Wie häufig, wenn mehr oder weniger kluge Köpfe zusammensitzen, versuchte der Parlamentarische Rat 1948 und 1949 in gewisser Weise die Quadratur des Kreises. Hintergrund: Nach der Erfahrung, wie eine Partei nationaler Sozialisten gleichsam im Handstreich die Parlamentarische Demokratie abschaffen und die nach wie vor geltende Verfassung im Restmüllcontainer verrotten lassen konnte, sollte auch über das Wahlrecht und die Parlamente sichergestellt werden, dass ein solches nie wieder geschehen könne.
So kamen die vier Damen und vielen Herren überein, zwei Systeme miteinander zu koppeln, die eigentlich nicht koppelbar waren. Jedenfalls nicht unter der Zielsetzung, die in diesem Zusammenhang definiert wurde. Gleichwohl sollte dabei auf die Erfahrungen der vergangenen knapp 80 Jahre deutscher Politikgeschichte zurückgegriffen werden.
Das Direktwahlsystem der ersten deutschen Demokratie
Das Wahlsystem der ersten deutschen Demokratie schrieb 1871 fest, dass das Parlament – damals Reichstag genannt – durch direkt gewählte Abgeordnete zu besetzen sei. Es knüpfte an die Prinzipien an, die 1849 bereits von der Paulskirchen-Versammlung festgeschrieben und 1869 im Norddeutschen Bund umgesetzt worden waren. Der Reichstag von 1871 kannte ausschließlich direkt gewählte Abgeordnete als Vertreter der Bürger. Ursprünglich waren dafür 382 Wahlkreise, sprich Parlamentssitze, vorgesehen. 1873, nachdem der von Frankreich gegen Preußen geführte Krieg vertraglich beendet worden war, kamen für die im Zuge des 30-jährigen Krieges von Frankreich annektierten und nun zurückgegebenen Reichsgebiete Elsass und Lothringen weitere 15 Wahlkreise hinzu. Der Reichstag verfügte insofern über 397 Abgeordnete.
Kritik an diesem Wahlrecht war – wie stets in der Politik – dennoch unvermeidbar. Lassen wir den Aspekt des noch nicht realisierten Frauenwahlrechts außen vor, weil dieses im 19. Jahrhundert in kaum einer Demokratie realisiert war und erst durch die Suffragetten zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkämpft werden konnte, so wurde dennoch bemängelt, dass der Schnitt der Wahlkreise und traditionelle Bindungen zu einer Verzerrung des Wählerwillens führen konnte.
Tatsächlich kam es zwischen 1870 und 1910 zu einer Populationsdynamik, die insbesondere die städtischen Wahlkreise mit ihrem hohen Bevölkerungswachstum gegenüber den ländlichen Regionen benachteiligte. Vor allem die Sozialisten der SPD sahen darin eine Benachteiligung gegenüber den konservativen und bürgerlichen Parteien, was gleichwohl nichts daran änderte, dass die Sozialdemokratie von 1871 mit 3,2 Prozent der Stimmen bei den Wahlen 1912 mit 110 Mandaten bei 34,8 Prozent die stärkste Fraktion stellten.
Das Wahlrecht der Weimarer Republik
Nach dem faktischen Staatsstreich von 1918, bei dem die linken Parteien erst eine Räterepublik anstrebten, um dann über das Bündnis der Sozialdemokratie mit den bürgerlichen Parteien über die Weimarer Verfassung eine echte parlamentarische Demokratie durchzusetzen, wurde das Mehrheitswahlrecht mit der Entsendung von Direktkandidaten ersatzlos gestrichen und an dessen Stelle das Verhältniswahlrecht nach Parteienproporz gestellt.
Im Rückblick darf dieser Umbau des Wahlrechts durchaus als entdemokratisierender Sündenfall bezeichnet werden, denn nun waren es nicht mehr die Wahlbürger selbst, die darüber entschieden, wer künftig im Parlament die Interessen des Volkes zu vertreten hatte, sondern die politischen Parteien, die bestimmten, wer künftig das Volk vertreten werde. Die Parteien stellten Wahllisten auf, die nach dem Verhältnis der abgegebenen Stimmen zueinander von oben nach unten abgearbeitet wurden. Dieses System stellte sicher, dass jene, die innerhalb der Parteien als die bedeutendsten Persönlichkeiten betrachtet wurden, die größte Chance bekamen, künftig im Parlament zu sitzen.
