Selten sah man den russischen Präsidenten derart vergnügt wie bei seiner Antwort auf Fragen nach dem vorgeblichen Geheimnisverrat des US-Präsidenten Donald Trump. Selbstverständlich habe Trump seinem Außenminister Lawrow keinerlei „Geheimnisse“ verraten – und Russland werde den US-Institutionen gern eine Niederschrift der Gespräche zukommen lassen, um den Präsidenten zu entlasten.
Was auf den ersten Blick noch wie eine freundschaftliche Geste wirken konnte, war tatsächlich nichts anderes als ein Danaer-Geschenk. Sorgte in den USA bereits die Tatsache für Irritationen, dass das einzige Foto des Treffens Trump-Lawrow von einer russischen Agentur stammte – Trump hatte US-Medien nicht zugelassen – so traf die scheinbar ungeplante Putin-Äußerungen das amerikanische Selbstverständnis ins Mark. Nicht nur das vergiftete Angebot, ausgerechnet Russland werde zur Entlastung des angeschlagenen US-Präsidenten beitragen – vor allem die Wortwahl Putins irritierte. Hatten die Russen klammheimlich einen Mitschnitt des Treffens gefertigt – vorbei an diplomatischen Gepflogenheiten und an den Sicherheitsmaßnahmen des Weißen Hauses? Das allein müsste insbesondere den republikanischen Parteifreunden Trumps Anlass genug sein, die Zuverlässigkeit ihres Präsidenten anzuzweifeln.
Doch selbst wenn – welche „Beweiskraft“ hätten die von Putin großmütig angebotenen Mitschriften? In gedruckter Form überhaupt keine – denn es wäre niemand da, der ihre Korrektheit hätte bestätigen können. Und als Tape? Dann wäre der Skandal komplett – und ebenfalls zur Entlastung untauglich, denn die ausgeprägten Fähigkeiten der Mitschnittmanipulationen durch – nicht nur, aber besonders – russische Dienste sind hinlänglich bekannt.
Putins Danaer-Geschenk
Was also bezweckte Putin mit dem sein Umfeld erheiterndes Angebot? Ganz offensichtlich ging es nicht darum, Trump zu stützen – womit die Behauptung, Trump sei ein Projekt Putins, erst einmal aus der Welt sein dürfte.
Der Russe folgt einer einfachen Logik: Je mehr sich der Gegner mit sich selbst beschäftigt, desto mehr Freiraum hat Russland, seine eigenen Ziele zu verfolgen. Die gegenwärtige Situation eines mit sich und seinem Präsidenten beschäftigten Amerika gefällt Moskau. Am liebsten wäre es dem Kreml, die USA würden mit ihren zahllosen inneren Problemen implodieren. Also süffisant etwas Öl nachgießen, um die US-Medien zu beschäftigen.
Trump hat zwischenzeitlich eingestanden, an Lawrow geheimdienstliche Erkenntnisse weitergegeben zu haben. Es sei dieses sein Recht als Präsident, twitterte er.
Ganz so einfach ist das allerdings nicht. Es erschließt sich den meisten Amerikanern nicht einmal ansatzweise, warum man ausgerechnet die Russen mit Informationen versorgt, die noch dazu nicht einmal von den eigenen Diensten gewonnen wurden. Offenkundig hatte der israelische Mossad aufgeliefert – sieht die Weitergabe aber gelassen, wie der Mossad-Chef wissen ließ..
Ein heilloses Durcheinander
Dennoch reichten die unterschiedlichen Mitteilungen aus dem Weißen Haus – erst ein Dementi der Pressestelle, dann das Eingeständnis Trumps – um in den USA einen medialen Skandal zu produzieren. Dabei wird eine hochspannende Frage bislang allerdings überhaupt nicht gestellt: WER hat die Informationen über die Trump‘sche Weitergabe an die Medien durchgesteckt? Und warum? Der Kreis der Teilnehmer an dem Gespräch war überschaubar.
Blickt man auf Putins zynische Bemerkungen, könnte man versucht sein, auf die „üblichen Verdächtigen“ zu tippen. Russland als Informant, um den US-Präsidenten in Bedrängnis zu bringen. Allerdings ist Putin ein Improvisateur – und nach dem offenbar ungewohnt harmonisch verlaufenen Gespräch im Oval Office spricht nichts dafür, dass Russland den US-Präsidenten gezielt in die Schusslinie schieben wollte. Das „leak“ dürfte in den USA selbst zu suchen sein. Entweder, jemand aus Trumps unmittelbaren Umfeld wollte seinem Präsidenten schaden – oder jemand in Stab oder Administration des Präsidenten, der Zugriff auf die entsprechenden Informationen hatte, wollte seinem Chef ein Bein stellen.
