„Der Gute, der Böse und der Hässliche“ – so lautet der englische Titel eines bekannten Italowestern, der in den späten 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Kinos füllte. Der Gute, das war der raubeinige Held Clint Eastwood, der namenlos nur als „der Blonde“ auftritt. Der Schlechte, ein Auftragskiller namens Sentenza („Satz“), wurde von Lee Van Cleef gemimt, aufgrund seines sophistischen Äußeren spezialisiert auf die Rolle der zumeist intelligenten, aber durchtriebenen und hinterhältigen Schurken. Den Hässlichen gab Eli Wallach, der zwar so hässlich im ästhetischen Sinne nicht war, gleichwohl mit seinem mittelamerikanisch wirkenden Äußeren in mehreren Italowestern auf die Rolle des Gesetzlosen festgelegt war.
Das Szenario dreht sich um ein geschickt gewirktes Geschäftsmodell des Guten und des Hässlichen, welcher sich regelmäßig von Clintwood gegen Kopfgeld ausliefern lässt, um dann im letzten Moment vom Galgen gerettet zu werden und sich erneut fangen zu lassen. Das funktioniert so lang, bis die Anteilsforderungen des Hässlichen dem Blonden zu hoch werden und die Suche nach einem Goldschatz die drei Protagonisten zu Rivalen werden lässt. Am Ende erschießt der Gute den Bösen und zwingt den Hässlichen, sich selbst die Galgenschlinge um den Hals legen, um mit dem Goldschatz in den Sonnenuntergang zu reiten.
Das Motto für die UN-Abstimmung
„Der Gute, der Böse und der Hässliche“ – so ähnlich könnte auch der Redemarathon mit der Abstimmung über eine Resolution gegen den russischen Überfall auf die Ukraine betitelt sein, die am Mittwoch zum Abschluss kam. 141 der 193 Mitglieder der UN-Vollversammlung stimmten am Ende für den Antrag. Das sind „die Guten“. Fünf – und tatsächlich nur fünf – stimmten dagegen. Das sind „die Bösen“ und es sind erwartungsgemäß Russland sowie dessen Mündel Belarus und Syrien, das ohnehin mit der UN auf Kriegsfuß stehende Nordkorea und der ostafrikanische Pariastaat Eritrea. Deren Verhältnis zu den USA ist traditionell auf Null und sie gehören auf Gedeih und Verderb zu Moskau.
35 Staaten enthielten sich – allen voran China, aber auch vermeintliche US-Verbündete wie Indien und Pakistan. Das sind „die Hässlichen“, und es empfiehlt sich durchaus der Blick auf diese Staaten. Denn es sind darunter manche Überraschungen – für „die Guten“ ebenso wie für „die Bösen“.
Neben jenen mit Äquidistanz finden sich Staaten, die ambivalent auf die Situation schauen und am liebsten den Kopf in den Sand stecken würden. Sie möchten sich weder mit den Russen noch mit den USA und der EU überwerfen und hätten es am liebsten gesehen, wenn eine solche Resolution gegen den russischen Angriffskrieg nicht eingebracht worden wäre. Dennoch riskierten sie ihr Votum – riskieren insofern, als sich 13 Staaten nicht an der Abstimmung beteiligten, darunter Venezuela und die ehemaligen Sowjetrepubliken, Aserbaidschan, Turkmenistan und Usbekistan.
Zu den Enthaltern zählen die afrikanischen Staaten Angola, Burundi, Kongo, Madagaskar, Mali, Mozambik, Senegal, Tansania und die Zentralafrikanische Republik. Auf dem amerikanischen Doppelkontinent sind es Bolivien, El Salvador, Nikaragua und Kuba, in Asien nach China und Indien unter anderem auch Bangladesch, Laos, Vietnam und Sri Lanka. Die konkreten Motivationen sind unterschiedlich: Der Einfluss Chinas spielt hier ebenso eine Rolle wie die Ferne zum Konflikt und Bindungen an den Aggressor, die bei einem zu deutlichen Pro-Votum gefährdet erscheinen.
