Tichys Einblick
Vor der Verbeamtung der Tattoo-Striptease

Berlin: Gesinnungs-TÜV bis in den Intimbereich

Jedes Tattoo künftiger Lehrer ist nach Wunsch der Berliner Schulverwaltung nebst genauer Platzierung und seiner Größe anzugeben, zudem zu beschreiben, was es darstellt, und vor allem, was es dem Träger bedeutet.

IMAGO/Zuma Wire

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ So steht es in Artikel 1 des bundesdeutschen Grundgesetzes. Doch was kümmert die staatliche Gewalt das Grundgesetz, wenn es der staatlichen Gewalt darum geht, „Nazis“ zu verhindern?

Die Berliner Schulverwaltung, offiziell „Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie“, kurz „SenBJF“, und geleitet von Astrid-Sabine Busse, ehedem Grundschullehrerin und seit irgendwann Mitglied der SPD, ist jetzt im Sinne der ideologischen Reinhaltung des Berliner Bildungsbetriebs mit überzeugendem Beispiel vorangegangen. Galt der politischen Linken noch in den 1970ern schon die Regelanfrage beim Verfassungsschutz danach, ob ein künftiger Beamter einen verfassungsgetreuen Lebenswandel vorzuweisen oder etwa gar zur Revolution neigen könnte, als absolutes und menschenrechtswidriges No-Go, so wollen es die Berliner Haltungsschützer nun ganz genau wissen.

Dabei reicht selbst das klassische „Schau mir in die Augen, Kleines“, nicht mehr aus, um den künftigen Lehrer (m/w/d/sonstwas) hinsichtlich seiner politisch-moralischen Eignung auf den Prüfstand zu stellen. Nein, die Verwaltung möchte es ganz genau und ganz intim wissen. Und deshalb auch genau dorthin schauen, wo es wirklich niemanden mehr etwas angeht.

Ein Schreiben an die Referendare

Jüngst flatterte dem aktuellen Jahrgang der Lehramts-Referendare ein – wie soll man sagen: ungewöhnliches? unverschämtes? – Schreiben der Personalstelle ihres künftigen Dienstherrn ins Haus. In diesem Schreiben befasst sich die Personalstelle der Behörde mit dem seit geraumer Zeit beliebten Tattoo. „Grundsätzlich sind Tätowierungen für eine Verbeamtung als Lehrkraft kein Hindernis“, stellt das Schreiben zur Einführung. Da nun aber jede Angelegenheit, auf die etwas „grundsätzlich“ zutrifft, automatisch die berühmt-berüchtigten Ausnahmen vom Grundsatz kennt, legt die Berliner Verwaltung anschließend eben genau diese dar.

Kein Hindernis seien demnach Tätowierungen, die „nicht geeignet sind, sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu richten“. Anders jedoch sei das bei Darstellungen, die „rechts- oder linksradikal bzw. extremistisch, entwürdigend, sexistisch bzw. frauenfeindlich und/oder gewaltverherrlichend bzw. menschenverachtend“ sind.

Vor der Verbeamtung der Tattoo-Striptease

Also fordert die Behörde vom künftigen Mitarbeiter eine Eigenkörperbeschau nebst ausführlicher Beschreibung sämtlicher irgendwo am Körper versteckter Tätowierungen – und wenn hier irgendwo steht, dann ist tatsächlich überall gemeint.
Um das so transparent wie möglich zu machen, liefert die Behörde gleich einem Unfallprotokoll beim Kraftfahrzeug zwei, der Beckenbreite nach zu urteilen eher weibliche Silhouetten, auf denen der Delinquent seine Tattoos einzuzeichnen und zu nummerieren hat.

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Denn selbstverständlich geht es hier nicht um die „88“ auf der rechten Wange, welche jeder offen bekennende Nazi-Lehrer deutlich sichtbar spazieren trägt, und auch nicht um das mittlerweile nicht mehr so beliebte „Arschgeweih“, welches zumindest im Sommer mehr oder weniger dekorativ zur Schau gestellt wurde, sondern um all jene geheimen und kryptischen Zeichen, die der verfassungsfeindliche Mensch vor allem dort angebracht haben könnte, wo sonst sowieso niemand hinschauen kann.