Im Ergebnis dieses reinen Verhältniswahlrechts kam es zum einen zur Zersplitterung des Parlaments durch zahlreiche Kleinparteien, deren wenige Abgeordnete nur schwer in Regierungskoalitionen einzubinden waren. Noch schwerwiegender allerdings wurde ein ursprünglich kaum beachteter Aspekt, der in den Dreißigern unvermeidlich in die Katastrophe führen sollte.
Anders, als nach 1945 häufig behauptet, lag der Kardinalfehler jedoch nicht in dem Versuch, den Präsidenten-Kaiser qua Amt durch einen gewählten Bürgerpräsidenten zu ersetzen, sondern in der Listenwahl, die im Verhältniswahlrecht unvermeidbar ist. Bei den Reichstagswahlen stellten pfiffige Propagandisten nun gern auch Spitzenkandidaten auf, denen angeblich bei entsprechender Zustimmung das Kanzleramt winke. Der ursprünglich mit dem Verhältniswahlrecht verknüpfte Ansatz, die Wahl von Personen durch die Wahl von Parteien zu ersetzen, konterkarierte sich nun selbst – mit der Konsequenz allerdings, dass der Wähler nicht mehr auf seine unmittelbaren Bürgervertreter als Wahlkreisbewerber schaute, sondern seine politischen Hoffnungen auf die Nummer Eins der Parteiliste setzte.
Die Konsequenz in der Krisenphase der frühen Dreißiger war, dass der politische Konflikt vor allem von der National Sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) auf eine vorgebliche Heilsfigur, den charismatischen Redner Adolf Hitler, zugeschnitten und konzentriert wurde. Wer 1932/33 NSDAP wählte, der wählte Hitler – kein Parteiprogramm und auch nicht die Figuren, die sich hinter Hitler auf der Liste tummelten. Mit diesem Zugpferd gelang es den Demokratieverächtern, über ein Marionettenparlament mit politisch unbedeutendem Fußvolk einen charismatischen Führer als faktischen Ersatz für Präsident und Kanzler zu schaffen. Die Folgen sind bekannt – Deutschland leidet bis heute darunter.
Die Quadratur des Kreises nach 1945
Nach 1945, als die vier Alliierten das Deutsche Reich in Protektorate unterteilten und Teile des Reichs ohne Volksbefragung abtrennten und anderen Ländern, vor allem Polen, Frankreich und der Sowjetunion, zuschlugen, sollte in der zunehmenden Ost-West-Konfrontation durch die drei westlichen Protektorate ein Pufferstaat gegen den russischen Hegemon in Mittelosteuropa geschaffen werden, welcher wiederum im Sinne der westlichen Demokratien nach demokratisch-parlamentarischen Prinzipien aufzubauen sei.
In der Erfahrung der Verfassungen von 1871 und 1919 versuchten sich die Mitglieder des Parlamentarischen Rats nun an jener Quadratur des Kreises, in der sowohl die Bindung des Parlamentariers an das Volk als auch die vermeintlich gerechte Sitzverteilung nach den prozentual auf die einzelnen Parteien entfallenen Stimmanteilen gewährleisten sollte.
Da die häufigen Neuwahlen der Weimarer Zeit als eine Ursache des Bürgerhaders mit der Demokratie ausgemacht und dieses wiederum in der Zersplitterung des Parlaments durch Kleinparteien ursächlich zu sein schien, wurde die Fünf-Prozent-Hürde eingeführt. Man mag sich trefflich darüber streiten, ob dieses nicht bereits ein Verstoß gegen die hehren Ziele des Verhältniswahlrechts gewesen ist, gleichwohl schien sich dieses Prinzip insofern zu bewähren, als die junge Bundesrepublik über mehrere Jahrzehnte stabile Regierungen vorzuweisen hatte.
