Tichys Einblick
Russland – Türkei – Iran

Der Teheran-Gipfel war eine Demonstration gegen die USA und den Westen

Der Dreier-Gipfel von Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und Ebrahim Raissi war aus mehreren Gründen eine denkwürdige Veranstaltung. Gegen den Westen jedenfalls ist man sich einig.

Russlands Machthaber Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz nach dem Gipfel in Teheran, 20.07.2022

IMAGO / ITAR-TASS

Da traf sie sich nun also in Teheran: eine „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“. Mit den Helden des gleichnamigen Films, die die Welt retten wollen, haben die drei Herrscher allerdings wenig gemein. Ebrahim Raissi, von Allahs Gnaden via Glaubensführer zum Präsidenten der Klerikaldiktatur Iran gewählt. Wladimir Putin, totalitär regierender und einen Terrorkrieg führender Präsident der Russischen Föderation. Recep Tayyip Erdogan, Muslimbruder und Präsidialautokrat des EU-Anwartstaates und Nato-Mitglieds Türkei.

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Es war aus mehreren Gründen eine denkwürdige Veranstaltung. Zum einem war da der offizielle Gegenstand des Treffens. Demnach ging es um einen Staat, über den entschieden werden sollte, ohne dass irgendein Vertreter dieses Staates mit am Tisch saß. Auch der offizielle Präsident dieses Staates war nicht geladen – womit nun alle Welt begriffen haben dürfte, dass dieser Alawit nicht nur zum Affen gemacht wurde, sondern auch nichts anderes ist als eine Marionette fremder Herren. Zum anderen war da der Umgang der ungewöhnlichen Gentlemen untereinander. 

Doch beginnen wir mit dem Gegenstand: Die drei, der atheistisch-orthodoxe Russe, der sunnitisch-muslimtreue Osmane und der schiitisch-reaktionäre Perser, wollten Einigkeit über die Zukunft jenes Syriens erzielen, in dem sie alle in irgendeiner Weise seit geraumer Zeit als Akteure aktiv sind.

Putin und seine Marionette

Putin, der Russe, wurde in dem von einem Bürgerkrieg zerrütteten Land vorstellig, als der damalige US-Präsident Barack Obama unmissverständlich signalisierte, dass er keine Lust habe, sich dort über Gebühr einzumischen. Dass sich dennoch US-Soldaten im Osten des Landes befinden – steht auf einem anderen Blatt. Offiziell sind sie nur noch dort, weil Erdogan nicht zugesagt hat, die kurdischen Verbündeten zu schonen.

Putin, der seinen Marinestützpunkt am Mittelmeer retten wollte, zog angesichts des US-Zögerns ein ins Land der Syrer und sorgte dafür, dass Baschar al-Assad auf seinem Präsidentenstuhl kleben bleiben konnte. Womit auch klar ist, als wessen Marionette der nicht geladene Alawit zu verstehen ist. Gleichzeitig sorgte Putin in Kooperation mit den USA dafür, dass den lange Zeit dominierenden, sunnitischen Radikalmuslimen des Islamischen Staats ihre Eroberungen abgerungen wurden. Bis auf einen kleinen Teil im Nordwesten, auf den wir jetzt zu sprechen kommen.

Erdogan und das Osmanische Reich

Dort oben, an der Westgrenze zur Türkei, sammelten sich die Reste der revoltierenden Kalifats-Islam-Aktivisten. Dabei spielte Erdogan die entscheidende Rolle. Der nahm die sunnitischen Rebellen nebst den weltweit als Terroristen gebrandmarkten IS-Resten unter seine Fittiche und erklärte sich zu deren Schutzmacht. Daraufhin kam es zu einem Agreement mit dem Kollegen Putin. Seitdem fahren Türken und Russen gemeinsam Streife, während die offizielle syrische Armee regelmäßig Granaten auf das den Rebellen derzeit zugesprochene Refugium feuert und die Rebellen wiederum ihrerseits die eine oder andere Attacke gegen die syrische Armee starten. So bleiben beide Seiten in Bewegung, ohne sich gegenseitig allzu großen Schaden zuzufügen.

