Die 1851 gegründete New York Times gilt als Institution des unabhängigen Journalismus. Unter dem Slogan “All the news that’s fit to print” („Alle Neuigkeiten, die gedruckt zu werden wert sind“) etablierte sich das Blatt international als eines der führenden Informationsangebote der Vereinigten Staaten von Amerika. Politisch gilt sie als liberal, was in den USA grundsätzlich als „links“ betrachtet wird – wobei sie sich stets bemühte, gemäß dem journalistischen Anspruch auf objektive Berichterstattung auch über Positionen zu berichten, die weniger left-winged sind. Insofern unterschied sie sich bislang maßgeblich von der beispielsweise in der Bundesrepublik festzustellenden Entwicklung, dass sogenannte Mainstream-Medien zur journalistisch gebotenen Trennung von Nachricht und Kommentar nicht mehr in der Lage sind und statt objektiver Berichterstattung, ergänzt durch Meinungskommentare unabhängiger Autoren, sich dem sogenannten „Haltungsjournalismus“ (welcher mit Journalismus nichts mehr zu tun hat) verschrieben haben.
Cottons deutliche Worte gegen „Aufrührer“ und Antifa
Tatsächlich hat Cotton, der in manchen deutschen Medien bereits als „der bessere Trump“ bezeichnet wird, weil er dessen Politik noch extensiver vertrete, in seinem Kommentar deutliche Worte gefunden. Statt sich dem Mainstream der Rassismus-Demonstranten anzuschließen, schreibt er von „Aufrührern [rioters], die viele amerikanische Städte in Anarchie stürzen“. Dieses erinnere an die „weit verbreitete Gewalt der 1960er“. Cotton lässt an jenen, die den Protest gegen den Tod des Schwarzamerikaners in Minnesota für Plünderungen nutzen, kein gutes Haar, beschreibt sie als „Banden von Plünderern, die die Straßen verunsichern, hunderte von Geschäften zerstören und plündern“. Dabei, so Cotton, seien die Unruhen „ebenso ein Karneval für Reiche, die den Kick suchen, wie für andere kriminelle Elemente“. Dann listet Cotton die Opfer in den Reihen der Polizei auf, die, von „nichtsnutzigen Politikern schutzlos ausgeliefert, die Hauptleidtragenden der Gewalt“ seien: „Officers“, die im Staat New York vom Mob gezielt mit Fahrzeugen überfahren worden sind; ein Polizist, dem in Las Vegas gezielt in den Kopf geschossen wurde; vier Polizisten in St. Louis, die beim Versuch, Benzindiebe zu hindern, gezielt unter Beschuss standen; ein 77-jähriger Ex-Polizist, der den Tod durch die Kugel fand, als er Plünderer hindern wollte, ein Leihhaus leerzuräumen.
Eine Position wider den linken Mainstream
Naheliegend, dass diese Äußerungen eines konservativen Politikers nicht in die Linie der linken Meinungsführer passen. Statt dem derzeit weit über die Grenzen der USA hinausgehenden Polizei-Bashing das Wort zu reden, stellt sich Cotton trotz des bis zum Beweis des Gegenteils als unbeabsichtigt geltenden Todes des laut Obduktionsbericht unter Drogeneinfluss stehenden Floyd hinter jene Polizei, die – auch das sollte nicht unterschlagen werden – in den USA durchaus manchen Anlass zu Kritik bietet. Doch dieses ist Cottons Position – ausdrücklich. Und eine solche Position ist dann, wenn sie von einem gewählten Politiker vertreten wird, vielleicht zwar kritikwürdig, aber sie bleibt zulässig umso mehr, da nicht nur in den USA, sondern auch andernorts festzustellen ist, wie linksextremistische Staats- und Verfassungsfeinde aus den Kreisen der Antifa den Protest gegen den Tod Floyds gezielt und vorsätzlich zu instrumentalisieren suchen, um das „Schweinesystem“ der Kapitalisten – so formulieren es manche der Staatsfeinde beispielsweise über die deutschsprachige Anarcho-Plattform indymedia – zu bekämpfen und auszuhebeln.
… und dann doch eine Entschuldigung
So knickte dann angesichts des koordinierten Shitstorms die Chefredaktion der NYT ein, indem sie den Ressortchef zum Bauernopfer machte und dem Cotton-Text nachträglich eine redaktionelle Stellungnahme vorsetzte, in der unter anderem Cottons Hinweis auf die „Kader der Antifa“ als „unbewiesen“ relativiert wird. Auch sei der Hinweis auf die Polizei als „Hauptopfer der Gewalt“ ein „overstatement“, die behauptete „Verfassungspflicht“ des Insurrection Act fragwürdig. All das hätte durch die Herausgeber – also die NYT – entweder herausgenommen werden müssen, oder aber der Text in Gänze nicht erscheinen dürfen. Dennoch entschied sich die NYT nun, da er bereits erschienen ist, dafür, ihn als eine Art zeitgeschichtliches Dokument weiter zugänglich zu lassen. Und entschuldigt sich indirekt sogar noch bei Cotton, weil sie dessen Text eine Überschrift gegeben hatte, die – so die Konsequenz – den linken Aufstand gegen Cottons deutliche Worte erst gezielt befördert hat. Sie lautete „Senator Cotton: Send In The Troops“ und bedeutet, dem Senator seitens der Redaktion die Aufforderung zu einem Militäreinsatz ohne Wenn und Aber in den Mund zu legen.
Das allerdings hatte Cotton tatsächlich nicht gefordert, sondern lediglich Trumps Hinweis auf jenes Gesetz gerechtfertigt. Die NYT verfuhr also nach dem in Dutschland längst üblichen Motto, einem ungeliebten Politiker durch verkürzende Scheinzitate ein negatives Image anheften zu wollen. Und insofern war der vorgeblich freiwillige Rücktritt des Ressortchefs vielleicht doch angemessen. Nicht, weil er den zugegeben recht deutlichen Text eines gewählten Politikers angeblich ungelesen veröffentlichen ließ, sondern weil er durch die Überschrift eine Konnotation in die Situation brachte, die eine sachgerechte Auseinandersetzung mit Text und Autor von vornherein unmöglich machte.