Es schickt der Herr den Pudel aus – nach diesem Motto dürfte der Vorstoß Annegret Kramp-Karrenbauers gelaufen sein, im Norden Syriens international kontrollierte Sicherheitszonen einzurichten. Denn schnell hat Angela Merkel diesen Vorstoß begrüßt. Und somit ist klar: AKK hat nicht ohne Rückendeckung agiert – der Anstoß kam aus dem Kanzleramt.
AKK – um angesichts des Zungenbrechers bei der gängigen Abkürzung zu bleiben – sprang prompt. Ohne jedes Konzept, ohne jede Konsultation, ohne jede Abwägung blies sie heraus, was die große Merkel ihr eingeflüstert hatte. So legte sie prompt eine Bauchlandung hin – und gab vor allem sich selbst der Lächerlichkeit preis. Da half auch kein Wulf Schmiese, der im Heute-Journal unter missbilligendem Blick und Abmoderation von Claus-Almighty den verzweifelten Versuch einer Ehrenrettung unternahm. Gretl von der Saar hat ihr politisches Meisterstück vorgelegt und damit den Beweis erbracht, dass schon der Gesellenbrief ein unverdientes Geschenk gewesen war.
Nachdenken über die Nach-USA-Ära wäre legitim
Man mag ja durchaus darüber nachdenken, wie es angesichts des undurchdachten Abzugs der USA im Norden Syriens weitergehen soll. Man mag auch darüber nachdenken, ob nicht international besetzte Kontrolleinheiten den zu befürchtenden Genozid an den regionalen Kurden würden vermeiden können. Doch wenn man solches denkt – warum dachte man es nicht schon vor zwei Jahren, oder spätestens vor einem Jahr, als Donald Trump immer wieder erklärte, er werde die US-Soldaten aus den Krisenregionen im Nahen Osten abziehen?
Längst wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, um über eine Situation nachzudenken, die ohne die USA in der Region auskommt. Längst hätte eine verantwortungsvolle Bundesregierung mehr als nur einen Plan B in der Tasche haben müssen, um Wege aufzuzeigen, wie auch ohne den Verbündeten jenseits des Atlantiks mit den Spielern und Kriegstreibern zwischen Bosporus und Hindukusch umzugehen wäre. Sie hätte dieses zumindest dann haben müssen, wenn sie ein wie auch immer gelagertes Interesse an der Region gehabt hätte. Das aber hatte sie offensichtlich bislang nicht.
Verlassen die USA die Region, dann gilt dieses auch für die NATO. Denn ohne USA machen NATO-Einsätze im Nahen Osten (und anderswo) keinerlei Sinn. Die Bundesregierung hat also wissen können – nein, sie hat wissen müssen – was auf sie zukommt. Die Frage nach dem Umgang mit den verbündeten Kurden in Nordsyrien wäre längst zu stellen und zu beantworten gewesen. Ebenso die Frage der künftigen Unterstützung der irakisch-kurdischen Peshmerga. Und die nach Sinn und Zweck deutscher Soldaten in Afghanistan. Und auch in Jordanien. Gehen die USA, stehen die Verbündeten in der Region auf verlorenem Posten. Und die USA – daran hatte Trump nie Zweifel aufkommen lassen – wollen gehen.
Damit stellt sich nicht zuletzt die Sinnfrage des Verteidigungsbündnisses. Und vielleicht war der undurchdachte Vorstoß der AKK nichts anderes als ein untauglicher Versuch, diese zu beantworten. Die Idee: Wir brauchen eine NATO ohne USA (die dann selbstverständlich anders heißen sollte) – und genau dafür könnten international geführte Schutztruppen der Einstieg sein.
Merkel-Signal oder Intrige?
Wollte Merkel einen solchen Impuls geben? Wollte sie über AKK ein Signal an Franzosen und Briten schicken, in einer neu formierten Triple-Entente geläutert und US-befreit in die Weltpolitik einzutreten? Sollte es tatsächlich das gewesen sein, so ist es trefflich misslungen. Denn dann hätte die deutsche Politik entsprechende Ziele nicht nur längst schon hinter den Kulissen vertraulich anstreben müssen – dann hätte der Ruf nach Schutzzonen auch gemeinsam erklingen müssen.
