Drohen, Bluffen, Zuschlagen – und wieder Drohen, Bluffen? Wenige Tage nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika schrieb ich bei TE, Wladimir Putin würde sich noch wünschen, er hätte nicht durch russische Einflussnahme auf die Stimmung in den USA versucht, Hillary Clinton zu verhindern. Es sieht so aus, als sollte ich Recht behalten.
Gegenwärtig läuft der Kalte Krieg zwischen der Supermacht des 20. Jahrhunderts und der Möchtegern-Supermacht Russland auf dem syrischen Kriegsschauplatz auf Hochtouren. Russlands Botschafter in Beirut, Alexander Zasypkin, hatte den Mund ziemlich voll genommen und erklärt, Russland werde, sollten die USA gegen Assad aktiv werden, „alle Raketen abfangen und die Abschussvorrichtungen ausschalten“. Das konnte Trump nicht auf sich sitzen lassen und kündigte über Twitter an, Russland möge sich vorbereiten, die Raketen kämen „nice and new and smart‘“.
Eine Kriegserklärung der USA gegen das „Reich des Bösen“, wie manche Beobachter bereits meinen? Nur nicht klassisch durch den Botschafter überreicht, sondern – ganz im Stile der Zeit – im sozialen Netzwerk übergeben?
Spätestens seit diesem Gezwitscher schrillen die Glocken bei den kriegsängstlichen Europäern in hellen Tönen. Wobei – nein, stimmt so nicht. Emmanuel Macron beispielsweise, der gegenwärtig die Führung in der EU übernommen hat, steht an der Seite der USA. Britanniens bedrängte Theresa May nicht minder – sie sieht in Putin den Drahtzieher mehrerer Giftanschläge auf Russen mit Wohnsitz in England, möchte dem Mann im Kreml gern eine Lektion erteilen. Und ihnen allen ist Putins Vorgehen in der Ostukraine nicht aus dem Gedächtnis entschwunden: Die völkerrechtswidrige Übernahme der Krim, die Quasi-Besetzung des Donezk, der Abschuss der malaysischen Passagiermaschine. Nichts ist vergessen.
Also Kriegsgeschrei aller Orten? Grund für Panikkäufe wie einst, als vor Kuba Amerikaner und Russen aneinander gerieten? Sicherlich nicht. Einen heißen Krieg zwischen der NATO und Russland will keine der Parteien. Mit einem „kalten“ allerdings können beide Seiten gut leben. Er eint das Volk hinter ihren Führern.
Russland verlässt Tartus
Wie können wir uns die kommenden Tage und Wochen nun vorstellen?
Der israelische Geheimdienst meldete jüngst das Auslaufen der russischen Schiffe aus dem syrischen Stützpunkt Tartus. Wladimir Schamanow, russischer Duma-Abgeordneter, begründete dieses damit, die Schiffe sollten in Sicherheit gebracht werden. Wovor? Erwartet Russland einen US-Angriff auf seinen Mittelmeerhafen? Und was ist mit H’meimim, wo die Russen derzeit nach Geheimdienstinformationen zwölf Kampfjets stationiert haben? Hier ist bislang kein Abzug zu erkennen. Was allerdings auch daran liegen kann, dass Putin nicht weiß, wohin er sie bringen soll. Ihm fehlen in der Region die Verbündeten.
Der ein-wenig-Verbündete Iran darf laut Selbstverpflichtung weder fremde Flieger über sein Territorium fliegen noch etwa gar diese auf seinen eigenen Basen landen lassen. Auch wäre es ein kaum erträglicher Gesichtsverlust, wenn Putin nun in scheinbarer Panik die Flieger heim ins Reich beorderte. Falls – auch darüber wird spekuliert – in H’meimim überhaupt genug hochwertiger Treibstoff vorhanden ist, um die zwölf Flieger zurück über den Kaukasus zu bringen.
Nein, der russische Abzug aus Tartus ist nicht in der Befürchtung begründet, dass die USA den Hafen attackieren könnten. Er folgt einer anderen Logik, die in westlichen Geheimdienstkreisen bereits recht konkrete Formen angenommen hat.
