPD in Schutz nehmen wollte. „Mit der SPD bin ich durch. Wir reißen uns hier den Arsch auf und die urteilen über uns.“ So setzt er nun auf die CDU, weil er in der AfD trotz deren Erfolgen bei der deutschen Bevölkerung im Stadtteil immer noch den größten Gegner sieht. Und irgendwie will sich hier das berühmte Zitat aufdrängen, wonach die Hoffnung zuletzt stirbt.

„Was weg ist, ist weg“, stellt Sartor nostalgisch fest. Er meint damit den Arbeiterstadtteil in Essens Norden, in dem er aufgewachsen ist und der für ihn auch noch Heimat ist, obwohl längst alles ferne Geschichte ist, was diese Heimat einst ausmachte.

Was weg ist, ist weg. Das trifft ebenso zu auf eine Partei, die als Arbeitervertretung gestartet und groß geworden war. Die mit ihren Wurzeln auch ihre Wähler verloren hat. Deren Funktionäre in einer Parallelwelt leben, in der jeglicher Bezug zum wahren Leben nur noch mit ideologischer Abscheu betrachtet wird.

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