Die Enttäuschungen
Interessant wird der Blick auf die „Enttäuschungen“, also auf jene „Hässlichen“, die eigentlich eher einem Lager zugeordnet wurden. Für die Guten sind hier namentlich Algerien, Indien, Irak, Mali, Namibia, Pakistan und Südafrika aufzulisten. Algerien gilt den Europäern als Partner. Mali wird immer noch von Bundeswehr-Einheiten gegen den Islamterror unterstützt. Namibia wurde erst jüngst im Zuge der kolonialen Selbstkasteiung von der Bundesregierung mit einem bedeutsamen Geldsegen beglückt. Indien, Irak, Pakistan und Südafrika gelten als Verbündete der USA – und zumindest die Enthaltung Indiens dürfte den US-Plänen einer Anti-China-Koalition einen spürbaren Dämpfer versetzen.
Enttäuschungen gibt es allerdings auch auf der Seite „der Bösen“. Armenien hat längst fast schon einen identischen Status wie der Putin’sche Mündelstaat Weißrussland erworben. Die Enthaltung gegen Russland könnte insofern ein letzter Versuch sein, ein wenig Unabhängigkeit zu demonstrieren und wird in Moskau Konsequenzen haben. Bemerkenswert vor allem die Enthaltungen von Iran, Kuba und Zimbabwe, die traditionell als pro-russisch gelten. Offenbar versuchen diese Länder, ihr Verhältnis zum Westen nicht gänzlich zu zerstören.
Enttäuschend für Moskau sind vor allem aber auch die Enthaltungen von Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan. Spätestens seit der Rettungsaktion zugunsten des kasachischen Diktators gelten diese Länder als russische Einflusszone. Ihre Enthaltung stellt insofern ein Misstrauensvotum gegen Moskau da. Wenig verwunderlich hingegen die Enthaltung der Mongolei. Obgleich eher nach Westen orientiert, liegt dieses zentralasiatische Land zwischen den Mühlsteinen Russland und China. Da erscheint eine Enthaltung tatsächlich als die ungefährlichste Option.
Überraschungen gab es auch bei den 13 Nicht-Abstimmern. Da finden sich mit Aserbeidschan, Turkmenistan und Uzbekistan drei weitere Länder aus dem russischen Einflussgürtel, die jedoch Richtung Türkei orientiert sind und so auf jegliche Festlegung verzichtet haben. Besonders überraschend allerdings war die Nichtteilnahme von Venezuela, welches eigentlich fest im russischen Block verortet wurde. Auch das wird Putin nicht gefallen.
Bedeutungslos, aber nicht ohne Konsequenzen
Beschlüsse der UN-Vollversammlung wie dieser zum Russisch-Ukrainischen Krieg haben keine völkerrechtliche Relevanz, sind insofern auf den ersten Blick bedeutungslos. Gleichwohl aber ist das Abstimmungsverhalten nicht ohne Konsequenzen. Die westlichen Staaten und Unterstützer der Ukraine haben wiederholt deutlich gemacht: Wer nicht für den Antrag ist, begibt sich in schlechte Gesellschaft.
Das wiederum erklärt die am Ende doch unerwartet hohe Zustimmung. Manch einer der Zustimmer mag dieses aus tiefster Überzeugung und Solidarität für die angegriffenen Ukrainer getan haben. Doch vor allem die nicht unmittelbar involvierten Länder werden vor allem den eigenen Nutzen abgewogen haben. Und insofern wird deutlich: Die Kleinen und die Mittleren möchten in ihrer überwiegenden Mehrzahl lieber zu den „Guten“ gehören. Offenbar ist das Vertrauen, dort mehr Cash und Hilfe zu bekommen, immer noch deutlich größer als die Erwartung, entsprechend von China oder gar Russland beglückt zu werden.
Liebe geht bekanntlich durch den Magen – und politische Nähe durchs Portemonnaie. Die Außenämter der führenden Pro-Ukraine-Staaten werden insofern die nächsten Monate damit beschäftigt sein zu prüfen, wie die Geld- und Zuwendungsströme künftig zu orientieren sind. Denn wie im Italowestern steht nun zumindest fest, wer die Guten, die Bösen und die Hässlichen sind. Die Bösen stehen auf der Abschussliste, die Hässlichen dürfen sich ein wenig den Strick um den Hals legen, und die Guten warten auf den Goldschatz.