Trump will Putin eine „Lektion“ erteilen
Selbstverständlich geht es Trump in Syrien nur en passant um den durch die Russen stabilisierten Assad. Trump zielt selbstverständlich auf die Russen. Er will Putin eine Lektion erteilen. Aber nicht, indem er sie unmittelbar attackiert, sondern den Mann im Kreml in der Weltöffentlichkeit der Lächerlichkeit preisgibt, ohne ihm einen Anlass zu geben, sich dagegen mit Waffengewalt wehren zu können.
Um dieses zu erreichen, sollen, so informierte Kreise, im Schwerpunkt zwei Aktionsfelder im Mittelpunkt stehen. Dabei spielen tatsächlich Tartus und H’meimim eine wesentliche Rolle.
Das Tartus-Szenario
Der Carrier „Harry Truman“ befindet sich mit dem üblichen, starken Geleit aus Lenkwaffenkreuzern und Zerstörern auf dem Weg in das Binnenmeer zwischen Europa, Asien und Afrika. Auch wenn manche Militärbeobachter meinen, dieses schlagkräftige Instrumentarium hätte bereits zu Beginn der Syrienkrise dort Präsenz zeigen sollen, werden die USA damit nun in der Lage sein, das gesamte Areal zwischen Bosporus und Suezkanal zu kontrollieren.
Sobald die Armada ihr Ziel erreicht hat, werden, so die Informationen, die USA vor der Küste Syriens eine Sperrzone einrichten. Offizielle Begründung: Assads Chemiewaffenarsenal gegen weitere Zulieferungen von außen abzuschirmen, um damit den entsprechenden Einsatz dieser geächteten Kampfmittel zu beenden. Die Sperrzone beträfe selbstverständlich und insbesondere auch den Stützpunkt Tartus. Russische Schiffe dürften nur noch passieren, wenn sie sich zuvor einer Kontrolle durch die USA unterwürfen – für Putin eine unerträgliche Vorstellung. Militärisches Gerät hätte in diesem Falle überhaupt keine Chance, durch das Netz der Amerikaner zu schlüpfen.
Dieses Szenario ist den Russen nicht unbekannt – und genau deswegen haben die eine in Tartus liegende Fregatte, ein U-Boot und die Transportschiffe den Hafen mit unbekanntem Ziel verlassen. Sie sollen keinesfalls im US-Ring gefangen sein – auch wird darüber spekuliert, dass Russland bereits wichtiges Eigentum aus Syrien verbracht hat, das keinem Gegner in die Hände fallen soll.
Einläuten zum Großen Krieg?
Ist dieses bereits das Einläuten des Großen Krieges, wie manche meinen? Nein, denn die USA werden Tartus nicht berühren. Der russische Stützpunkt ist nicht Ziel irgendwelcher Angriffe – er wird nur vom Nachschub abgeschnitten und verliert damit seine Bedeutung. Die Russen mögen zetern – doch ein Anlass zu einem „Gegenschlag“ wird sich hier nicht auftun.
Und die Blockade, die insbesondere auch russische Schiffe träfe? Hier gilt Gleiches: Die Russen mögen sich aufregen – doch das angedrohte Szenario eines russischen Angriffs auf die US-Armada wird unterbleiben. Denn nicht nur, dass die einsame „General Grigorowitsch“, die Tartus in Begleitung zweier Patrouillenboote verlassen hat, chancenlos wäre – Russland hat auch keinen kriegsbegründenden Anlass. Sollte es tatsächlich versuchen, mit diesem einen Schiff mit Waffeneinsatz die US-Blockade zu durchbrechen, dann wäre dieses ein Angriff auf die USA, welcher dann tatsächlich den Kriegszustand einläuten und Russland die Schuld zuweisen könnte.
Hat Russland überhaupt eine militärische Option? Putins einziger Flugzeugträger, die anfällige „Admiral Kuznetzow“, wurde nach ihrem wenig ruhmreichen Ausflug ins Mittelmeer wieder nach Russland verbracht. Die im von Russland besetzten, ukrainischen Sewastopol stationierte Schwarzmeerflotte stünde im Ernstfall spätestens am Bosporus vor verschlossenen Toren. Insofern sind sich westliche Geheimdienst sicher: Russland wird mit kleiner Präsenz auf dem Mittelmeer bleiben und abwarten.
