Im September vergangenen Jahres schien es so, als habe der türkische Präsidialdiktator Erdogan endlich den Schlüssel in der Hand, um seine territorialen Interessen in Syrien abzusichern. Nach langen Verhandlungen mit Russland und dem Iran kamen Erdogan und Putin überein, im Nordwesten Syriens eine Waffenruhe auszurufen. Damit sollte sichergestellt werden, dass die mit der Türkei verbündeten, radikalislamischen Rebellen vor weiteren Attacken seitens des syrischen Assad-Regimes sicher seien.
Der Vereinbarung vorangegangen war ein erfolgreicher Feldzug des alawitischen Präsidenten Syriens gegen die sunnitischen Rebellen. Mit der massiven Unterstützung Russlands und dem Zurückfahren der Unterstützung der Anti-Assad-Kämpfer westlich des Euphrat durch die US-geführte, internationale Koalition konnten die Damaszener deren Widerstandshochburgen im syrischen Kernland zurück erobern. Die dort zumeist auf hoffnungslosem Posten stehenden Rebellen erhielten regelmäßig Rückzugangebote in Gebiete, in denen die Assad-Truppen noch nicht die Oberhand hatten. Hier war zuletzt nur noch die Region Idlib geblieben – ein Landstrich östlich des Dank einer Schenkung Frankreichs türkischen Hattay und südlich der widerrechtlich von der Türkei besetzten Kurdengebiete um Afrin im äußersten Nordwesten Syriens.
Ruhe für die Islamkämpfer
Jene zwischen den beiden Mächtigen in Ankara und Moskau ausgehandelte Vereinbarung sollte nun das letzte Rückzugsgebiet der sunnitisch-islamischen Kämpfer davor bewahren, wie, zuvor wiederholt durch Assad exekutiert, überrollt zu werden. Zur Sicherung der vereinbarten Waffenruhe schickte die Türkei Verbände in die Idlib-Region, die dort sogenannte Beobachtungsstützpunkte entlang der vereinbarten Linie einrichteten. Erdogan schien seinem Ziel, sich längerfristig in Syrien festzusetzen und seine Kräfte auf seinen Kampf gegen die mit dem Westen verbündeten Kurden in nordostsyrischen Rojava zu konzentrieren, einen erheblichen Schritt nähergekommen zu sein.
Als dann noch Donald Trump ankündigte, seine Truppen aus Syrien abziehen zu wollen, schien Erdogan am Ziel seiner Träume: Als „Friedensstifter“ wollte er nun auch in Rojava einmarschieren und mit den „Terroristen“ aufräumen. Das Problem: Für Erdogan sind „die Terroristen“ nicht identisch mit jenen Terroristen, gegen welche die westliche Koalition gemeinsam mit den Syrian Democratic Forces (SDF) erfolgreich vorgegangen ist. Denn sehen die kurdisch geführte SDF und die US-Koalition den terroristischen Feind in jenen radikalislamischen Kämpfern des Islamischen Staats (IS), so sieht Erdogan die Quelle allen Terrorismus‘ in der Region in der kurdischen YPG, vorgeblich ein Ableger der PKK (die allerdings selbst im Nordirak allein und unter erheblichem Druck durch türkische Attacken steht) und gleichzeitig alles entscheidende Bodentruppe der Anti-IS-Koalition.
Die russischen Fußangeln
Das türkisch-russische Abkommen schien in der verworrenen Situation zwischen Rebellen und Freiheitskämpfern, kurdischen Westalliierten und IS-Terroristen, islamisch-sunnitischen Rebellen sowie iranisch-schiitisch geführten Revolutionsgarden und Hamas-Importen aus dem Libanon dem Muslimbruder in Ankara die Rückendeckung zu geben, seinen Expansionsdrang vorantreiben zu können. Das zuvor vom Krieg verschonte Afrin wurde ent-kurdisiert, in Idlib schien ein weiteres Territorium als Puffer gegen die Gebietsansprüche Syriens auf Hattay gesichert. Und in Rojava schien der bevorstehende Abzug der USA den waffentechnisch überlegenen Türken leichtes Spiel zu lassen. Doch das Abkommen hatte einen Pferdefuß.
Es steht außer Frage, dass Russlands Putin deutlich pfiffiger ist als der stets polternde, unberechenbar wirkende Erdogan. Und so ließ Putin in die Vereinbarung über die Waffenruhe hineinschreiben, dass die Türkei die Aufgabe übernehme, bis zum Jahresende 2018 sämtliche sunnitischen Verbände zu entwaffnen und die freie und ungehinderte Fahrt auf den zwei Hauptstrecken zu garantieren, die quer durch das von den Rebellen noch gehaltene Gebiet führen: Die M4 von der syrischen Hafenstadt Latakia zum syrischen Aleppo zerschneidet das Rebellengebiet von West nach Ost, die M5 von Süd nach Nordost.
