Tichys Einblick
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Trump oder Biden: Bei jedem US-Präsidenten gilt America First

Tomas Spahn sprach mit Stefan Prystawik, der lange Zeit Sprecher der Republicans Abroad in Deutschland war, über die aktuelle Entwicklung in den USA.

imago Images/media punch

Stefan Prystawik ist Ehrenmitglied der U.S.-Republikaner, der nach Trumps Wahl seine aktive Parteiarbeit niedergelegt hat. Er war lange Zeit Sprecher der Republicans Abroad in Deutschland und lehrt heute in Bielefeld Rechts- und Wirtschaftsenglisch. Tomas Spahn sprach mit ihm über die aktuelle Entwicklung in den USA.

TSp: Ganz direkt: Hat Trump noch eine Chance auf eine weitere Periode als Präsident?

SPr: Nein, die Schlacht ist geschlagen. Er wird notfalls aus dem Weißen Haus getragen werden. Kaum vorstellbar, dass er seine Show bis zum letzten Moment durchzieht.

TSp: Wozu dann dieses Festklammern um jeden Preis. Schadet er sich damit nicht am Ende selbst?

SPr: Er schadet sich, aber mehr noch dem Amt. Ein Rückzug in Ehren würde ihm besser zu Gesicht stehen. Aber offenbar geht es ihm um die Konditionen des Rückzugs.

TSp: Wie ist das zu verstehen? Ein Deal nach dem Motto: Ich gehe, aber Du, Biden, erteilst mir Generalamnestie?

SPr.: Das könnte seine Hoffnung sein. Wäre aber sehr fragwürdig.

TSp: Weil Biden nur eine Amnestie auf Bundesebene erteilen kann und Trump dennoch aus den Staaten Anklagen drohten?

SPr: Das ist ein Grund. Entscheidender aber ist, dass Biden sich selbst damit schaden würde. In der US-Mentalität sieht man so etwas noch enger als in Deutschland. Amerikaner neigen sozusagen dazu, systemisch nachtragend zu sein. Eine Amnestie für Vorwürfe, die beispielsweise darauf hinauslaufen, dass Trump sich im Amt besondere Vorteile verschafft hat, geht im amerikanischen Bewusstsein überhaupt nicht. Selbst ein Verhalten wie das des früheren Bundeskanzlers Schröder, der umgehend zur russischen Gazprom wechselte – schon vor dem Gedanken scheut jeder zurück.

TSp: Wenn also eine Amnestie ausfällt – warum dann dieses Festklammern an ein verlorenes Amt?

SPr: Es macht wenig Sinn, über Trumps Psyche zu spekulieren. Aber er schadet damit den USA. Diese ständige Behauptung, er sei Opfer böser Machenschaften, richtet sich gegen die Institutionen und gegen die Mitarbeiter der Verwaltung. Er sät Misstrauen, ohne dass er tatsächlich irgendwelche Belege für die behaupteten Machenschaften vorlegen kann. Die USA stehen in der Welt als Land des institutionalisierten Chaos da – und unsere Gegner reiben sich die Hände.

TSp: Trump hat immer noch präsidentielle Vollmachten. Könnte er diese nutzen, um zum Abschied noch einmal eine Marke zu setzen oder doch den Wahlausgang zu ignorieren?

SPr: Theoretisch ja. Doch er ist eine lame duck – wen oder was will er noch bewegen? Theoretisch könnte er einen Krieg anfangen – allerdings müsste er den ohne Militär führen. Denn das würde dabei nicht mitspielen – Oberbefehlshaber hin oder her. Insofern sind das Spielchen eines schlechten Verlierers.

TSp: Lassen Sie uns ein wenig in die Zukunft schauen. Bernie Sanders, radikaler Linksausleger der Democrats, hat sich als Minister ins Gespräch gebracht …

SPr: Ja, das hätte er wohl gern. Minister für Soziales und Wirtschaft am besten. Aber es ist doch bezeichnend, dass er sich selbst ins Gespräch bringen muss. Wer etwas Stil hat, lässt sich vorschlagen – aber er schlägt sich nicht selbst vor. Nein, ich gehe davon aus, dass Biden sein Kabinett mit gemäßigten Democrats besetzen wird. Alles andere würde das Land in den Abgrund schicken.

