Manchmal macht es Sinn, sich Wahlergebnisse etwas genauer anzuschauen. So auch in Hamburg. Dort bejubelte die Kühnert-Borjans-Eskens(KBE)-SPD der marxistisch-leninistisch geschwängerten Linken das gloriose Ergebnis der Hamburger Genossen: 39,2 Prozent scheinen angesichts der Bundesprognosen im Bereich um die 13 Prozentchen tatsächlich Hoffnung schöpfen zu lassen.
Dagegen das Ergebnis der CDU. Es signalisiert rasanten Niedergang. Auf gerade einmal 11,2 Prozent kamen die Hansechristen – ihr ohnehin immer ein wenig zerknirscht wirkender Spitzenkandidat Marcus Weinberg war am Boden zerstört. Glück im Unglück für ihn: Die Hamburger Oppositionsbänke bleiben ihm erspart. Das einst von einem erklärten NGO-Anarchisten durchgesetzte Wahlrecht sorgte dafür, dass die 15 zu besetzenden Abgeordnetenmandate der Christdemokraten sämtlich aus den Wahlkreisen gefüllt werden. Weinberg steht damit – trotz Listenplatz Nummer Eins – ausgesperrt vor Rathaustür und Bürgerschaftspforte. Womit nun der FC Bundestag jubeln darf: Ihr Kapitän bleibt in Berlin und ihm erhalten.
Ein harter Schicksalsschlag traf auch die FDP. Erst knapp drin, stolperte der Landeswahlleiter über eine Ungereimtheit im nordhamburgischen Langenhorn. Dort waren die grünen Stimmen den Gelben zugewiesen worden – und umgekehrt. Mit der Nachauszählung am Montag dann stand fest: Nur noch 4,9 statt knäppliche 5,0 Prozent für die FDP – nichts mit Bürgerschaft. Oder besser: Fast nichts. Denn das komplizierte Wahlrecht hatte immerhin dafür gesorgt, dass die FDP-Spitzenfrau aus dem Stadtbezirk mit den gefühlten Reichen als einziger FDP-Kandidat über den Wahlkreis Blankenese in das Landesparlament einziehen konnte. Dort darf sie nun allein auf weiter Flur die gelbe Fahne hochhalten – oder bei einer anderen Fraktion unterschlüpfen, um ein paar mehr parlamentarische Rechte zu erhalten.
So weit, so scheinbar eindeutig. SPD trotz deutlicher Verluste der Gewinner – CDU und FDP die absoluten Verlierer, nachdem sogar die ungeliebte AfD es allen medialen Prognosen zum Trotz auf immerhin noch 5,3 % brachte und nun wieder mit sieben Abgeordneten auf den Rechtsaußenbänken des Parlaments sitzen darf.
Große Diskrepanzen zwischen Landes- und Wahlkreislisten
Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Schauen wir genauer hin, dann stellen wir fest: Ein nicht unbedeutender Teil vor allem der CDU-Wähler hat taktisch gewählt. In den Wahlkreisen, wo die Bürger direkt ihre Stimme für den Regionalbewerber abgeben können, liegt die CDU nämlich deutlich höher. In konkreten Zahlen:
- Auf der Landesliste entfielen auf die CDU 452.372 Stimmen. Bei jeweils fünf abzugebenden Stimmen entspricht dieses mathematisch 90.474,4 Wählern.
- Bei den Wahlkreislisten hingegen brachte es die CDU auf 604.332 Stimmen – entspricht 120.886,4 Wählern.
Hier wird eine Diskrepanz von 151.960 Stimmen beziehungsweise 30.392 Wählern erkennbar. Anders formuliert: Rund ein Viertel jener Hamburger, deren Herz regional für die CDU schlägt, verweigerte der Partei auf Landesebene die Unterstützung – und ließ die künftige Fraktionsstärke im Landesparlament damit erheblich schrumpfen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Regional brachte es die CDU auf 15,1 statt 11,2 Prozent auf Landesebene. Das wiederum entspricht fast dem Landesergebnis von 2015, als die CDU noch bei 15,9 % lag.
Grund zum Jubeln allerdings bietet für die Union auch dieses nicht. Bei der Landesliste beträgt der Rückgang von 2015 auf 2020 exakt 109.005 Stimmen oder 21.801 Wählern. Bei den Regionallisten beträgt die Differenz 86.847 Stimmen und damit 17.229,4 Wähler, die sich 2015 noch für die CDU-Wahlkreiskandidaten entschieden hatten.
Das gibt Anlass zu der Frage, warum bei der CDU zwischen der Anzahl derjenigen, die bei den Wahlkreislisten für die Partei stimmen, und jenen, die die Landesliste unterstützen, derart große Unterschiede festzustellen sind.
Unattraktives Landespersonal?
Die einfache Antwort könnte lauten: Die Landesliste ist mit unattraktivem Personal besetzt, während die örtlichen Kandidaten in ihren Wahlkreisen top-vernetzt sind. Jedoch – wäre dem so, dann müsste dieses zumindest auch für die großen Konkurrenzparteien zutreffen. Dass dieses nicht der Fall ist, zeigt allein schon der Unterschied bei den ausgewiesenen Prozenten, und die Vorstellung, dass allein die CDU regional überaus beliebte Kandidaten präsentiert, während die anderen Parteien sich dort mit unattraktiven Bewerbern präsentieren, macht wenig Sinn. Die etwas differenziertere Antwort finden wir deshalb, wenn wir auf die entsprechenden Diskrepanzen bei den anderen Parteien schauen.