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Für Erdogan allerdings geht es um mehr als nur ein wenig Schutz einiger Brüder im radikalislamischen Geist. Im März 2018 überrollte er die bis dahin friedliche Kurdenprovinz Afrin im äußersten Nordwesten Syriens und vertrieb die dortige Bevölkerung. 2019 marschierte seine Armee in einen Teil der Zentralregion der kurdischen Autonomie in Rojawa (Südkurdistan) ein, um dort entgegen den Vorstellungen der USA, die mit den Kurden verbündet sind, eine sogenannte Sicherheitszone einzurichten. Auch in der von den letztverbliebenen sunnitischen Rebellen gehaltenen, an das türkische Hattay grenzenden Provinz Idlib sind türkische Truppen stationiert, um den weiteren Vormarsch der Syrer zu verhindern. Das Ziel der türkischen Intervention ist offensichtlich: größtmögliche territoriale Zugewinne zulasten Syriens und die Verhinderung eines autonomen Kurdenstaats mit allen Mitteln.
Der Iran und die Osmanen

Letzteres ist ebenso das Bestreben des schiitischen Iran, der selbst in seinem Staatsgebiet kurdische Siedlungsgebiete hat, welche wiederum gern mit dem angrenzenden kurdischen Autonomiegebiet im Irak zu einem unabhängigen Kurdenstaat verschmelzen würden, was allerdings weder in Teheran noch in Ankara auf Begeisterung stößt.

Ansonsten allerdings gab es in der Vergangenheit zwischen Erdogan und Raissi, der wiederum die Marionette des Obersten Religionsführers Ali Chamenei ist, nur wenig Übereinstimmungen. Die Irani haben keinerlei Interesse daran, dass in Syrien die Türkei ihnen oder ihren schiitischen Freunden näher auf den Pelz rückt oder sich gar ein Stück aus dem Kuchen heraus schneidet. Weshalb sich Führer Chamenei gleich zu Beginn mit der Warnung an Erdogan zu Wort meldete, dass der Iran mit einer wie auch immer gearteten Intervention der Türkei in Syrien nicht einverstanden sei.

Hierbei dürfte es vor allem um Spekulationen gehen, wonach Erdogan seit einiger Zeit plant, weitere Gebiete im kurdischen Norden Syriens zu erobern, um die dort lebenden Kurden zu vertreiben und dort wiederum eine türkisch-freundliche Bevölkerung anzusiedeln – und das Gebiet letztlich in seinen Traum vom Osmanischen Großreich einzugliedern.

Gleichzeitig – so ist das im Orient – fand der klerikale Führer auch freundliche Worte: „Wir haben die türkische Regierung immer in ihren inneren Angelegenheiten und gegen Interventionen verteidigt. Wie Sie erwähnt haben, sind wir Freunde in schwierigen Zeiten, und wir beten für die muslimische türkische Nation.“

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Damit ist Chamenei erheblich über seinen schiitischen Schatten gesprungen, denn traditionell sind sich Sunniten und Schiiten spinnefeind. Alles, was sich irgendwie zur Schia bekennt – darunter auch der syrische Präsident –, gilt den Sunniten als Abtrünnige und Ketzer. Umgekehrt verachten die Schiiten die Sunniten, weil diese in den Mohammed-Nachfolgefehden den aus ihrer Sicht rechtmäßigen Erben des Propheten gemeuchelt haben.

Das allerdings hält beide Seiten nicht davon ab, anlässlich des Teheran-Meetings freudig die islamische Freundschaft und weitere Intensivierung der Handelsbeziehungen zu verkünden. Das ist unmissverständlich vor allem gegen Washington, aber auch gegen die EU gerichtet und dürfte den USA als Nato-Verbündeten und Schutzmacht des vom Iran mit Vernichtungsdrohungen belegten Israels kaum gefallen, umso mehr, als unter der Hand auch sanktioniertes, iranisches Öl seinen Weg auf den Weltmarkt finden wird.

Schließlich begrüßte der iranische Ölminister nicht nur Putin, sondern vor allem auch Erdogan bei der Landung auf Teheran Airport mit freudigem Handschlag (was andererseits manchen vor allem in Europa gefallen mag, weil ein größeres Angebot traditionell die Preise senkt).