Das H’meimim-Szenario
Etwas anders gestalten sich die Vorstellungen zum russischen Luftwaffenstützpunkt. Auch hier wird es keinen Angriff der USA gegen russische Einrichtungen und Material geben. Doch könnten Trumps angekündigte Raketen um den Stützpunkt einen „Feuerring“ legen, der jegliche Nachschubverbindung zur Außenwelt abschneidet. H’meimim wäre in diesem Falle ohne jeden militärischen Wert. Sollten die Russen ihre Maschinen abziehen wollen, wird man es ihnen – so sie eine genehmigte Flugroute haben – gestatten. Sollte es aber an Ersatzteilen oder Treibstoff mangeln, dann stünden die Flieger gleichsam als Militärschrott in Syrien.
Auch das aber wäre für Russland kein Grund zum Gegenschlag. Denn einen gezielten Angriff auf russische Truppen oder russisches Eigentum wird es seitens der USA in Syrien nicht geben. Es sei denn, diese sollten tatsächlich die Drohung wahrmachen, und mit Raketen gegen US-Schläge vorgehen zu wollen. In diesem Fall, den Generalstabschef Waleri Gerassimow angedroht hat, werden die Abschussvorrichtungen zur Bedrohung umgehend unter Feuer genommen. Sollten die Russen ein derartiges Vorgehen tatsächlich offiziell als eigenen Kriegseinsatz begründen, wäre es umgehend auch mit der Schonung der Stützpunkte vorbei. Insofern gehen die Amerikaner davon aus, dass massives Abwehrfeuer unterbleibt – und sollte es dennoch einsetzen, so handelt es sich dabei offiziell, wie einst in der Ostukraine, nicht um „russische“, sondern um syrische Einheiten.
Syriens Optionen
Womit wir nun bei Assads Syrien sind, welches nur noch Spielball der Großen ist. Assad wird einen oder auch mehrere US-Schläge selbstverständlich als völkerrechtswidrigen Angriff beklagen. So, wie er es auch beim türkischen Überfall auf Afrin getan hat. Doch Konsequenzen wird dieses auch künftig keine haben.
Syrien oder auch Russland könnten den Weltsicherheitsrat anrufen. Und dann? Dann gibt es einmal mehr zahlreiche gegenseitige Vorwürfe – und jede wie auch immer verfasste Entschließung scheitert am Veto jeweils dessen, der darin auf der Anklagebank gesetzt wird.
Der Große Krieg bleibt aus
Insofern: Der „Große Krieg“ wird ausbleiben. Er wird deshalb ausbleiben, weil Russland nicht direkt angegriffen werden wird – und weil mögliche russische Opfer an der Seite syrischer Truppen als deren Risiko zu betrachten sind. Die USA werden rechtzeitig die Russen über den Beginn ihrer Offensive in Kenntnis setzen. Sie werden darauf hinweisen, dass weder Tartus noch H’meimim angegriffen werden. Und sie werden darauf hinweisen, dass sie russischen Beratern syrischer Einheiten empfehlen, sich umgehend auf diese Stützpunkte zurückzuziehen.
Damit entfällt für Russland jeder Anlass, sich als von den USA attackiert zu fühlen. Der psychische Schmerz, der nicht ausbleiben kann, wenn die USA in Syrien Ernst machen – nun, der ist kein Kriegsgrund. Und insofern dient Drohen, Bluffen, Zuschlagen auf beiden Seiten erst einmal nur dem Ziel, den anderen ein wenig zu beeindrucken. Am Ende aber zählen die Handlungen – und die Ergebnisse. Und die sollen aus Sicht der USA und ihrer Verbündeten in der Region so aussehen, dass Russland mit Tartus einen unbedeutenden Mittelmeerhafen behält – und H‘meimim freiwillig aufgegeben wird.
Sobald sich dieses andeutet, wird der Weg zu einer syrischen Nachkriegsordnung geebnet, bei der Assad keine Rolle mehr spielt. Die Russen werden zwecks Gesichtswahrung daran teilnehmen dürfen. Vielleicht haben sie auch jemanden aus dem Assad-Clan inpetto, der eine halbwegs Russland-freundliche Politik Syriens gewährleistet. Doch das werden dann die beiden Bluffer Trump und Putin unter sich auswürfeln – nachdem Trump klargestellt hat, wer der Herr im Hause ist. Und vielleicht kommen die beiden Herren, die sich in ihren Denkstrukturen so unähnlich nicht sind, dann sogar zu einem modus vivendi der Gegenseitigkeit, der weit über Syrien hinausgeht. Davor allerdings steht das Syrien-Szenario, welches derzeit in den USA akribisch vorbereitet wird.