Der Anlass war ein im Iran fast schon alltäglicher. Mahsa Amini, als Kurdin gewohnt, ihr Haupthaar offen zu tragen, wurde von der islamischen Sittenpolizei verhaftet und eingekerkert, weil sie den Kopftuchzwang der Greise Allahs zu locker ausgelegt hatte. Die vom Obermullah Khamenei befeuerten, psychopathischen Sittenwächter im Namen des Koran ließen die 24 Jahre alte Frau in Haft sterben. Die Umstände werden wohl nie geklärt werden. Die verantwortlichen Schergen des Regimes sprechen von Herzversagen – der Vater erklärt, seine Tochter habe niemals Herzprobleme gehabt.
Der Tod der jungen Frau löste im Iran eine Welle der Empörung aus. Die junge Generation, die die Diktatur der Greise Allahs längst nicht mehr erdulden will, ging landesweit auf die Straße. Junge Frauen rissen sich provokativ den Hijab vom Kopf, steckten das Symbol der islamischen Unterdrückung in Flammen. Doch das Regime schlug zurück. Der Kopftuchzwang ist die DNA des Staats der Theokraten. Fällt das Kopftuch, fällt das Regime.
So zeigte die angebliche Friedensreligion des Mohammed einmal mehr ihr wahres, ihr grausames Gesicht. Die Protestierenden wurden mit der schon immer üblichen Brutalität bekämpft, allein bis vergangenen Montag wurden nach offiziellen Angaben mehr als 1.200 Menschen verhaftet. Dem Terrorregime gelten sie als „ausländische Agenten“, denen hohe Strafen bis zum Tod durch den Strang drohen. Wie stets, wenn sich im Iran Widerstand gegen die Gottesdiktatur regt, kennt die Gewalt der herrschenden Stellvertreter Mohammeds keine Grenze. Beobachter sprechen mittlerweile von mindestens 76 Toten – die wahre Zahl wird sich vor allem in den zerklüfteten Bergregionen, in denen die von den Schiiten unterdrückten Kurden seit Jahrzehnten um ihre Unabhängigkeit kämpfen, niemals feststellen lassen. Und wie in der Vergangenheit werden zahlreiche der Gefangenen in Haft den Tod finden, ohne dass deren Namen und Todesursachen jemals irgendwo veröffentlicht werden.
Alles wie immer – oder doch nicht?
Also alles wie gehabt? So wie immer, wenn es mutige und verzweifelte Iraner, die sich vom Regime um Gegenwart und Zukunft betrogen fühlen, auf die Straße trieb und sie von diesem niedergeknüppelt wurden? Vieles deutet darauf hin. Nach wie vor verfügt die Opposition über keine koordinierenden Strukturen und über keine Leitfigur. Beflügelt wird sie von der Toten in der Haft der Sittenpolizei – doch Tote können keinen Aufstand leiten. Auch keinen der Frauen. Die Zahl der Getöteten und der Inhaftierten scheint dafür zu sprechen, dass der Terror auch dieses Mal wieder obsiegen wird. Und doch ist etwas anders.
Das Regime, das sich wie alle Autokratien den Protest gegen den eigenen Irrtum mit einer Einflussnahme von „äußeren Mächten“ erklären will, scheint erstmals zu ahnen, dass seine Tage gezählt sein könnten. In seiner Not schlägt es um sich und kennt keine Grenzen mehr.
Weil es ein Zentrum des Widerstands bei den Kurden im Norden vermutet, greift der Iran seit Dienstag die benachbarte Kurdische Autonomieregion im Nordirak mit Drohnen und Artillerie an. Angeblich, um dort jene zu exekutieren, die die Aufstände im Iran gesteuert hätten. Tatsächlich jedoch treffen sie vor allem iranische Kurden, die vor dem Terror der Mullahs ihr Heil bei den Brüdern und Schwestern um Erbil gesucht haben. Wie bei den Türken Erdogans definiert im Iran die Angst vor einem unabhängigen Kurdenstaat den Umgang mit den Minderheiten im eigenen Land.