Der schiitische Gürtel zwischen Golf und Mittelmeer

Das regionalpolitische Interesse des Iran in Syrien ist es einerseits, dort die Vormachtstellung der schiitischen Alawiten des Assad gegen Sunniten, Drusen, Jeziden und sonstige Ungläubige zu verteidigen. Die iranische Führung träumt davon, über den mehrheitlich von Schiiten bewohnten Irak und Syrien den unmittelbaren Anschluss an den von schiitischen Terrorclans dominierten Libanon zu errichten. Die Schiiten hätten dann nicht nur gleichzeitig einen Zugang zu Mittelmeer und Golf, sondern auch einen Riegel zwischen die sunnitischen Gruppen in Kleinasien und der arabischen Welt gelegt. Zudem stünde Teheran unmittelbar an der Pforte Israels, was die angekündigte Totalvernichtung des Zionistenstaats zumindest gefühlt erheblich erleichtern würde.

Tatsächlich ist es längst schon so, dass iranische Revolutionsgarden zwischen Beirut und Isfahan relativ unbedrängt agieren können. Einen kleinen Rückschlag gab es nur, als der damalige US-Präsident Donald Trump am 3. Januar 2020 im irakischen Bagdad den iranischen Chefstrategen Qasem Soleimani liquidieren ließ. Der koordinierte zu jener Zeit nicht nur den Einsatz der irakischen „Freiwilligen“ in Syrien, sondern war aktiv dabei, im Irak eine Schiiten-Miliz unter persischer Führung aufzubauen, die gegen die von den USA erhoffte Demokratisierung des Zweistromlandes als Stoßtrupp agieren sollte.

Territoriale Integrität und gegen Terrorismus

Kurzum: Irgendwie schien da nichts zu passen bei den unterschiedlichen Interessen der drei ungewöhnlichen Gentlemen. Und dennoch kam es zu so etwas wie einer gemeinsamen Erklärung. Die Gentlemen einigten sich darauf, dass die territoriale Integrität Syriens gewahrt und der Terrorismus bekämpft wird.

Das kann nun jeder der drei ganz nach seinem Verständnis auslegen: 

Sieht sich die eine oder andere Seite – vor allem die Türkei – genötigt, weitere Truppen in bislang noch nicht besetztes Gebiet zu verlegen, so geschieht dieses nicht in der Absicht, damit die Außengrenzen Syriens zu verändern. Zumindest nicht offiziell. Alles nur Anti-Terror-Kampf. Den Rest wird dann die Zeit zeigen. Und so wurde Nato-Freund Erdogan dann auch gleich aktiv: Noch ganz unter dem freundschaftlichen Eindruck des Dreiertreffens ließ er am späten Nachmittag des Mittwoch die USA wissen: „Die US-Truppen haben in Syrien die Gebiete östlich des Euphrat zu verlassen!“

Östlich des Euphrat? Das meint faktisch das gesamte, von den Kurden derzeit gehaltene Gebiet. Erdogan erwartet Washingtons Verrat an seinen kurdischen Verbündeten – und wir dürfen sicher sein, dass die bereits im Parlament gestoppte Zustimmung zum Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands noch so lange unerledigt bleiben wird, bis Biden die Kurden an ihn ausgeliefert hat. Glücklich, wer solche Freunde hat …

Eine Anti-USA-Demonstration

Ohnehin war das Treffen der ungewöhnlichen Gentlemen eine durchgehende Demonstration gegen die USA.

Für Putin, weil er damit demonstrierte: Schaut her! Ich habe noch Freunde! Und sogar einen in der Nato!

Für Teheran, weil in Washington ohnehin die Teufel sitzen, die noch dazu mit den zionistischen Oberteufeln tiefe Freundschaft halten.

Und für Erdogan? Der ist es leid, sich ständig über Atlantik und Mittelmeer hinweg aus Washington ob seiner Alleingänge und seiner imperialen Osmanen-Phantasien maßregeln zu lassen. Deshalb schreibe ich es hier nicht zum ersten Mal: Der Muslimbruder arbeitet daran, ein eigenes Bündnissystem mit ihm als maßgeblichem Partner aufzubauen. Die Nato-Mitgliedschaft ist ihm längst nur noch Mittel zum Zweck, um gegenüber Raissi und Putin den dicken Max zu geben.

Wie Du mir …

Apropos dicker Max. Damit sind wir nun beim menschlichen, auf das sich der feinfühlige Erdogan perfekt versteht. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die ungewöhnliche Beflaggung anlässlich eines Merkel-Besuchs – und an jenen zufällig fehlenden Stuhl beim Empfang der beiden EU-Granden. Wie beim Partyspiel „Reise nach Jerusalem“ schubste damals Ratspräsident Charles Michel – ganz belgischer Bonvivant – Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Seite und sicherte sich das freie Plätzchen. Die Niedersächsin stand recht bedröppelt da, was Macho Erdogan offensichtlich nicht ohne Genuss zur Kenntnis nahm.