Dennoch gelang es bis 1990, über dieses Modell die radikalen Kleinparteien im Zaum zu halten. Kurze Ausflüge beispielsweise der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), der in gewisser Weise die NSDAP-Nachfolge unterstellt wurde, in die Parlamente blieben solche und die Partei ebenso wie ihr linkes Pendant der DKP politisch bedeutungslos. Allerdings darf bei dieser Entwicklung der Bundesrepublik auch die Konfrontationsstellung im Rahmen des Kalten Krieges nicht unterschätzt werden. Sie führte dazu, dass die BRD nach 1949 ein Parteiensystem entwickelte, welches am besten als „Zwei plus Eins“ zu beschreiben ist. Zwei als Volksparteien bezeichnete, große Parteiblöcke der rechten und der linken Mitte plus eine kleinere, im Parlament vertretene Partei, die als das berühmte „Zünglein an der Waage“ darüber entscheiden konnte, ob sich der politische Zeiger gemäßigt mehr nach rechts oder mehr nach links neigen sollte.
Das Wahlrecht scheitert am Vielparteienstaat
Das Ende dieses Modells deutete sich an, als es der Sozialdemokratie nicht mehr gelang, die zumeist aus dem studentischen Milieu stammenden Neomarxisten in ihre letztlich konservativen Parteistrukturen einzubetten. Mit den sogenannten „Grünen“ entstand links von der SPD eine zunehmend an Bedeutung gewinnende Kraft, die das Zwei-Komponenten-Wahlrecht anfangs jedoch noch insofern nicht tangierte, als sie an der eingespielten Vormachtstellung der Union in den Wahlkreisen nicht ernsthaft rüttelte. Ganz im Gegenteil konnte die Zersplitterung der politischen Linken nun sogar den Unions-Bewerbern nutzen, denn anders noch als 1871 reichte für das Entsenden eines Direktkandidaten in das Bundesparlament die relative Mehrheit der Stimmen im ersten Wahlgang. Was allerdings notwendig zur Folge hatte, dass auch Wahlkreisabgeordnete letztlich keine Vertreter der absoluten Wählermehrheit mehr waren, sondern lediglich die relativ stärkste Wählergruppe repräsentierten.
Als nach dem Zusammenbruch der DDR-Diktatur und des Sowjetsystems einerseits mit der zur PdL mutierten SED eine weitere Partei in die politische Auseinandersetzung drang und zudem durch die Abkehr der Unionspolitik, sich auch für national-bürgerliche Kreise anzudienen, auf dem rechten Flügel mit der AfD eine weitere parlamentarische Konkurrenz entwickelte, geriet das BRD-Wahlsystem notwendig an seine Grenzen. Die beiden ursprünglich dominanten Blöcke schmolzen dahin – und damit die Möglichkeit, die von den immer noch relativ stärksten Parteien zu beanspruchenden Parlamentsmandate im Wesentlichen durch die Wahlkreisabgeordneten als Direktmandate aufzufüllen.
Die Konsequenz des Verhältniswahlrechtsanspruchs bei einem nur rudimentär aufgebauten Mehrheitswahlrechtsanspruch ist die ständige Aufblähung des deutschen Bundesparlaments mit gegenwärtig 736 statt vorgesehenen 598 Parlamentariern – kurzum: 138 Mandatsträger haben ihre gut dotierte Position ausschließlich einem mangelhaften Wahlsystem zu verdanken. Dass zudem noch eine unverständliche Sonderregelung dafür sorgt, dass 36 per Liste nicht gewählte Kommunisten die Parlamentsplätze besetzt halten, weil es drei ihrer Bewerber, darunter zwei aus dem fragwürdigen Wahldesaster des Landes Berlin, gelungen war, eine relative Mehrheit als Direktkandidat zu erreichen, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.
Die Parteienoligarchie ersetzt die Demokratie
Insgesamt führt die Funktionsunfähigkeit des bundesdeutschen Wahlrechts zu jener unnötig kostenintensiven und sachlich unbegründeten Aufblähung des Parlaments, weshalb das Bundesverfassungsgericht den Parlamentariern bereits vor geraumer Zeit aufgegeben hatte, hier Abhilfe zu schaffen. Und so sind wir nun nicht nur bei der Quadratur des Kreises, sondern auch bei jener Unfähigkeit von Systemen, sich selbst zu reformieren.