TSp: Apropos Biden, von Trump immer als „Sleepy Joe“ abgekanzelt. Es gibt Stimmen, die erwarten, dass er in spätestens zwei Jahren den Rückzug antritt und Kamala Harris das Feld überlässt.

SPr: Die Leute sollen sich nicht täuschen. Biden hat sein Leben lang davon geträumt, Präsident zu werden. Nun ist es soweit – und es ist wie eine Frischzellenkur. Wenn ihm die Biologie nicht dazwischenkommt, wird er die nächsten vier Jahre mit viel Elan durchstehen. Ob er noch ein zweites Mal antritt – das werden wir sehen. Aber einen vorzeitigen Rücktritt? Niemals freiwillig!

TSp: Also muss Kamala Harris noch etwas warten. Wie ist die Dame einzuschätzen?

SPr: Das ist nicht leicht zu sagen. Aber sie ist mit Sicherheit nicht so radikal, wie manche glauben. Wenn man ihre Laufbahn betrachtet, so steht eines ganz eindeutig fest: Karriere First – und um jeden Preis. Als Kalifornierin mit farbigen Eltern bot sich ihr das racial ticketing förmlich an. Aber schauen Sie mal genau hin: Die Frau ist Mitglied der sogenannten weißen Oberschicht, kein Underdog. Und ja, sie ist überaus ehrgeizig. Also wird sie das Rassenproblem noch ein wenig auf ihren Fahnen tragen – weiß aber auch ganz genau, dass sie damit niemals Wahlen gewinnen kann. Sie wird sich breiter aufstellen müssen. Wahlen werden auch in den USA in der Mitte gewonnen – nicht an den Rändern. Und die Mitte hat immer noch eine weiße Grundfarbe. Harris wird also vorsichtig agieren. Die Diskriminierungskarte greift da nicht mehr.

TSp: Apropos Rassismus: Die Democrats gingen offenbar davon aus, dass kein einziger Nichtweißer Trump wählen wird. Dann schauten sie auf Florida – und nicht nur dorthin – und siehe da: Den Hispanics war Trumps Hautfarbe völlig egal. Und nicht wenigen Schwarzen auch.

SPr: Ein typisches Zeichen für die weiße Arroganz der Democrats. Die Latinos sind genauso inhomogen wie Weiße oder Schwarze. Heute als Einwanderer in Arizona und Texas mögen sie im Millieu linker Widerstandskämpfer gegen eine rechte Junta in der alten Heimat sozialisiert worden sein. In Florida sitzen Kubaner und Venezoelaner. Die haben den Sozialismus satt und der Rassismus-Hype interessiert sie nicht. Hätte man auch als Democrat wissen können.

TSp: Wie geht es nun mit den Republicans weiter? Trump und seine Sippe als künftige Überväter? Eines ist ihm ja gelungen: Der vor vier Jahren hoffnungsvolle Mittelbau ist versenkt. Priebus, Cruz, und andere Hoffnungsträger – alle weg.

SPr: Stimmt. Da ist eine ganze Politikergeneration im Trump-Tsunami untergegangen. Und dennoch: An eine Zukunft der Trump-Sippe bei den Republicans glaube ich nicht. Es werden andere, neue Köpfe kommen.

TSp: Oder auch alte? Was ist mit Mitt Romney?