Blicken wir zuerst auf die Grünen, die sich noch im Sommer 2019 ernsthaft mit Klimahype und Medienfeuerwerk Hoffnungen machten, Peter Tschentscher als Bürgermeister ablösen zu können. Hier liegen die Listenergebnisse aktuell bei 980.361 Stimmen oder 196.072,2 Wählern. In den Wahlkreisen holten die Klimahysteriker mit 1.037.967 Stimmen sogar 207.593,4 Wähler – also immerhin noch gut 10.000 mehr als für die Landesliste.
Nicht ganz so üppig fiel der Wahlkreisüberschuss bei der FDP aus. Doch die 3.724,8 Wähler, die der Landesliste die Zustimmung verweigerten, sollten letztendlich das parlamentarische Aus für die Lindner-Partei bedeuten. Auf 15.563,2 Wähler der Wahlkreislisten verzichten mussten auch die SED-Nachfolger. Lediglich die AfD-Wähler verhielten sich vergleichsweise standorttreu: Die in die virtuelle politische Quarantäne verwiesene Alternative konnte bei den Wahlkreiskandidaten nur 461,6 Wähler mehr für sich begeistern.
Lieber Tschentscher als Fegebank
Halten wir also fest: Ob CDU, Grüne oder Kommunisten – sie liegen bei ihren Listenergebnissen mehr oder weniger bedeutend hinter der Zustimmung in den Wahlkreisen zurück. Dafür muss es eine Erklärung geben. Und dieses findet sich, wenn wir nun unseren Blick auf die SPD richten.
Der führenden Regierungspartei gelang es immerhin noch, für ihre Landesliste 1.591.098 Stimmen einzusammeln. Im Jahr 2015 waren es noch 1.611.274 Stimmen, womit der Realverlust bei nur knapp über 4.000 Wählern liegt. Deutlich anders allerdings sehen die Zahlen aus, wenn wir auf die Wahlkreislisten schauen. Hier brachte es die SPD 2020 nur auf 1.401.459 Stimmen. Damit beträgt die Differenz von Landesliste zu Wahlkreislisten 209.815 Stimmen oder 41.936 Wähler. Schauen wir auf die Wahlkreislisten, so liegt die SPD in Hamburg nicht bei 39,2, sondern bei 34.9 Prozent.
Die Erklärung liegt auf der Hand: Rund ein Viertel derjenigen Wähler, die zur CDU neigen, gab bei der Landesliste der SPD ihre Stimmen. Bei den Kommunisten waren es rund ein Fünftel, bei der FDP ein Zehntel und bei den Grünen ein Zwanzigstel – allesamt landeten bei der SPD.
Oder nein – nicht bei der SPD. Sondern bei deren Spitzenkandidat Tschentscher. Denn angesichts der medialen Beschwörung eines Kampfes um das Amt des Ersten Bürgermeisters zwischen SPD-Tschentscher und Katharina Fegebank von den Grünen entschieden sich offensichtlich vor allem potentielle CDU-Wähler dafür, lieber die Grüne zu verhindern, als die CDU zu unterstützen. Deshalb gaben sie dort, wo es um den Bürgermeisterposten ging, ihre Stimme dem Amtsinhaber. Warum auch nicht: Ob in der künftigen Bürgerschaft 14, 18 oder 20 Abgeordnete der CDU sitzen, die bei der Gestaltung der Hamburgischen Politik keine Bedeutung haben, schien diesen Wählern vernachlässigbar. Entscheidend war, einen gemäßigten, nicht zur Extremen neigenden Bürgermeister zu sichern. Und so können wir feststellen: Das halbwegs gute Abschneiden der SPD in der Hansestadt hat sie ausschließlich ihrem dortigen Bürgermeister zu verdanken – und der grünen Kampagne, diesem das Amt abnehmen zu wollen und das vielleicht sogar zu können.
Keine Signale für den Bund
Das sind keine guten Aussichten für die KBE-SPD, sollte sie auf die Idee kommen, bei der nächsten Bundestagswahl mit Kalibern wie Walter-Borjans oder noch weiter links stehenden Bewerbern antreten wollen.
Eine Klatsche allerdings ist diese Stimmabgabe auch für den linksgrün-medialen Komplex, der sich seit geraumer Zeit alle erdenkliche Mühe gibt, einen grünen Bundeskanzler herbei zu beten. Hamburg hat gezeigt: Mag die klimahysterische Kampagne auch bei rund einem Viertel der Wähler verfangen – an der breiten Mehrheit der Bürger geht sie vorbei. Da wählen dann sogar Unionsanhänger lieber einen gemäßigten SPD-Mann als einen grünen Regierungschef, und die FDP-Freunde riskieren sogar, besser überhaupt nicht mehr im Parlament vertreten zu sein als von Grün regiert zu werden.
Das mag zwar in der Hansestadt vor allem CDU und FDP Schmerzen bereiten – doch es macht auch deutlich: Hochrechnen auf Bundesergebnisse lässt sich das Hamburger Stimmverhalten nicht. Mag die KBE-SPD im Moment noch so jubeln – gewählt wurde in Hamburg nicht ihre SPD-ML, sondern jene Sozialdemokratie, die sie auf Bundesebene seit geraumer Zeit mit Verve und ohne Fortune zu Grabe tragen.