War da was? Weil Corona so schön und frisch war, genehmigte der Bundesvorstand der Partei Bündnis 90/Die Grünen sich und den hauptamtlichen Mitarbeitern im Jahr 2020 einen Sonderbonus in Höhe von 1.500 Euro. Das ist nicht unbedingt viel, wenn es tatsächlich für Neueinrichtung Homeoffice verwendet wird und die Mitarbeiter zuhause über keinerlei PC-Equipment, Web-Anschluss und Schreibtisch verfügt haben sollten. Damit aber nicht genug, denn richtig problematisch wurde dieser Vorstandsbeschluss, weil sich der Vorstand damit auch selbst beglückte.
Nun sind zwar Pro-domo-Beschlüsse im parlamentarischen Alltag üblich, wenn die Beglückten die Parlamentarier selbst sind und es sich um die Aufstockung der üppigen Diäten handelt, doch Parteivorstände agieren ehrenamtlich, das bedeutet: ohne Entlohnung. Vor allem aber können sie nicht – egal in welcher Höhe – einfach ihnen treuhänderisch überantwortete Parteigelder verteilen. Haushaltsrelevante Entscheidungen obliegen laut Parteienrecht den zuständigen Parteigremien, bedürfen entsprechender Beschlüsse, die den Vorstand zum Handeln befugen. Diese Beschlüsse fassen entweder die gewählten Parteitagsdelegierten oder aber Mitgliedervollversammlungen – je nachdem, wie das jeweilige Parteistatut dieses Recht definiert.
Was alles entschuldigt
Dass dem so ist, dass hier keine wirkliche Schuld zu erkennen ist, das hat der Parteitag eindrucksvoll bestätigt. Nicht nur, dass die Vorständler Habeck und Baerbock in allen Ehren aus dem Vorsitz entlassen wurden, um umgehend in den Parteirat einzuziehen – auch dem eigentlichen Hüter des grünen Parteischatzes wurde schnell verziehen. Marc Urbatsch, seit 2018 Schatzmeister der Bundespartei, wurde immerhin „mit knapp 67 Prozent“ eindrucksvoll im Amt bestätigt.
Zuvor allerdings fand sich der nach eigener Auskunft mit einem abgeschlossenen M.A.-Studium der Betriebswirtschaftslehre und der Philosophie fachlich bestens für das Parteiamt vorbereitete Urbatsch zum obligatorischen mea culpa bereit. Mit einem Hauch von Zerknirschung stellte er fest: „Klar ist: Mit dem Wissen von heute würden wir solch einen Beschluss nicht mehr fassen.“ Aha, ist man hier geneigt, auszurufen. Welch eine tiefschürfende, philosophische Erkenntnis!
Klar ist das klar! Mit dem Wissen von heute wäre Napoleon niemals gegen Moskau marschiert. Mit dem Wissen von heute hätten die Regierenden 1914 den Selbstvernichtungskrieg vermieden. Mit dem Wissen von heute hätte Hindenburg niemals Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Mit dem Wissen von heute hätten die Amerikaner rechtzeitig Chiang Kai-shek gegen Mao unterstützt. Mit dem Wissen von heute … Die Reihe ließe sich unbegrenzt fortsetzen.
So ziemlich alles, was irgendwann einmal geschehen ist, würde von den Agierenden „mit dem Wissen von heute“ anders angegangen werden. So what! Was also soll diese tief-philosophische Aussage, die dem Bürger als „Hinterher weiß man immer alles besser“ ohnehin schon stets geläufig gewesen ist?
Die Bigotterie im grünen Kindergarten
Gut, wir mögen es auf den ersten Blick als Selbstberuhigungs-Placebo und Tranquilizer für die Mitgliederseele betrachten. Eine kleine Lutschkamelle zwecks Beruhigung der Nerven. Und dann selbstverständlich das: Wir machen es nicht wieder! Fest versprochen! Auf Ehrenwort! Funktioniert schließlich auch im Kindergarten.