Damit nun sind wir bei dem eigentlichen Verursacher. Welche Motive treiben Merkel, einen solch gänzlich unausgegorenen Ballon steigen zu lassen? Was treibt Merkel, damit den Koalitionspartner vor den Kopf zu stoßen? Denn selbstverständlich war es Merkel, die den Anstoß gegeben hat. Und die damit AKK bewusst vors Loch geschoben hat. Die unbedarfte Saarländerin ist dabei nicht die erste, die von Merkel instrumentalisiert und zum Verbrennen freigegeben wurde. Und die erst viel zu spät merkte, dass sie bereits lichterloh in Flammen steht, während sie noch in Vasallentreue zur großen Chefin steht.
Merkel und AKK – ein Irrtum?
Blicken wir kurz zurück. Merkel habe AKK zur CDU-Chefin gemacht, um damit ihre Nachfolgerin im Kanzleramt zu positionieren. Deshalb auch sei AKK blitzschnell in das Amt des Bundesministers der Verteidigung aufgerückt. Doch war es tatsächlich so? Ich hatte daran stets meine Zweifel, denn schon vor einem Jahr konnte jeder erkennen, dass die Unbedarfte von der Saar solchen Aufgaben nicht gewachsen war. Warum aber hat Merkel dennoch die Gretl hochgehoben? Die einzige Antwort auf diese Frage kann nur lauten: Sie wollte Konkurrenten verhindern, ihr tatsächlich ernsthaft gefährlich werden konnten. Friedrich Merz, der, sollte er tatsächlich irgendwann mal wieder Politik machen, Merkel hätte vielleicht gefährlich werden können, offenbarte mit seiner misslungen Bewerbungsrede seine Untauglichkeit als Volkstribun. Der damals dritte im Bunde, Gesundheitsminister Jens Spahn, war immer noch zu jung – und lässt sich, einer neuen Mode folgend, mittlerweile auch von Politiker zu Politiker „interviewen“. So stellt er für Merkel keine Gefahr dar.
Was nun aber, nachdem Merkel die AKK erfolgreich ins Abseits geschoben hat und sich klammheimlich die Hände reibt darüber, dass die Junge Union auf ihrem Deutschlandtag künftige Kanzlerkandidaten per Urwahl nominieren lassen möchte?
Kommt es in diesem Spätherbst oder im Frühling zu Neuwahlen zum Bundestag, steht die Union ohne Hemd da. Oder fast ohne Hemd. Denn tatsächlich hängt da nur noch die ausgelatschte Jacke mit der vorgebauten Raute im Schrank. Kommt es zu Neuwahlen, dann wird Merkel wieder einmal antreten. Weil alle potentiellen Konkurrenten entweder aus dem Geschäft sind (Merz, Schäuble), sich selbst weggeschossen haben (AKK), anderweitig gebraucht werden (Laschet, Söder pp.) oder aber noch nicht die nötige Reife haben (Brinkhaus, Spahn, Klöckner).
Merkels Kalkül auf Neuwahlen
So liegt es nahe, hinter AKKs internationaler Sicherheitszone eine erfolgreiche, nationale Intrige der Merkel anzunehmen. Kommt es zu Neuwahlen, bleibt Merkel trotz fast schon wieder vergessener Zitteranfälle wieder einmal die Einzige, die von der CDU präsentiert werden kann. Die angebliche Hoffnungsträgerin AKK – durch Offenbarung der wahren Qualitäten der Selbstvernichtung anheimgefallen.
Tatsächlich sieht es aber auch hier anders aus. Gewinnen bei der SPD-Chefnominierungs-Selbstbeschäftigung Teams wie das der parlamentarischen Vertretung der Antifa – Stegner/Schwan -, dann dürfte es mit der Koalition schnell vorbei sein. Ähnliches gilt bei den meisten anderen „teams“ – angefangen bei jenem dauerfrustrierten, weil nie ministrablem Fliegenträger. Lediglich eine Option scheint den Fortbestand der Koalition zu garantieren – jener Olaf Scholz aus Osnabrück, dessen Charisma auf der nach unten offenen Skala vierstellige Minuswerte erzielt.