Spielt hierbei der kurz vor dem Treffen erfolgte Rausschmiss des FBI-Chef James B. Comey eine Rolle? Der hatte während des Wahlkampfes quasi Schützenhilfe für Trump geliefert, als er die Clinton-Mail-Affäre hochkochte. Gleichzeitig aber ermittelte er auch gegen das Trump-Umfeld wegen dessen Russland-Kontakten. Die Frage stand im Raum: Hat Putin direkten oder indirekten Einfluss auf die US-Präsidentschaftswahlen genommen – und erfolgte dieses möglicherweise in Absprache mit Trump oder dessen Mitarbeitern?
Trumps erster Sicherheitsberater Michael T. Flynn stolperte bereits darüber. Sein Problem war jedoch nicht, dass er während der Kampagne mit hochrangigen Russen gesprochen hatte – sein Problem war, dieses gegenüber Vizepräsident Mike Pence geleugnet zu haben.
Amerikanisches Wahrheitsverständnis
Die Amerikaner haben ein aus europäischer Sicht höchst spannendes Wahrheitsverständnis, wenn es um Offizielles geht. Ist der Europäer daran gewohnt, dass seine politische Führung das, was gemeinhin als „Wahrheit“ behauptet wird, eher als interpretierbare Wirklichkeit betrachtet, so sind in den USA Präsident und Administration, ja selbst die Anwaltschaft der „Wahrheit“ – soll heißen: den Tatsachen – verpflichtet. Wird jemand, der diesen Ständen angehört, der vorsätzlichen Lüge überführt, ist es aus mit Amt und Würden. Deshalb retten sich entsprechende Personen gern in eine Situation, in der sie vorgeblich die Unwahrheit des Behaupteten noch nicht haben kennen können.
Wie schwerwiegend der Vorwurf vorsätzlicher Lüge im Amt sein kann, musste seinerzeit auch Bill Clinton erfahren. Er leugnete seine Sex-Affäre mit einer Praktikantin so lange, bis die Unwahrheit nicht mehr aufrecht zu erhalten war. Dieses Leugnen einer Handlung war es, das ihm ein Impeachment-Verfahren einbrachte, welches er nur knapp überstand. Denn die Lewinsky-Affäre selbst war alles andere als staatsgefährdend. Wegen ein bisschen außerehelichem Sex im Weißen Haus hätte kein Abgeordneter die politische Befähigung des Präsidenten angezweifelt.
Trump hingegen steht seit Beginn der „Affäre“ um seinen eingestandenen „Geheimnis“-Verrat und die vorgebliche Putin-Connection unter mannigfacher Bedrohung. Geheimnisverrat allein hätte vielleicht als staatsgefährdende Handlung betrachtet werden und den Präsidenten einem Amtsenthebungsverfahren näher bringen können – die Leugnung desselben aber hätte eine deutlich schwerwiegendere Qualität und Trump nach dem Muster Clinton in schwerste Bedrängnis bringen müssen. Sein wider die Angaben seiner Pressestelle gerichtetes Getwitter war insofern eine misslungene Form der Vorwärtsverteidigung, trifft ihn jedoch nicht unmittelbar. Insgesamt jedoch sind die bislang – freundlich formuliert – unübersichtlichen Russland-Beziehungen der Trump-Mannschaft etwas, dass Abgeordnete misstrauisch und Grundreflexe der Amerikaner wach werden lässt.
Von Lawrow zu Comey
Bereits naht weiteres Übel in Form des unmittelbar vor dem Lawrow-Besuch geschassten FBI-Direktors. Comey hatte angeboten, vor dem Senat auszusagen – allerdings nur „öffentlich“. Er will, dass die Nation erfährt, was er zu sagen hat. Diese Woche ist es so weit. Der Ex-FBI-Chef ist geladen und wird sprechen. Trump scheint daran kein Gefallen zu finden. Bereits am 12. Mai hatte er getwittert: “James Comey better hope that there are no ‘tapes’ of our conversations before he starts leaking to the press!”
Und schon standen noch mehr Fragen im Raum. Lässt Trump die internen Gespräche im Oval Office heimlich mitschneiden? Verfügt er vielleicht sogar über eine private „Wanze“? Und um was war es bei dem Gespräch mit Comey gegangen, wenn Trump dem FBI-Chef quasi ein Eigentor ankündigte, sollte er darüber plaudern?
Laut einem offenbar von Comeys FBI-Vize weitergegebenen Memorandum, welches der damalige FBI-Direktor nach einem Gespräch mit Trump niedergeschrieben haben soll, weil ihm dessen Inhalt „ungewöhnlich“ vorkam, habe Trump ihn aufgefordert, die FBI-Ermittlungen gegen Flynn einzustellen. Begründung des Immobilien-Moguls demnach: Flynn sei „ein netter Kerl“.