Doch es sind nicht nur die Kurden, die den Greisen Allahs Sorgen bereiten. Es sind vor allem die Frauen, die immer selbstbewusster gegen das Symbol der islamischen Unterdrückung aufstehen. Nun traf es sogar die Tochter des 2017 verstorbenen, früheren Präsidenten Mullah Ali Akbar Hashemi Rafsandschani. Faezeh Hashemi hatte ihren Vater beim Wort genommen, als jener 2007 erklärte, die islamischen Gesetze passten nicht mehr in die Zeit, jedoch als Mullah und Staatspräsident nichts unternahm, daran etwas zu ändern. Faezeh wollte etwas ändern, legte sich wiederholt mit den Kollegen ihres Vaters an. Nun sitzt auch sie im Kerker, soll wegen Anstiftung zum Aufruhr angeklagt werden.
Der Sohn des Schah hofft auf friedlichen Übergang
All das spricht für die Nervosität der Herren über die Knüppelgarde Mohammeds. Doch ob Reza Pahlevi, Sohn des 1979 gestürzten, letzten Schahs richtig liegt, darf dennoch bezweifelt werden. Er sieht in den anhaltenden Protesten „die erste Revolution für Frauen durch Frauen“ und erwartet „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ in absehbarer Zeit den Zusammenbruch des islamischen Regimes. Der Mann, der in den USA lebt und von vielen Exil-Iranern deshalb als Hoffnungsträger gesehen wird, weil er der Restauration des Schah-Regimes eine Absage erteilt hat und auf eine parlamentarische Demokratie setzt, in der Staat und Kirche strikt getrennt sind, könnte sich auch dieses Mal irren.
Die Überlebensdauer von revolutionären Diktaturen wird im Allgemeinen auf drei Generationen geschätzt: Die erste Generation, die die Revolution mitgemacht hat und selbst dann, wenn diese aus dem Ruder läuft, mitlaufen muss. Die zweite Generation, die in die Diktatur hineingeboren wird und angesichts der Stärke des Regimes keinen zielorientierten Widerstand wagt. Dann die dritte Generation, die im Erwachsenwerden die Zwänge der Diktatur abschütteln will und für die Freiheit auch deshalb Haft und Leben riskiert, weil das Regime in sich marode geworden ist und jede Faszination verloren hat. In der Regel liegen solche Laufzeiten zwischen 40 und 60 Jahren.
Die Diktatur Allahs wurde 1979 begründet, steht heute im 43. Jahr ihrer Existenz. Der Todeskampf des Niedergangs kann insofern noch einige Jahre anhalten – auch deshalb, weil immer noch zu viele Nutznießer des Regimes zu fest in ihren Positionen sitzen und zu den Verlierern eines Umsturzes würden. So hilft auch Pahlevis Hoffnung wenig, dass das Regime in einer „kontrollierten Implosion“ untergeht und „einen sanften, friedlichen Übergang“ ermöglicht. Gegenwärtig spricht weder etwas für die Implosion noch für den friedlichen Übergang. Ganz im Gegenteil: Der Todeskampf wird blutig sein und der Übergang die Leichen vieler Unterdrücker sehen. Doch noch ist es nicht so weit.
In eine existentielle Krise allerdings könnte das Regime geraten, wenn mit dem Tod des vor allem bei den jungen Iranern verhassten „Obersten Führers“ Ali Khamenei der Anker der islamischen Pseudorepublik verschwindet. Doch der 83-Jährige, 1939 im nordostiranischen Maschhad geborene Eiferer ist zäh, war schon mehrmals totgesagt worden. So bleibt bei allen Opfern der einem einst liberalen Persien im siebten Jahrhundert aufgezwungenen Wüstenideologie wie stets nur die Hoffnung, dass die Diktatoren Mohammeds möglichst bald das Ende ihrer Tage erleben mögen. Eines zumindest, was hoffen lässt, ist ihnen dieser Tage erneut auf exzellente Weise gelungen: Den jungen Iranern Allah und dessen traumatisches Ideologiekonzept mit dem Einsatz brutalster Gewalt nachhaltig auszutreiben.