Das bestehende Wahlrecht sorgt über mehrere Komponenten dafür, dass der Wahlkreisbewerber gegenüber dem Parteienbewerber bedeutungslos wird. Da ist zum einen die bereits erwähnte Regelung, dass er bereits mit relativer Mehrheit in seinem Wahlkreis gewählt ist. Damit entfällt die Notwendigkeit, sich ernsthaft um die Wähleranliegen zu bemühen – er wird zum Trittbrettfahrer des Erfolgs oder Misserfolgs seiner Partei, die wiederum darüber entscheidet, wer überhaupt in einem Wahlkreis antreten darf. Die ursprüngliche Intention des Mehrheitswahlrechts, wonach ein direkt gewählter Abgeordneter Bürger- und nicht Parteienvertreter sein soll, ist damit längst Geschichte. Gewiefte Politiker in Parteien mit Chancen auf Direktmandate sehen deshalb zu, sich doppelt abzusichern: als Kandidat eines Direktwahlkreises und auf einem möglichst oberen Platz auf der Verhältniswahlliste, falls es im Direktwahlkreis nicht klappen sollte.
Hinzu kommt, dass zumindest die noch etwas größeren Parteien die Unsitte eines „Kanzlerkandidaten“ eingeführt haben und so dem Wähler den verfassungsrechtlich und auch faktisch falschen Eindruck vermitteln, er hätte in irgendeiner Weise mit darüber zu entscheiden, wer künftig an der Spitze der Exekutive steht. Der Parlamentarische Rat hatte 1949 die Kanzlerbesetzung sehr bewusst und ausdrücklich ausschließlich in die Hand der gewählten Parlamentarier und nicht in die des Bürgers oder der Parteien gelegt – die Erfahrung mit einem charismatischen Volkstribun, der als gefühlter Kanzler in spe die Rettung eines geknechteten Volkes bringen sollte, steckte den Demokraten 1949 noch zu tief in den Knochen.
Die notwendige Folge ist die schleichende Umwandlung des Bürgerstaates in einen Parteistaat – oder mit anderen Worten: die Ersetzung der Bürgerdemokratie durch eine Parteienoligarchie. Wenn zudem noch Parteien – und damit die zu ergatternden Parlamentsmandate – zur letzten Karriere- und Wohlstandshoffnung für Personenkreise wie Studienabbrecher werden, die sonst ihren Lebensunterhalt als Taxifahrer oder – neuerlich – NGO-Aktivisten bestreiten müssten, ist das Grundprinzip der Bürgerdemokratie abschließend ausgehebelt. Die Betätigung in der Politik dient nicht mehr dem hehren Ansatz, für das Gemeinwesen Verantwortung zu übernehmen und es im Sinne eines zu definierenden Gemeinwohls weiterzuentwickeln, sondern sie wird zum individualistisch-egoistischen Karrierebett, in dem sich der ansonsten gesellschaftlich Versagende nicht nur sein Selbstwertgefühl aufbauen, sondern zugleich noch seine Versagens-Frustration über die Gängelung und Bevormundung der Mehrheit ausleben kann.
Das Verschwinden des direkt gewählten Abgeordneten ist unvermeidbar
Die unvermeidliche Folge sind die Diskussionen über sogenannte „Wahlrechtsreformen“, die selbstverständlich solche nicht sind, da sie nichts „reformieren“, also in seine ursprüngliche Form zurückbringen sollen, sondern etwas Neues und im Sinne der „Reformer“ Funktionsfähiges schaffen sollen.
Angesichts der aufgezeigten Entwicklung und angesichts der ohnehin schon manifestierten Entwertung des Direktmandats laufen die Vorschläge der Parteieliten – mit Ausnahme der CSU, die über eine Überbesetzung in den Direktmandaten zahlreiche Listenbewerber mit in das Bundesparlament schleift – darauf hinaus, die von der Partei bestimmte Liste noch bedeutender zu machen. Die Parteieliten wollen sich damit die Möglichkeit sichern, mit dem Zugriff auf die vorderen Listenplätze ihre persönliche Zukunft zu sichern auch dann, wenn das Bundesverfassungsgericht irgendwann ernst machen sollte mit der radikalen Verkleinerung des Parlaments.
Da im obersten Gericht mittlerweile nicht nur Juristen an der Spitze sitzen, die von Verfassungsrecht wenig Ahnung haben, und die anderen Richterplätze ebenfalls nach Parteizugehörigkeit besetzt werden, ist absehbar, dass die Direktmandate eher über kurz als über lang gänzlich der Vergangenheit angehören werden. Damit wäre dann der demokratische Bürgerstaat erfolgreich durch den oligarchischen Parteienstaat ersetzt – im Vorgriff darauf sind auch jene antidemokratischen Hetzen gegen eine vom Bürger gewählte, jedoch von den Oligarchen der etablierten Parteien ungeliebte Konkurrenz zu verstehen: Sie „stehlen“ den Systemparteien jene wichtigen Mandate, mit denen die Parteieliten ihre Existenz sichern müssen.
