Tichys Einblick
Staatliche Integration bewirkt das Gegenteil

Türkei – Erdogans Durchmarsch

Wo wie in den USA der Zuwanderer allein auf sich selbst gestellt ist, wo er im Land seiner Wünsche von sich aus ankommen muss, ohne durch den Staat zum Opfer und Wickelkind degradiert zu werden, ist Erdogan bedeutungslos.

Chris McGrath/Getty Images

Nun ist es also geschehen, das Unvermeidliche. Ich hatte mich schon gewundert: Selbst analytisch sonst so hochbegabte Menschen wie Burak Copur von der Universität Essen gaben sich seit Tagen siegessicher. Muharrem Ince, Kandidat der türkischen CHP, sozialdemokratisch ausgerichtete Partei in den Fußstapfen des Nationaltürken Kemal Atatürk, würde das Rennen machen. „Das ist keine Erdbebenwelle mehr – das ist ein Tsunami!“ zitierte Copur sein Idol via Facebook.

„Wenn morgen die kurdischen Massen der HDP in Diyarbakır mit der türkischen Menschenmenge der CHP in İstanbul nicht nur den Diktator zum Teufel jagen, sondern sich auch nach den Wahlen brüderlich in die Arme fallen und das Land gemeinsam wiederaufbauen, dann kann auch die Türkei endlich der Welt zurufen: YES, WE CAN!“, postete der Politikwissenschaftler, der als Dreijähriger nach Deutschland kam und der lebende Beweis dafür ist, wie Einwanderung erfolgreich funktionieren kann. „Yes, we can!“, hoffte er in Anlehnung an Barak Obama. Doch sie konnten nicht.

Erdogan ist am Ziel

Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Der seit jenem von ihm herbeigeputschten Staatsstreich im Ausnahmezustand regierende Recep Tayyip Erdogan hat sein Ziel erreicht. Bei den von ihm vorzeitig angesetzten Wahlen in der Türkei hat er das Rennen gemacht. 56,3 Prozent soll seine national-islamische AKP für das Parlament eingefahren haben. Auf ihn selbst als Präsidialdiktator entfielen laut offiziellen Angaben 52,5 %. Kontrahent Ince erhielt nach aktuellem Stand 30,7 %. Der aus der Haft heraus seinen Präsididialanspruch einfordernde Kandidat der als prokurdisch bezeichneten HDP kam auf 8,4 %. Stichwahlen fallen aus.

Stunden der Wahrheit
Grüne Tränen ob des Votums der Türken in Deutschland für Erdogan
Konnte tatsächlich jemand ernsthafte Zweifel daran haben, dass es so kommen würde? Nicht nur, dass Erdogan nacheinander erst das pro-westliche Militär, dann die unabhängigen Medien ausgeschaltet hatte – er überzog auch den kurdischen Osten des Landes mit einer Gewaltwelle, vernichtete ganze Wohnviertel und ließ demokratisch gewählte, oppositionelle Bürgermeister durch Ankara-gesteuerte Gefolgsleute ersetzen. Kritiker verschwanden ohne Anklage hinter Gittern, Familienväter wurden ohne Absicherung aus dem Staatsdienst entfernt. Mit seinem Überfall auf das syrisch-kurdische Afrin bediente er den türknationalen Rassismus ebenso wie die großosmanischen Träume seiner Landsleute. Wie sollen unter solchen Umständen „freie und unabhängige Wahlen“ möglich sein?
65,7 % im Vilayet Almanya

Selbstverständlich hat die Opposition Recht, wenn sie jetzt von Manipulation bei den Wahlen spricht. Und doch bleibt festzustellen: Eine Mehrheit seiner Türken steht hinter Erdogan. Auch ohne Manipulation. Sie betet ihn an – in der Türkei und dort, wo Türken als angeblich integrationswillige Neubürger einflussreiche Communities bilden. Wie in Deutschland. Hier entfielen auf den Muslimbruder nach Auszählung von 78,6 % der abgegebenen Stimmen sogar 65,7 %.

Niemand kann beurteilen, ob die Urnen aus dem Vilayet Almanya tatsächlich ohne ergebnisorientierte Nachbearbeitung ihren Weg in das Ergebnis gefunden haben. Und doch führt auch hier kein Weg daran vorbei: Rund zwei Drittel jener Auslandstürken, die als türkische Staatsbürger ihren Dauerwohnsitz in Deutschland haben und sich von dort aus an den Wahlen in ihrer Heimat beteiligen, vergöttern den Mann, der die westlich orientierte Türkei zu Grabe trägt.

Ein vernachlässigter Blick
Deutsche und Türken
Nun setzt wieder das Gejammer ein darüber, dass die Bundesrepublik in der Integration versagt habe. Cem Özdemir, ausgedienter Spitzenmann der Grünen, stellt diese „Deutschtürken“ auf eine Stufe mit der AfD – allein schon das Ausgeburt eines verwirrten Geistes, denn weder fordert die AfD den Überfall auf Nachbarländer, noch gäbe es in ihrer Programmatik irgendwelche Ansätze, Deutschlands demokratisches Modell durch eine Präsidialdiktatur zu ersetzen. Özdemirs Nachfolger in der Grünen–Spitze, Robert Habeck, beklagt, das Ergebnis sei „keine Erfolgsgeschichte für gelungene Integration“. Zumindest Habeck scheint sich einen kleinen Rest an Realismus bewahrt zu haben – sollte nun jedoch auch zu der Erkenntnis gelangen, dass der Multikulti-Ansatz, den er und seine linken Freunde als nationale Globalisierer seit Jahrzehnten propagierten, mehr als ein Irrweg ist.

