Ich weiß nicht, ob es in irgendeinem Buch über Kommunikation vermerkt ist, aber die böseste Falle beim Versuch, eine Botschaft zu übermitteln, ist die menschliche Neigung, dem Gegenüber zu unterstellen, es denke ebenso wie man selbst. Zum Verständnis dieser Tatsache müssen wir gar nicht erst auf große Konflikte wie den russischen Überfall auf die Ukraine oder frühere Kriege schauen, welche von einigen Staatschefs für undenkbar gehalten wurden, während andere gemäß ihrer eigenen Denkwelt davon ausgingen, dass das Appeasement nur Schein sei, um den eigenen Angriff vorzubereiten.
Stattdessen reicht bereits der Blick auf die FIFA-WM, um festzustellen, dass unterschiedliche Köpfe Signale unterschiedlich empfangen. Und dass die daraus entstehenden Missverständnisse umso mehr überhöht werden, als ein Dritter meint, sich zum Anwalt desjenigen in die Kommunikation einschalten zu müssen, dessen Kultur ihm selbst fremd ist, weshalb nun auch er meint, seine eigenen Vorstellungen als Empfinden des ihm Fremden unterstellen zu können.
Sandro Wagners Bademäntel
Ein unbedarfter Zuschauer hätte nun meinen können, mit diesen „Bademänteln“ seien jene gemeint, die zumeist in besseren Hotels zur freien Benutzung ausliegen. Zweckentfremdet von deutschen Fans, die es trotz des wochenlangen, anti-qatarischen Trommelfeuers der deutschen Mainstream-Medien gewagt hatten, ihrem Fußballhobby in den Wüstenstaat zu folgen. Doch mitnichten.
Die Mea-culpa-Community ist sich absolut sicher: Wagner habe mit diesen „Bademänteln“ die traditionelle Bekleidung der am Golf lebenden Araber gemeint. Die tragen etwas, was man ebenso in Ägypten und andernorts in der arabischen Welt antreffen kann, und was am ehesten als bodenlanges Hemd mit kragenlosem Bund und langen Ärmeln zu beschreiben ist.
Dieser „Thawb“, der in Qatar schneeweiß ist, hat zwar nur entfernt Ähnlichkeit mit den ebenfalls in der Regel blütenweißen Hotelbademänteln, aber es ist dennoch vorstellbar, dass Wagner dieses arabische Kleidungsstück mit jenem Bademantel assoziierte und deshalb mangels Wissens um die heimische Bezeichnung zu jenem „Bademantel“ griff.
Seitdem ist die Hölle los. Jene besagten Dritten, die sich selbst zu Anwälten von Kulturen aufschwingen, welche sie mit ihren eigenen Kulturbegriffen fehlinterpretieren, ergießen Kübel von Shit-Stürmen über den Münchner, weil dessen „Bademäntel“ eine Demütigung seien, die übelste Bestrafung und das entschuldigende Werfen in den Staub einfordere. Wagner habe die Qatari zutiefst rassistisch beleidigt – und so weiter und so fort.
Wie immer um Haltungskonformität bemüht, ist das ZDF umgehend eingeknickt und hat sich für den Wagner-Spruch in üblicher Mea-culpa-Manier entschuldigt: „Sandro Wagners Aussage über den Thawb ist leider in einer emotionalen Phase des Spiels passiert. Das darf es nicht. Wir werden das besprechen.“
Man darf gespannt abwarten, wie lange Wagner noch im stets unterwürfigen ZDF als Kommentator zu sehen sein wird. Denn der antirassistische Shitstorm dient im Rahmen besagter Cancel-Kultur vor allem dem Ziel, missliebige Personen, die es wagen, an den eigenen Vorstellungen zu kratzen, generell und nachhaltig aus dem Diskurs und der Öffentlichkeit zu drängen.