Keine Chance, die Parteienoligarchie zu verhindern
Gibt es einen Weg, diese Entwicklung zu verhindern? Um es so zu formulieren: Nicht wirklich. Niemand sägt sich selbst den Ast ab, auf dem er sitzt. Und da das Gros der tatsächlichen und gefühlten Abgeordneten ihr Berufsfeld ausschließlich der Parteienoligarchie zu verdanken haben, werden sie auch im Sinne der Unwägbarkeit möglicherweise dann doch nicht bis ins Letzte zu steuernde Bürgervoten den Versuch unternehmen, durch eine Wahlrechtsänderung das Direktmandat noch weiter in die Bedeutungslosigkeit zu schicken.
Zwar mag der Widerstand der CSU mit dem Hinweis darauf, dass ursprünglich das Parlament paritätisch durch Wahlkreis- und Listenkandidaten zu besetzen sei, noch ein wenig Verzögerung organisieren, doch das Ende dieses rudimentären Rests unmittelbarer Bürgerbeteiligung ist absehbar. Argumentativ beitragen wird dazu auch die Feststellung, dass zwar Parteilisten gendergerecht zu quotieren sind, jedoch bei den Direktwahlkreisen dieses unmöglich zu gewährleisten ist, da man im Voraus nicht wisse, welcher Kandidat nun tatsächlich gewählt werde, und es deshalb auch unmöglich sei, die unvermeidliche Korrektur durch entsprechende Übergewichtungen bei den Listen abzufedern.
Ein Zwei-Kammer-System – nach dem Zusammenbruch
Die CSU steht also auf verlorenem Posten, auch wenn sie sich noch zieren mag. Spätestens beim Bundesverfassungsgericht, das längst ein ums andere Mal die Intentionen des Parlamentarischen Rats aushebelt, werden die Unionsbayern scheitern.
Ein anderer Weg wäre ein Zwei-Kammer-System ähnlich dem der USA. 299 Abgeordnete werden in Direktwahl in die Erste Kammer gewählt. Dort darf nur einziehen, wer – gegebenenfalls erst über einen zweiten Wahlgang – eine absolute Wählermehrheit auf sich vereint. Weitere 299 Abgeordnete werden über Parteilisten nach dem Proporz ihrer Parteien zueinander in die Zweite Kammer gewählt. Hierbei könnte auf die undemokratische 5-Prozent-Klausel verzichtet werden, denn bei 299 Abgeordneten ist die Chance, als Kleinstpartei genug Stimmen zum Einzug ins Parlament zu erhalten, ohnehin eher gering. Und wenn doch, dann haben es die Wähler so gewollt.
Um das Wahlrecht mit dem Verfassungsanspruch zur Besetzung der Exekutive kompatibel zu machen, müsste zudem ein Verbot der Unsitte des „Kanzlerkandidaten“ durchgesetzt werden. Da allerdings den Parteien nicht verboten werden kann, mit ihren Spitzenkandidaten für die Zweite Kammer zu werben, spielt das keine tatsächliche Rolle. Es wäre nur ein Zeichen von mehr Ehrlichkeit den Wählern gegenüber, die nicht länger für dumm verkauft werden, da die Besetzung der Exekutive nicht nur nicht in ihrer Hand liegt, sondern unter Vergewaltigung des Verfassungswillens längst von den parteiabhängigen Abgeordneten an die Parteieliten abgetreten wurde.
Richtig! Wird nicht so kommen. Nicht in der Parteienoligarchie Deutschland, in der sich längst kleine Eliten alle Macht angeeignet haben. Aber es könnte eine Idee sein für den Zeitpunkt, an dem das den Staat ständig entdemokratisierende Parteiensystem an seiner eigenen Unfähigkeit kollabiert. Dass dieser Zeitpunkt irgendwann kommen wird, ist angesichts des unübersehbaren Niedergangs der Qualität der gewählten Parteienvertreter und der Zerstörung der Bürgerdemokratie unvermeidlich – auch wenn sich manche Prozesse der Agonie erfahrungsgemäß über Jahrzehnte hinziehen können.