SPr: Romney wäre ein guter Mann für den Übergang. Er ist sozusagen republikanischer Altadel, der die vernünftigen Kräfte in der Partei zusammenführen kann. Auch ist er in der Lage, mit Biden eine für die USA sinnvolle Zusammenarbeit zu organisieren. Mit ihm ist sicherlich zu rechnen. Aber ich denke weiter – es gibt auch heute schon junge Senatoren, die Perspektive haben. Schauen Sie als Tipp mal nach Texas. Die dortige republikanische Partei ist nicht radikal, sie ist in der Bevölkerung fest etabliert und sie hat genug Größe, um ein Kristallisationspunkt für den Neuaufbau der Nach-Trump-Ära zu werden. Auch andere Bundesstaaten des Mittleren Westens haben kluge Köpfe. Ich mache mir da wenig Sorgen – wer nun hofft, Trump hätte bei den Republicans verbrannte Erde hinterlassen, wird sich bald getäuscht sehen.

TSp: Hinzu kommt, dass Biden selbst Probleme hat. Linksextreme in seiner Partei werden einen radikalen Politikwandel einfordern – auch auf die Gefahr hin, damit die Anhängerschaft der Republicans abschließend in den Widerstand zu drängen.

SPr: Das werden die Linken ohne Zweifel – und Biden wird es dennoch nicht tun. Er weiß, dass die Radikalen die USA sprengen würden. Da spielt er nicht mit. Auch muss man wissen, dass die politischen Gewichte in den USA nicht so simpel gestrickt sind, wie es in Deutschland gern dargestellt wird. Die Democrats vertreten ein Klientel von FDP bis links von der Linkspartei. Die Republicans eines von FDP bis Rechtsaußen. Das ist nicht immer ganz einfach, führt aber bislang meistens doch dazu, dass die Macht bei jenen liegt, die zur Mitte neigen. Trump war insofern eher ein Ausrutscher.

TSp: Ein Ausrutscher, der deutlich gemacht hat, dass in den USA völlig unterschiedliche, zivilisatorische Milieus existieren, die untereinander die Kommunikationsfähigkeit verloren haben.

SRr: Das mag in Teilen so sein. Tatsächlich aber befinden sich die USA eher in einem behutsamen Wandel. Das – nennen wir es einmal reaktionäre Potential schmilzt nicht nur in den großen Städten dahin. Auch junge Republikaner vertreten nicht mehr die Werte ihrer Großmütter. Es war Trumps großer Irrtum zu glauben, in den Vorstädten der Mittelschicht würden alle strikt konservativ sein. Das war einmal so – aber auch dort verlieren die Traditionalisten beständig an Boden.
Schauen Sie auf Arizona – früher eine Hochburg der Konservativen. In diesem Wüstenstadt findet sich letztlich alles in einem riesigen Stadtgürtel – Fachhochschulen, Universitäten – alles in einem County. Und selbstverständlich ist das eine Hochburg der Democrats, die die konservative Mehrheit geknackt hat. Hier werden die Republicans offener werden müssen – die Wagenburgmentalität der Frontiers ist nicht mehr mehrheitsfähig.

TSp: Und was ist beispielsweise mit BLM?

SPr: Auch wenn das in Deutschland keiner hören will: Das sind nicht die Kernprobleme der USA. Es gibt radikale und gewaltbereite Randgruppen, ja. Die gibt es rechts und links, bei Weißen und Schwarzen. In Minneapolis hat beispielsweise eine Art New Ku-Klux-Klan das Geschäft eines kleinen Elektronikhändlers zerlegt, weil der seiner Kirche Billig-Handys gespendet hatte, mit denen die dann Menschen half, die zumeist nicht der Gruppe der Weißen angehörten. Das ist völlig absurd – und das ist durch und durch unamerikanisch. Diese Ränder sind das Problem – nicht aber angeblicher, institutioneller Rassismus. Farbige Amerikaner sind längst bis in die Oberschicht vorgedrungen. In diesen Kreisen spielt die Hautfarbe keine Rolle – BLM-Kampagnen und ähnliches sind ein soziales Problem, keines von Rassen.

TSp: Und dennoch will es so scheinen, als täten sich die Democrats mit diesem Wandel leichter.