Einmal ganz abgesehen davon, dass hieraus nicht erkennbar ist, weshalb Comey die Trump-„tapes“ fürchten müsse, hätte Trump damit das nächste Eigentor geschossen. Denn der Versuch, strafrechtliche Ermittlungen zu unterbinden, wird auch in den USA nicht gern gesehen. Und schon gar nicht vom Präsidenten. Prompt legten die Washingtoner Medien nach: Trump solle dem russischen Außenminister gegenüber erklärt haben, der Rausschmiss Comeys sei erfolgt, um die Russland-Ermittlungen zu stoppen. Zwar dementierte Lawrow umgehend – aber hier gilt oben Gesagtes.
Der Sonderermittler
Dieses Hin und Her nebst mehr oder weniger eindeutigen Hinweisen auf Verquickungen zwischen Trump-Team und Russland blieben nicht ohne Folgen. Am Präsidenten vorbei setzte der stellvertretende Justizminister Rod Rosenstein in Absprache mit Minister Jeff Sessions am 18. Mai einen Sonderermittler für die sogenannte „Russland-Affäre“ des Präsidenten und seiner Kampagne ein. Sessions selbst hatte sich für „möglicherweise befangen“ erklärt und die Benennung deshalb seinem Vize überlassen.
Mit der Einsetzung des Sonderermittlers, die der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, am Montag dieser Woche abgesegnet hatte, schwebt bereits das Damoklesschwert über dem Haupt des Präsidenten. Faktisch entspricht sie der Bestätigung eines massiven Anfangsverdachts – geteilt und getragen durch das Justizministerium der Vereinigten Staaten.
Ken Gormley, Präsident der Duquesne University und Kenner des politischen Instruments der Sonderermittlung, bestätigt: „Es gibt keinen Zweifel, dass allein schon die Einsetzung von Sonderermittlern in der Vergangenheit immer bedeutende Auswirkungen auf die Regierungspraxis hatte“ Bedeutet: Der Präsident steht ab sofort unter schärfster Beobachtung und sollte jede seiner Handlungen sorgsam abwägen. Nicht umsonst nutzt Gormley den Begriff „significant impact“, um die Wucht dieser Auswirkungen nachdrücklich zu beschreiben.
Eine Hexenjagd?
Trump scheint dieses bewusst – und sieht sich selbst als Opfer, nicht als Täter. Am 18. Mai twitterte er: „This is the single greatest witch hunt of a politician in American history!”, legte 22 Stunden später nach mit der Feststellung: “With all of the illegal acts that took place in the Clinton campaign & Obama Administration, there was never a special counsel appointed!”
Die Botschaft ist unmissverständlich: Mit Begriffen wie “Hexenjagd” und dem Hinweis auf angeblich deutlich illegalere Handlungen von Obama und Clinton – deren Nachweis Trump allerdings schuldig bleibt – versucht Trump, sich als das unschuldige Opfer einer bösartigen, gegen ihn gerichteten Kampagne zu stilisieren.
„Hexenjagd“? Trump selbst hat mit seinem Politikstil und dem Tweet-Feuerwerk nach seinem aggressiven Wahlkampf nicht nur den Medien Anlass gegeben, jeden noch so kleinen Fehltritt des Präsidenten genüßlich auszubreiten. Bemerkenswert ist gleichwohl die Verknüpfung des Sonderermittlers mit „kriminellen Handlungen“. Geht er davon aus, dass Mueller solche nun auch bei ihm oder seinem Team finden wird? Offiziell ist ein Sonderermittler erst einmal nichts anderes als jemand, der strittige und fragwürdige Sachverhalte aufklären soll. Ob diese Klärung am Ende genug Material aufzeigen wird, die Trumps Präsidentschaft gefährden, steht nicht in Muellers Entscheidung. Hierüber haben dann die gewählten Abgeordneten zu entscheiden – und deren Mehrheit ist immer noch republikanisch.
Kann Trump also dem Ermittlungsergebnis gelassen entgegen sehen? Werden „seine“ Republicans mit ihrer Mehrheit vor einem Impeachment, einem Amtsenthebungsverfahren, retten, weil sie es nicht zulassen werden, einen der ihren öffentlich zu schlachten? Steht die Mehrheit in Nibelungentreue zu „ihrem“ Präsidenten?
Wer diese Auffassung vertritt, der kennt weder den US-amerikanischen Politik-Zirkus noch die Zirkel und Interessen, die hinter den Kulissen in Senat, Repräsentantenhaus und Partei agieren. Doch darauf soll erst in einem zweiten Teil der Blick geworfen werden.