Jedes Tattoo ist nebst genauer Platzierung und seiner Größe anzugeben, zudem zu beschreiben, was es darstellt, und vor allem, was es dem Träger bedeutet. Für den Fall, dass der Tattoo-Träger dabei von falschen Bedeutungen ausgehen oder sogar bewusst fälschliche Angaben machen sollte, ist zudem ein gut erkennbares Foto jedes vorhandenen Hautbildchens mitzugeben – was zumindest die Frage gestattet, wie der Unglückliche, der sich ein zerbrochenes Herz auf die untere Gesäßbacke hat tätowieren lassen, in seiner aktuellen Einsamkeit dieses ermöglichen soll?

Wie auch immer: Das ist nicht Sorge der staatlich besoldeten Hautbild-Spanner – Hauptsache, es wird wie verlangt geliefert. „Zur genauen Prüfung der Tätowierungen machen Sie bitte von jedem Tattoo ein Foto, welches das Motiv und die Position am Körper deutlich sichtbar darstellt“, wird durch die Sichtbegierigen eingefordert.

Die amtsärztliche Tattoo-Gesinnungsprüfung

Da nun die Verwaltung trotz eingefordertem Striptease und Fotonachweis davon ausgeht, dass Jungreferendare grundsätzlich dazu neigen, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen, und zudem rechts-, links-, sexistisch- und menschenverachtend-radikalextremistische Personen sich ohnehin dadurch auszeichnen, ihre verfassungsfeindliche Gesinnung für niemanden erkennbar und hautnah zu tragen, wird zudem den angehenden Lehrkräften mitgeteilt, dass sie mit Abgabe des ausgefüllten und unterschriebenen Fragebogens in das Hautscreening durch einen Amtsarzt einwilligen.

Der Vollzug wird in klassischem Beamtendeutsch avisiert: „Bei Ihrer amtsärztlichen Untersuchung wird die Zentrale Medizinische Gutachtenstelle (ZMGA) die Richtigkeit ihrer im Fragebogen gemachten Angaben hinsichtlich der Lage und der Darstellung prüfen.“ Hat das Opfer staatlicher Schnüffelitis diese Prozedur erfolgreich hinter sich gebracht, erfolgt dauerhafte Beweissicherung für künftige Personaler: „Nach Abschluss der Prüfung werden alle Unterlagen in ihrer Personalakte verschlossen aufbewahrt.“

Weitere Prüfung ggf. erforderlich

Zum Abschluss des Schreibens selbst erfolgt dann noch der Hinweis darauf, dass nicht nur die Unterlassung der wahrheitsgemäßen Auskunft an sich eine Verbeamtung nicht zulassen wird, sondern auch möglicherweise geplantes Fehlverhalten nach dem vorläufigen und erfolgreich bestandenen Abschluss der amtsärztlichen Tattoo-Gesinnungsprüfung die Übernahme in den Berliner Staatsdienst verhindert: „Bitte beachten Sie, dass Tätowierungen, welche Sie sich im Anschluss an die amtsärztlich Untersuchung und vor einer möglichen Verbeamtung machen lassen, ggf. später die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zur Folge haben können. Sofern Sie sich in diesem Zeitraum weitere Tätowierungen zulegen, sind Sie verpflichtet, diese der SenBJF umgehend mitzuteilen. Notwendige weitere Prüfungen machen sich dann erforderlich.“

Wie allerdings die Behörde den offenkundigen Generalverdacht, dass Rechts-Links-Nazis nach der Prüfung aber vor der Verbeamtung schnell aus Trotz oder als Gesinnungstäter ein verfassungsfeindliches Tattoo stechen lassen, erhärten wollen, wenn der Gewitzte einfach darauf verzichtet, dieses Nach-Prüfungs-Tattoo der Personalstelle zur Kenntnis zu geben, bleibt offen. Wie auch offenkundig den Beamten aus der Abteilung Gesinnungsprüfung noch kein rechter oder linker Weg eingefallen ist, wie die offenbar virulente Nazi-Antifa-Tätowierungsmarotte NACH der Verbeamtung geahndet werden kann.