Der ZDF-eigene Rassismus
Wo wir gerade dabei sind: Jochen Breyer, hochgelobter Moderator und Reporter jenes Kotau-beflissenen ZDF, veröffentlichte kurz vor Beginn der Weltmeisterschaft eine durchaus sehenswerte Reportage über seine Erlebnisse im Land in der Wüste. Breyer formulierte in einem Interview mit dem Focus unter anderem Sätze wie diese: „Geschaut wird in einer Art ausgelagertem Wohnzimmer, zu dem nur Männer Zutritt haben. Es wird dort Tee getrunken und Shisha geraucht. Dabei wird man von Angestellten bedient, die permanent auf Abruf bereitstehen und einem Speisen oder Getränke nachreichen. Mein Gastgeber sagte: Wenn er möchte, stehen die dort noch morgen früh. Ein irritierendes Gefühl. … Auch wie mit den Bediensteten dort umgegangen wurde, Menschen von den Philippinen, war verstörend.“
Das ZDF selbst wurde nicht müde zu betonen, dass in der Breyer-Reportage ein qatarischer WM-Botschafter Homosexualität als „geistigen Schaden“ bezeichnet habe. „Er habe vor allem Probleme damit, wenn Kinder Schwule sähen. Denn diese würden dann etwas lernen, was nicht gut sei. In seinen Augen ist Schwulsein „haram“ und verboten, meinte Salman“, unterstreicht das ZDF.
Nun ist es ohne Zweifel zutreffend, dass sowohl der qatarische Umgang mit Bediensteten und ausländischen Arbeitern wie auch die Einstellung gegenüber Homosexualität nicht den kulturellen Vorstellungen der Westeuropäer entsprechen. Aber – und hier nun wird es kritisch – all diese Einstellungen und Vorgänge, die Breyer und das ZDF bemängeln, sind ebenso Teil der qatarischen Kultur wie jener Thawb. Wenn der Umgang mit Bediensteten pauschal kritisiert, die aus dem Koran hergeleitete, strikte Ablehnung von Homosexualität als Skandal betrachtet werden darf – ist das, weil es pauschal über eine andere, fremde Kultur behauptet wird, nicht ebenfalls genau genommen rassistisch? Wird hier nicht einer Kultur pauschal unterstellt, sie sei aufgrund ihrer von den westeuropäischen Wertvorstellungen abweichenden Eigenarten letztlich minderwertig?
Zumindest sollte Einigkeit bestehen: Eine flapsige und ohne Zweifel nicht böse gemeinte Bezeichnung eines Kleidungsstücks als „Bademantel“ ist mit Sicherheit nicht rassistischer als die Verurteilung einer gesamten Kultur als homophob und verstörend. Wo also bleibt die Entschuldigung für Breyers Rassismus, der zudem sehr bewusst und überlegt formuliert wurde? Auch möge sich insbesondere manch linker Alt-Aktivist einmal schnell an die Nase fassen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie die in weiß-rot oder weiß-schwarz gemusterte Kufiya der gegen Israel kämpfenden Araber in jenen Aktivistenkreisen, in denen sie als Halstuch gern und als Zeichen des Widerstandes getragen wurde, szenegerecht die Bezeichnung „Pali-Feudel“ trug. Für die Süddeutschen: „Feudel“ steht für Putzlappen. Wenn das nicht übelst herabwürdigend und rassistisch war…
Das misslungene Zeichen des DFB
Im Zuge dessen sollte „Die Mannschaft“ mit einer sogenannten „One-Love“-Armbinde auflaufen, nachdem die sonst beliebte Regenbogenbinde bereits von der FIFA outgesourced worden war, weil sie die religiösen und kulturellen Gefühle der islamischen Gastgeber verletzen könnte. Da aber die Queer-Durchdringung ständiger Präsenz bedarf, sollte es nun jenes One-Love-Teil sein.
Als nun die FIFA als Ausrichter in einem handstreichartigen Sanktionsandrohungskomplott auch das Tragen dieser Queerbinde verhinderte, war ein haltungsgerechtes Bekenntnis gefragt. Schließlich müsse „Die Mannschaft“ ein Zeichen setzen – wobei mir noch niemand hat erklären können, weshalb ein Trupp junger Männer, deren Streben sich ausschließlich um einen Ball dreht, außer guten und gewonnenen Spielen irgendwelche anderen „Zeichen“ setzen muss. Doch unter dem Druck taten sie es. Als es zum Mannschaftsfoto ging, hielten sich alle Spieler die Hand vor den Mund. Eine recht theatralische Geste, die angeblich signalisieren sollte, dass man ihnen den Mund (und nicht die Binde) verboten habe – die aber im Netz, in dem seitdem manch von der ursprünglichen Absicht vermutlich deutlich abweichender Kommentar zu finden ist, angesichts des nachfolgenden Japan-Spiels dahingehend interpretiert wurde, dass man als Deutsche im Fußball generell nichts mehr zu sagen habe.