Erdogans Versagen
Erdogan hat versagt. Sollte er überhaupt jemals ernsthaft daran gedacht haben, seine bisherigen Verbündeten, die unter anderem bei der Vertreibung der Kurden aus dem besetzten Afrin eine wichtige Rolle gespielt hatten, zu entwaffnen, so war an die Sicherung der beiden Straßenverbindungen überhaupt nicht zu denken. Und so verschärfte die syrische Armee seit Jahresbeginn ihre Angriffe auf die von der Türkei und ihren radikalislamischen Verbündeten gehaltene Idlib-Region insbesondere dort, wo diese beiden Straßen im Süden an das von Assad zurückgewonnene Territorium grenzen. Darüber hinaus zog der Syrer westlich der Stadt Aleppo Panzerverbände zusammen – auch hier genau dort, wo M4 und M5 die Demarkationslinie kreuzen.
Erdogan konnte gegen dieses Vorgehen Syriens argumentativ wenig ins Feld führen, beschränkte sich darauf, seine Beobachtungsposten militärisch zu stärken. Doch die Entwaffnung der radikalislamischen Rebellen vollzog er nicht. So ist nun zur Hälfte des Februars eine beständige, bewaffnete Eskalation festzustellen. Allein am vergangenen Sonntag führten die Syrer einmal mehr zahlreiche Raketen- und Artillerieangriffe auf Rebellen-Stellungen im von der Türkei „befriedeten“ Gebiet entlang der beiden Straßen. Im Gegenzug greifen die Rebellen, die zu keinem Zeitpunkt gewillt waren, sich an die Waffenruhevereinbarung zu halten, nun auch wieder Dörfer und syrische Stellungen südlich der Demarkationslinie an. Russische Flieger sind erneut über Rebellengebiet zu sehen, auch wenn sie bislang noch nicht aktiv in die Kämpfe eingegriffen haben.
Das Abkommen ist gescheitert
Tatsächlich kann das Waffenruhe-Abkommen zwischen Erdogan und Putin als gescheitert betrachtet werden – und im Rückblick will es so scheinen, als ob der Russe den Muslimbruder gezielt in eine von ihm selbst aufgestellte Falle gelockt hat. Denn das nun dokumentierte Unvermögen, durch den unvermeidbaren Verrat an seinen bisherigen Verbündeten seine Verpflichtungen aus dem Abkommen zu erfüllen, gibt nun nicht nur Assad, sondern auch den bei Latakia stationierten Russen jedes Recht, ihren Vormarsch nach Norden fortzusetzen.
Manches deutet darauf hin, dass Erdogan dieses längst erkannt hat, denn weitere, am Wochenende aus Hattay herangebrachte Unterstützung scheint sich auf jene Beobachtungsposten zu konzentrieren, die von der Türkei südlich des besetzten Afrin auf dem Territorium von Idlib wie eine Perlenkette aufgereiht sind. Gut vorstellbar also, dass Erdogan sich bereits darauf konzentriert, vorerst nur dieses kurdische Afrin zu annektieren.
Ob das allerdings langfristig von Erfolg beschieden sein wird, darf ebenfalls angezweifelt werden. Nicht nur Assad wird seinen Anspruch auf die kurdische Provinz nicht aufgeben – und so kam es am Wochenende in Afrin selbst zu Demonstrationen, bei denen deutlich sichtbar die Flagge Syriens gezeigt wurde. Auch die Kurden der SDF ließen nun wissen, man werde in Afrin „Schläferzellen“ aktivieren, um die türkische Besetzung zu überwinden. Gleichzeitig verlautet, dass SDF und Syrische Armee sich auf Grundzüge eines gemeinsamen Vorgehens gegen die Türkei verständigt hätten – was wiederum aus Washington mit der Drohung beantwortet wurde, in einem solchen Falle die Unterstützung der Kurden einzustellen.
Ein Arrangement mit Assad rückt näher
Da trifft es sich gut, dass Frankreich einmal mehr unterstrich, zu den kurdischen Verbündeten stehen zu wollen, da diese die Hauptlast gegen den IS getragen hätten und nach wie vor trügen. Auch die Arabische Liga scheint, vertreten durch deren Generalsekretär Ahmed Aboul Gheit, auf Damaskus behutsam zugehen zu wollen. In München hatte Gheit am Rande der Sicherheitskonferenz zwar die Selbstverwaltung der von den SDF gehaltenen Gebiete gefordert, gleichzeitig aber an Damaskus den Appell gerichtet, eine in dieser Frage moderatere Haltung einzunehmen. Was letztlich nichts anderes ist als ein Signal der saudisch geführten Liga, den bislang bekämpften Assad wieder in die Familie aufzunehmen, wenn er sich mit den Kurden arrangiert.