Wobei – so viel zur korrekten Anwendung der deutschen Sprache – die Getriebenen offensichtlich davon ausgehen, dass heutzutage kein einziger Lehramtsbewerber mehr ohne Hautbebilderung sein Amt antritt. Denn der Hinweis auf die „weiteren Tätowierungen“ im geschriebenen Abgesang unterstellen notwendig, dass es bereits zuvor Tätowierungen gegeben haben muss. Oder aber, hier steht tatsächlich der Generalverdacht im Raum, dass jene wenigen, welche heutzutage noch untätowiert durchs Leben gehen, erst recht echte oder echt rechte Gesinnungsheuchler sein müssen. Denn wären sie dieses nicht, hätten sie sich ja problemlos per Regel-Tattoo zu ihrer verfassungsgemäßen Gesinnung bekennen können.

Zaghafter Protest von der GEW

So viel hautnahe und intime Gesinnungsschnüffelei war dann allerdings sogar der eher dem gesinnungstreuen Lager zuzuordnenden Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein wenig zu heftig. „Beamte müssen ihre Verfassungstreue ohnehin erklären, sie unter einen Generalverdacht zu stellen, ist ein Skandal“, befand die Ständevertretung und legte öffentlichen Protest ein. Und obgleich auch diese Aussage ein wenig an der Sache vorbei geht – denn der behördliche Tattoo-TÜV richtet sich ja ausdrücklich nicht gegen Beamte, sondern ausschließlich gegen jene, die das erst noch werden wollen und die deshalb noch nicht verfassungstreu sein müssen –, sah sich die Verwaltung dann doch gezwungen, die Fragebogenaktion zu stoppen.

Was allerdings – so gut sollten wir die Getriebenen in den Amtsstuben mittlerweile kennen – selbstverständlich nicht bedeutet, dass der Nazi-TÜV nicht doch noch durch irgendeine Hintertür versucht werden wird. Auch dazu liefert die GEW mit ihrer Positionierung bereits fragwürdige Hilfestellung. GEWler Udo Mertens: „Fragen nach Tattoos, soweit diese äußerlich nicht in Erscheinung treten, halten wir für einen unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte beziehungsweise in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.”

Nun, dass kollidiert allerdings eindeutig mit der woken Identitätsideologie, denn was, wenn ein offen getragenes Tattoo als unverwechselbares Identitätsmerkmal verstanden wird? Ist dann Schluss mit der viel beschworenen Toleranz und dem „Jederdarfsoseinwieerist“? Hier sollte die GEW noch einmal mit sich in Klausur gehen, um eine zukunftsfähige Haltung in Sachen Identitäts-Tattoo zu entwickeln.

Den Gesinnungs-TÜV nicht bis zu Ende gedacht

Unabhängig davon allerdings gilt: Die Fragen danach, welche Tattoos jemand am Körper trägt, MUSS man nicht für unzulässige Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte halten – das SIND unzulässige Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte. Sie sind ein offenkundiger Verstoß gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes, denn kaum etwas kann unwürdiger sein, als einem Menschen anzukündigen, sich bis hinein in seine intimsten Körperregionen gesinnungstechnisch hinein schnüffeln zu wollen.

Wobei die Nazi- oder Anders-radikal-extremen-Schnüffelanten der Personalstelle wie so häufig ohnehin in mehrfacher Hinsicht zu kurz gegriffen haben. Denn da bleibt die unbeantwortete Frage, wie man mit dem 55-jährigen beamteten Studienrat umgeht, der sich plötzlich die Reichskriegsflagge in schwarz-weiß-rot auf die Stirn hat tätowieren lassen? Oder mit der frisch verbeamteten 30-jährigen Junglehrerin, die sich ein ACAB auf die Knöchel der linken Hand hat aufbringen lassen? Und was, wenn der Lehrer mit 40 vielleicht von der Behörde unbemerkt ein Hakenkreuz im Intimbereich hat setzen lassen?

Offenbar in Erkenntnis eines Restes dessen, was in einer noch nicht gänzlich hirnverwesten Gesellschaft möglich sein darf, sollte die Tattoo-Schnüffelei zumindest gegenwärtig offenbar mit der Berufung in den Beamtenstand enden. Danach also darf Nazi oder Antifaschist sich seine verfassungsfeindlichen Symbole nach Belieben am ganzen Körper anbringen lassen.

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