Nun mag man hinter diesem Theater mehr noch als ein ernstzunehmendes Bekenntnis einen Machtkampf zwischen DFB und FIFA vermuten – einen Machtkampf, den die Deutschen und die mit ihnen verbündeten sechs oder sieben Verbände aus dem nordeuropäischen und englischsprachigen Raum längst verloren haben in jenem gut geschmierten Räderwerk des Weltfußballs. Und man mag auch die Häme im Netz als homophob oder sonst wie haltungsunkonform ansehen, doch die in ihrer Aussage nicht so wirklich zu klärende Geste hat einen interkulturellen Clash produziert, der im Selbstbewusstsein zumindest eines Volkes einige Schrammen hinterlässt.
Die Söhne Nippons beleidigt
Es geht um jene Gegner des ersten DFB-Spiels, jene offensichtlich germanisch-arrogant (und folgerichtig rassistisch) unterschätzten Japaner, die noch in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts in der europäischen Popszene wegen ihrer speziellen Höflichkeitskultur gern als „monkeys“ herabgewürdigt wurden. Davon ist glücklicherweise auch der gemeine Prolet („gemein“ im biologischen Sinne) spätestens weg, seitdem Japaner und Koreaner erfolgreich in den Ligen aktiv sind. Und doch ging das Mund-zu-Zeichen bei den Japanern gepflegt daneben.
Das geschah nicht deshalb, weil die Deutschen selbst nun im Netz gelegentlich als ein Part der drei berühmten Affen interpretiert werden – was wiederum als Anspielung auf die frühere Monkey-Diskriminierung gewertet werden könnte. Nein, der eigentliche Anlass ist ein anderer. Im Land der aufgehenden Sonne ist auch heute noch das Tragen von Masken nicht nur wegen Corona ein kulturelles Gemeingut. Dieses nun, so japanische Kritiker, sei der eigentliche Hintergrund der deutschen WM-Geste gewesen: Man habe die Japaner verspotten wollen, weil sie aus Hygienegründen Masken tragen, während die Europäer solches nicht nötig hätten.
So wurde nun aus dem queeren Bekenntniszwang, der zwar ungestraft die Qatari pauschal der Homophobie und einer „verstörenden“ Alltagskultur beschuldigen darf, gleichzeitig aber einen zum Bademantel mutierten Thawb als übelsten Rassismus markiert, ein Generalangriff auf die fernöstlichen Freunde. Für diesen antijapanischen Rassismus folgte die gerechte Strafe im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Fuß, als die Übeltäter ihren Fight gegen die Söhne Nippons verloren, weil sie arrogant oder allzu sehr mit dem Setzen außersportlicher Zeichen beschäftigt waren.
Lasst dem Sport seine Unschuld
So fehl am Platze wie das gegenwärtig in den medialen Begleiterscheinungen der Bekenntnisrepublik Deutschland zu beobachtende Gejammer darüber, dass in Qatar zu wenig deutsche Fans (die ohne Bademantel, sondern in klassisch deutscher Urlaubstracht) der Mannschaft der Bekennenden zujubeln und in der Republik selbst ebenso wie bei den Einschaltquoten keine rechte WM-Stimmung aufkommen will.
Liebe Medienschaffende (m/w/xyz), wer über Wochen nur auf dieser WM rumprügelt, darf sich doch nun wirklich nicht wundern, wenn die Saat aufgeht. Das gilt gänzlich unabhängig davon, wie berechtigt die Kritik an FIFA und Qatar aus westeuropäischer Wertesicht sein mag. Den Spaß an dieser WM habt ihr den Deutschen gezielt ausgetrieben. Mit Dauer-Anti-Berieselung und diesem künstlich gehypten Bindentheater. Wenn „Die Mannschaft“ dann demnächst ohne Fan-Enthusiasmus aus dem Wettbewerb ausscheidet, kein Jammern darüber, bitte. Ihr habt es doch genau so gewollt und alles dafür getan.