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Nun also eine perfekte Inszenierung in Sachen Putin. Der hatte in der Vergangenheit den Türken oft genug spüren lassen, dass er sich in der Hierarchie der Staatsschurken deutlich über ihm wähnt. Jetzt die Rache. Erdogan hatte den Russen, der gegenwärtig angesichts seiner Ächtung im Westen um jede internationale Huldigung bemüht ist, zum Gespräch gebeten. Putin erschien pünktlich – aber wer nicht dort war, war Erdogan. Also wartete Putin – und wartete – und wartete – und wurde dabei immer nervöser und ungehaltener, denn als Kriegsherr aller Reußen ist er eine derartige Behandlung nicht mehr gewöhnt.

Und rein zufällig – wie das böse Schicksal manchmal so spielt – lief die gesamte Wartezeit eine Kamera, die den Gemütszustand Putins perfekt vermittelte und ihn nun globusweit zum Gespött macht – bis zu dem erlösenden Moment, als dann Erdogan die perfekt inszenierte Bühne betrat und den einen Kopf kleineren Russen mit aufgesetzter Freundlichkeit umgarnte. Da galt dann offensichtlich nun der alte Spruch, dass man sich im Leben immer zweimal treffe auch dann, wenn man sich häufiger sieht.

Ein paar Drohnen und Getreide

Was noch? Selbstverständlich: Die Gespräche waren vertraulich. Doch wir dürfen unterstellen, dass es tri- und bilateral nicht nur um die Sicherung der Souveränität, sondern vor allem um die Aufteilung der Claims in Syrien ging. Darüber, dass die Kurden weder vom Iran noch von Russland Unterstützung erwarten dürfen, wenn sich Erdogan nun ihrer annimmt. Einig war man sich auch, dass man die USA am liebsten ganz aus dem Nahen Osten verdrängen möchte und ohnehin die gemeinsame Überzeugung und Verbundenheit schuf, dass die Welt ohne die Amis doch so viel schöner und autokratischer zu beherrschen wäre.

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Für Putin wird es darum gegangen sein, seine offensichtlich in Sachen moderne Rüstung recht mager bestückte Invasionsarmee mit iranischen Drohnen aufzustocken. Und der Iran wird wiederum ein Interesse daran haben, russisches und von Russland in der Ukraine gestohlenes Getreide zu günstigen Konditionen zu erhalten. Da können folglich einige Hände die anderen waschen, weshalb Putin erst darauf hinwies, dass er „der türkischen Seite die Notwendigkeit dargelegt hat, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben, die die Erleichterung des Getreideexports verhindern“, um dann den Hinweis zu platzieren: „Wir sind bereit, 30 Millionen Tonnen Getreide und Lebensmittel und 50 Millionen Tonnen Düngemittel zu exportieren.“

So haben alle drei ihre Botschaften platziert und konnten zufrieden ihren Heimweg antreten. Und die westliche Allianz kann einmal mehr vor Glück in die Hände klatschen, mit Erdogan einen derart diplomatisch begabten Verbündeten zu haben – und sollte sich langsam ernsthafte Gedanken darüber machen, wie lange man eine derart geführte Türkei noch an seiner Seite dulden kann und will.

Gemütlicher jedenfalls ist es für den Westen mit dem Teheraner Meeting nicht geworden. Nicht nur der schiitisch-sunnitische Schulterschluss wird manche lang gehegte Strategie überdenken lassen müssen. Die Kurden dürfen sich warm anziehen. Syrien ist ein Mündel des Triumvirats der Mächtigeren. Die Ukraine kann sich darauf einstellen, dass Russland für das Diebesgut einen willigen Hehler findet, der für ukrainisches Eigentum hochwertige Waffen an den Dieb liefert.

Die demonstrative Nähe der ungewöhnlichen Gentlemen verheißt auch für den in Madrid verkündeten, weltweiten Kampf der Nato gegen das Böse wenig Gutes. So gilt auch hier: Die Welt sortiert sich neu. Und wer am Ende die Verlierer sein werden, ist alles andere als ausgemacht.

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