SPr: Die müssen da ganz vorsichtig sein. Schauen Sie mal auf die Abtreibungsdebatte. Unter dem fadenscheinigen Argument, der Bauch gehöre den Frauen, ist das Töten von Ungeborenen für Democrats ein Kernelement ihrer Politik. Und nun schauen Sie einmal genau hin: Wer treibt da ab? Das sind nicht die weißen Frauen – es sind zu 80 Prozent Schwarze. Bösartig formuliert: Die Politik der Democrats sorgt so dafür, dass der Bevölkerungsanteil der Schwarzen an der US-Bevölkerung nicht zu groß wird. Passt irgendwie gut in die Tradition der Sklavenhaltung der Südstaaten-Demokraten.

TSp: Klingt böse – aber zumindest hinsichtlich der Tradition der Democrats ist dem nicht zu widersprechen. Werfen wir nun noch einmal einen Blick auf die internationalen Beziehungen. Die Bundesregierung, die EU-Administration – alle sind glücklich, dass der böse Trump nun weg ist. Wird nun alles wieder wie früher?

SPr: Ich denke, die Euphorie wird schnell verfliegen. Auch wenn er es nie sagen wird, aber das „America first“ gilt auch für Biden. Internationale Politik basiert auf Interessen – nicht auf Kuschelkurs und Liebhaben. Der Ton wird freundlicher werden – die Forderungen nicht. Auch Biden wird verlangen, dass vor allem Deutschland seine NATO-Finanzierungszusage einhält. Auch er wird darauf bestehen, dass US-Waren nicht mit unzulässig hohen EU-Zöllen abgeblockt werden. Für Europas Politik gilt: Sie muss endlich erwachsen werden. Die bundesdeutsche Konsensgesellschaft lässt sich schließlich nicht auf die weltpolitischen Realitäten anwenden.
Die Europäer – und allen voran die Deutschen – müssen auch begreifen, dass es Länder gibt, die strukturell imperialistisch sind, sein müssen, weil sie andernfalls untergehen. Sie müssen imperiale Politik machen, um ihren Selbsterhalt zu garantieren. Russland ist ein solches Land. China ist es. Auch die USA sind es. Deutschland war es einmal und Frankreich ist es noch ein wenig. Achja – und dann selbstverständlich die Briten. Die träumen davon, dass sie es immer noch sind – sind es aber nicht mehr.

TSp: Apropos Briten. Die gehen nach dem EU-Ausstieg davon aus, nun ganz spezielle Beziehungen zu den USA aufzubauen …

SPr: Ja – und ich lache mich halbtot, wenn ich in britischen Sendungen von diesen special relationships fantasieren höre. Das ist eine Nullnummer. Das Vereinigte Königreich ist gerade einmal mit 0,5 Prozent am US-Bruttoinlandsprodukt beteiligt. Wo liegt da ein amerikanisches Interesse?

TSp: Und die traditionsreichen Beziehungen, diese emotionale Verbindung der alten Kolonialmacht mit dem übermächtig gewordenen Zögling?

SPr: Wie soll ich das einem Europäer erklären? Schauen Sie sich einmal unsere Nationalhymne an. Wir singen und leben sie voller Inbrunst. Dabei ist sie eine knallharte Kampfansage. Und gegen wen? Gegen die alte Kolonialmacht – gegen die Briten.
Die letzten Zeilen der ersten Strophe lauten: „O! say does that star-spangled banner yet wave, O’er the land of the free and the home of the brave?“
Das ist ganz tief in unseren psychologischen Genen verankert. Wenn der Supermarkt morgens sein Star Spangled Banner aufzieht, dann ist das mehr als ein ritualisierter Akt. Denn bald schon kommt der erste Amerikaner auf seinem Weg zur Arbeit vorbei, schaut auf den Mast, sieht die Fahne und ist beruhigt: Solange die weht, sind die Engländer noch nicht wieder da. Also kann in der Nacht nichts Schlimmes passiert sein.
Ja, klingt für Europäer vielleicht komisch. Aber so sind wir. Das ist unser nationales Bauchgefühl.

TSp: Oje, schlechte Karten für Boris Johnson … Stefan, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.

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