Der gezielte Verzicht darauf, den Einwanderern aus Anatolien die Werte europäischer Kultur zu vermitteln; die Unterwerfung unter die frühmittelalterlichen Diktate einer barbarischen Kultur des Stammesimperialismus beginnend damit, dass bei Schulfesten zwei voneinander getrennte Grillstationen stehen müssen, weil die Halal-Wurst nicht in Kontakt mit der Schweinewurst geraten darf – all das hat nicht Integration gefördert, sondern Desintegration manifestiert.

Das I-Wort ist Illusion
Assimilation statt Integration
Die sogenannten Integrationsbeiräte, die allenthalben wie Pilze aus dem Boden schossen, taten ebenso wie bundeskanzleramtliche „Integrationsgipfel“ nur eines: Die in Deutschland lebenden Auslandstürken ihren rassistischen Nationalismus ausleben lassen in dem Gefühl, Opfer einer bösen, faschistischen Mehrheitsgesellschaft von Nazis zu sein. Um ihnen, die in diesem Land niemals ankommen wollten, dann noch das Recht zu geben, Deutschlands Gesellschaft in ihrem Sinne umzuformen, wurden sie als „Deutschtürken“ umkuschelt und ihnen der deutsche Doppelpass wie Ramschware hinterher geworfen.
Es gibt keine Deutschtürken

Nein, um dieses ganz deutlich zu sagen: Diese türkischen Staatsbürger mit Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik, die voller Inbrunst ihrem nationalislamischen Idol aus den Slums Konstantinopels zujubeln, sind keine „Deutschtürken“. Sie sind nicht einmal Türkdeutsche. Sie sind und bleiben Auslandstürken, die ihren vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen haben. Das macht sie nicht automatisch zu Leuten, die hier nichts zu suchen haben. Solange sie sich in der Bundesrepublik an geltendes Recht halten, können sie in der Türkei so viel Erdogan wählen, wie sie wollen. Nur dürfen sie niemals das Recht bekommen, als überzeugte Türknationale an politischen Prozessen in Deutschland mitzuwirken. Deshalb ist vor allem die Doppelpass-Idiotie umgehend einzustellen. Wer als in Deutschland geborener oder aufgewachsener Türke einen deutschen Pass haben möchte, der muss dann auch zu dieser Entscheidung ohne Wenn und Aber stehen. Er muss sich die Werte des zivilisierten Europas zu Eigen machen – und seinen türkischen Pass über die zuständigen deutschen Stellen unwiderruflich nach Ankara schicken.

Staatliche Integration bewirkt Desintegration

Noch ein weiteres sollte das Abstimmungsverhalten der in Deutschland lebenden Auslandstürken nun endlich bewirken: Das umgehende Ende der gutmenschlichen Bepamperung türkischer Staatsbürger über staatlich organisierte „Integration“. Die Millionen, die die Republik dort in Stäbe und Projekte steckt, sind zum Fenster herausgeschmissenes Geld. Dort, wo wie in den USA der Zuwanderer allein auf sich selbst gestellt ist, wo er im Land seiner Wünsche von sich aus ankommen muss, ohne durch den Staat zum Opfer und Wickelkind degradiert zu werden, ist Erdogan bedeutungslos. Nur rund 16 % der in den USA lebenden Auslandstürken haben sich nach Stand der Dinge für den Präsidialdiktator entschieden. 72 % stimmten für den Oppositionskandidaten, der zumindest die Garantie dafür bot, auf den Weg von Gewaltenteilung und Rechtsstaat zurückkehren zu können. Wer daraus nicht die einzig logische Erkenntnis zieht, dass staatliche Integration auf Krampf das genaue Gegenteil des Gewünschten erwirkt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Zurück zu nationalem Ausländerrecht?

Unabhängig davon aber könnten sich die in Deutschland lebend Auslandstürken mit ihrer breiten Zustimmung für Erdogan ohnehin ins eigene Fleisch geschnitten haben. Denn es ist davon auszugehen, dass Erdogan seinen EU-feindlichen Kurs als kleiner Diktator noch verschärfen wird. Sollte dann endlich einer Mehrheit der EU-Staaten der Kragen platzen und der Beitrittsstatus der Türkei aufgehoben werden – dann wird es richtig spannend.

Lingua Reipublicae Foederatae
LRF vergiftet den Konsens in Deutschland
Der Daueraufenthalt all jener türkischen Staatbürger, die sich zwecks Gelderwerbs in den Staaten der EU aufhalten, ohne Staatsbürger der Gastländer werden zu wollen, basiert ausschließlich auf diesem EU-Assoziierungsstatus. Fällt jener fort, greifen für die Auslandstürken automatisch wieder die jeweils nationalen Ausländergesetze. Für die Bundesrepublik hieße dieses die Wiedereinsetzung des Anwerbeabkommens mit der Türkei aus dem Jahr 1961. Das nämlich ist niemals juristisch außer Kraft gesetzt worden, sondern verlor lediglich auf Grund des „EWG-Assoziierungsabkommens“ vom 12. September 1963 seine Relevanz.

In dem dann wieder in Kraft zu setzenden Rechtszustand steht unmissverständlich: Die Türkei ist verpflichtet, ihre Staatsbürger ohne Wenn und Aber wieder aufzunehmen, so deren Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik endet. Und wann endet dieses? Auch dieses ist vertraglich festgeschrieben: Nach zwei Jahren in Deutschland geht es zurück nach Hause. Da könnte Erdogan also ein Massenexodus aus Deutschland bevorstehen, sollte die Bundesrepublik im Falle eines Falles ernst machen.

Vielleicht hätte das mal jemand jenen in der Bundesrepublik lebenden Auslandstürken sagen sollen, bevor sie mit Erdogan einen Heilsbringer wählen, der über sie noch mehr Unheil bringen könnte, als er über die Türkei bereits gebracht hat.

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