Die türkische Regierung ließ derweil wissen, ihr gehe es nach wie vor „nur“ um die Sicherung der eigenen Grenzen und das „Loswerden“ der Terroristen. Was nach wie vor allerdings auch bedeutet: Die besetzten, syrischen Gebiete sollen als Pufferzonen gehalten werden – und das kurdische Rojava als angeblicher Hort einer terroristischen Bedrohung für die Türkei steht weiterhin auf dem Speisezettel des Despoten. Folgerichtig machte Erdogan am Montag einmal mehr sein Ziel der Besetzung der kurdisch-syrischen Gebiete unmissverständlich deutlich. In Isparta erklärte er: „Wir werden unsere Südgrenze vom Terrorismus reinigen, sichere Zonen einrichten, wohin die Flüchtlinge zurückkehren können. Unsere Strategie steht fest.“ Wie ein solches „Reinigen“ von Landstrichen mit dem Ziel der Neubesiedlung aussieht, weiß die Welt spätestens seit dem Bosnienkrieg. Im besetzten Afrin ist der Türke damit bereits erfolgreich.
Doch scheint es von Tag zu Tag einsamer zu werden um den Mann, der aus seinen osmanisch-imperialistischen Träumen nie ein Hehl gemacht und sich auf internationalem Parkett zu keinem Zeitpunkt diplomatisch verhalten hat. So hadert er einmal mehr auch mit jener NATO, die er im Geiste längst verlassen hat: „Was für eine NATO-Allianz ist es, wenn man Militanten kostenlos 23.000 LKW-Ladungen mit Waffen übergibt, statt diese an die Türkei zu verkaufen?“ Der nationalislamische Präsidialdiktator bezog sich damit auf US-Konvois, die seit Wochen regelmäßig aus dem Irak nach Rojava fahren, um die dortigen SDF-Kräfte mit Kriegsmaterial zu beliefern, welches die Amerikaner bei ihrem Abzug nicht zurück über den Atlantik transportieren wollen.
Mit dem angekündigten Rückzug der Amerikaner werden die Karten im Nahen Osten neu gemischt. Es scheinen sich Allianzen zu bilden, die vor wenigen Wochen noch undenkbar schienen. Hierbei deutet einiges darauf hin, dass das sunnitische NATO-Mitglied Türkei und der Iran mit seinen schiitischen Ablegern im Libanon und dem Yemen immer enger zueinander finden, während auf der anderen Seite Kurden, Araber und selbst die Israelis stehen könnten. Wenn, was angesichts der unverhohlenen Ansprüche der Türkei auf syrisches Gebiet am Ende dann doch naheliegend ist, sich in dieser Konstellation Assad trotz seiner engen Bindungen an den Iran an die Seite einer arabisch-kurdischen Allianz stellen sollte, dürfte dieses nicht nur in Washington und Moskau eine Neuorientierung in ihrer Beurteilung unvermeidbar machen.
… und Deutschland ist anderweitig beschäftigt
In Deutschland beschäftigt sich die Politik derweil mit der Forderung Trumps, die in Syrien festgesetzten IS-Terroristen mit deutschem Doppelpass zurück zu nehmen. Laut einer Information von Statista soll es sich dabei seit 2013 um 1.050 Personen mit deutschem Pass gehandelt haben, von denen aktuell 42 in kurdischen Lagern festgehalten werden. Wie viele davon über einen sogenannten Doppelpass verfügen – also nur durch die unkontrollierte Vergabe deutscher Pässe in den Besitz eines solchen gekommen sind, ist gegenwärtig nicht bekannt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass dieses bei den meisten inhaftierten Islamkämpfern der Fall ist.
Ein im Koalitionsvertrag vereinbartes Gesetz, wonach solchen Personen der deutsche Doppelpass entzogen werden kann, die mit ihrem Anschluss an die Radikalmuslime ihre Verachtung für die europäische Zivilisation mehr als deutlich unterstrichen hatten, soll im Bundesministerium der Justiz bereits beschlussfähig vorliegen. CDU-Innenexperte Armin Schuster äußerte allerdings den Verdacht, dass Katarina Barley den Verfahrensweg bewusst blockiert.
Verwundern dürfte dieses nicht, liebäugelt die SPD doch seit Jahren mit den Vorstellungen des islamischen Kollektivismus. Und da Barley jenseits jeglicher Unvereinbarkeit im Sinne der politischen Hygiene aus dem hochdotierten Amt eines Bundesministers heraus ihren EU-Parteiwahlkampf führt, mag sie befürchten, mit einem solchen Gesetz die erhofften Stimmen aus der islamisch geprägten Migrantenszene zu verschrecken. Stattdessen wird die deutsche Bevölkerung mit der Abschaffung der parlamentarisch-demokratischen Republik beschäftigt, indem über Quotenzuweisungen ein neues Ständewahlrecht geschaffen wird.