Doch so ist die Welt nun einmal. Getan ist getan. Zumeist nach bestem Wissen und Gewissen – und weil man es nicht besser wissen konnte, weil man zum Zeitpunkt des Tuns eben noch nicht wusste, was dann spätere Generationen besser wussten.
Insofern ist es aber eben auch die unerträgliche Bigotterie, die offenbar zum Lebenselexier der Grünen gehört. Kann man mit dem Finger auf andere zeigen, gilt das „mit dem Wissen von heute“ nicht. Da wird selbstgerecht Anklage um Anklage erhoben, Kultur zerstört, Ansehen geschändet und Tradition vernichtet.
„Wissen von gestern“ entschuldigt alles – oder nichts
Zeigt der Finger aber auf sich selbst, dann entschuldigt „das Wissen von heute“ alles. Auch dann, wenn man damals mit einem Blick in damals geltendes Parteienrecht bereits hätte wissen können – und als Schatzmeister hätte wissen müssen – dass eine finanzielle Selbstermächtigung nicht zulässig ist. Das „Wissen von heute“ hätte insofern auch „das Wissen von damals“ sein müssen. Zumindest dann, wenn es um besagte Selbstermächtigung geht.
Vermutlich aber meinte Urbatsch mit „dem Wissen von heute“ überhaupt nicht die auch schon damals geltende Rechtslage. Vermutlich meinte er eher „das Wissen von heute“ darüber, dass diese lästige Staatsanwaltschaft diesen kleinen, unbedeutenden Corona-Ausrutscher zum Anlass einer Strafermittlung nehmen würde.
Dumm nur, wenn man erwischt wird
Was lernt uns das? Selbstverständlich meint diese unzulässige, fadenscheinige Entschuldigung überhaupt nicht das Fehlverhalten an sich. Vielmehrt geht es ausschließlich um das, um was es Kindern immer geht, wenn sie bei einer Missetat erwischt werden. Es geht um die Angst vor der Strafe. Denn eigentlich – so sehen das auch die grünen Parteimitglieder, die die Missetäter wohlgelitten weiter über sich gesetzt haben – ist dieser kleine Griff in die Kasse doch wirklich nicht so schlimm! Deswegen nun Ermittlungen? Also bitte …
Aber, wie gesagt: Da können die Grünlinge ganz beruhigt sein. Die rotgrün-gelenkte Staatsanwaltschaft wird ein wenig ermitteln und entweder das ganze Verfahren wegen Geringfügigkeit einstellen oder den Beteiligten eine kleine, symbolische Geldbuße aufdrücken. Schließlich haben die Missetäter ja auch bereits tätige Reue gezeigt und die 1.500 Euro zurücküberwiesen. Also ist doch eigentlich überhaupt nichts geschehen.
Aber Achtung, Herr Langzeitschatzmeister mit dem Wissen von heute: Nun bloß keine Spendenquittung für diese 1.500 € Rückerstattung ausstellen! Dafür vielleicht den damals Begünstigten mitteilen, dass sie diese unerwartete Ausgabe der ungeplanten Rückerstattung bei der Steuererklärung gegen ihre Einkünfte verrechnen können. Vorausgesetzt selbstverständlich, sie haben welche. Und das auch nur, wenn sie die 1.500 € für 2020 ordnungsgemäß als Einkünfte versteuert hatten. Falls nicht, könnte sogar noch weitere Unbill drohen – wenn das jeweils zuständige Finanzamt nachfragt, ob denn damals der Bonus auch angegeben worden ist.
Wobei – nein, auch hier keine Gefahr. Schließlich gilt ja „mit dem Wissen von heute“. Zumindest für Grüne. Und damit wird dann alles gut und der Philosophie-M.A. Marc Urbatsch kann weiter seine tiefgreifenden Erkenntnisse dem traulichen Volk der Grünmitglieder vortragen und damit sich und seinen Spießgesellen immerwährende Absolution erteilen. Es hat eben schon was, wenn man gleicher als gleich ist. Das wusste schon George Orwell.