Merkel bleibt alternativlos – auch für die SPD
Scheitert Scholz beim aktuellen SPD-Chefrennen und käme es dann fast unweigerlich zu vorgezogenen Neuwahlen (denn die neue SPD-Führung wird nicht davor zurückschrecken, die 10-Prozent-Marke zu touchieren), würde das Merkels komfortable Lage sogar noch erheblich verbessern. Denn ein als SPD-Chef aussortierter Scholz kann nicht als Kanzlerkandidat für die SPD ins Rennen gehen. Mit wem aber soll die SPD dann antreten? Stegner etwa? Lauterbach? Was Besseres könnte Merkel nicht passieren.
Oder aber etwa gar Maas, der unter Aushebelung des Grundgesetzes das staatliche Machtmonopol der Strafverfolgung an private Unternehmen ausgelagert hat? Vermutlich wäre er die sozialdemokratische Notlösung – und auch da kann es Merkel nur gefallen, dass auch dieser Saarländer sich als dauernde Fehlbesetzung entpuppt. Denn der AKK-Vorstoß hat den gesteiften Anzugträger ebenfalls vorgeführt. Vor wenigen Tagen noch die Erkenntnis, dass es sich beim türkischen Einmarsch in Syrien um einen Bruch des Völkerrechts handelt (warum eigentlich erst jetzt? Beim Überfall auf Afrin war davon nichts zu hören) und ein Gegenschlag Assads den NATO-Bündnisfall nicht auslösen würde – aber zielloses Herumgeschnatter, wenn von der Kollegin aus dem Verteidigungsressort dann überhaupt mal irgendein Vorschlag kommt, wie das Weltproblem Syrien zu behandeln sein könnte. Nun also auch den Bundesminister des Auswärtigen einmal wieder als Spruchteufel entlarvt, den eine Amtskollegin nicht einmal der Mitsprache für würdig erachtet.
Merkel bleibt auch ohne Wahlmanipulation im Amt
Da spielt es am Ende keine Rolle, ob AKK unausgegorene Vorstellungen ohne jegliche Substanz präsentierte. Beschädigt sind nun alle. Oder besser: Fast alle. Denn Merkel hat zwar AKKs Vorstoß ein wenig begrüßt, wird aber nun schnell zu der Erkenntnis gelangen, dass die Frau Verteidigungsminister ihren in der Sache sinnvollen Vorschlag doch etwas konkreter und faktenbasierter hätte vorlegen müssen. Auch wird sie feststellen, dass der Außenminister nicht die Durchschlagskraft hat, um solche Überlegungen im Kreise der Verbündeten und vor allem auf der Bühne der UN überhaupt ernsthaft diskutieren zu lassen. Und um dann überhaupt noch konkret zu werden, ist es längst zu spät. Denn zwischenzeitlich – auch das war absehbar – hat Putin das Heft fest in die Hand genommen und führt nun auch des Erdogans seine. Eines Mehr an Internationalität bedarf es insofern in Syrien nicht.
Nicht, dass all diese Erkenntnisse neu wären. Wer ein wenig von Politik versteht, konnte längst wissen, wohin der Hase läuft. Nun aber hat Merkel sie durch die Instrumentalisierung der Saar-Gretl noch einmal einem Jeden ins Gedächtnis gerufen. Am Ende bleibt einmal mehr nur sie, die ewige, die alternativlose Merkel.
So erhält sie sich nicht nur das Kanzleramt, sondern räumt klammheimlich auch belastende, realpolitische Probleme aus dem Weg. Wie jenes mit Putin und der Krim. Denn wenn, was unvermeidbar scheint, des Erdogans Invasion im Kurdenland nicht geahndet wird – mit welcher Begründung sollen dann noch Sanktionen gegen Russland aufrecht erhalten bleiben? Wo ist der Unterschied zwischen Rojava und der Krim? Nur in der Tatsache, dass es hier ein NATO-Partner und dort ein NATO-Gegner ist, der sich von der sich zunehmend als Schimäre entpuppenden Vorstellung namens Völkerrecht nicht irrtitrieren lässt, wenn es um seine machtpolitischen Interessen geht.
Und so schafft Merkel für ihre nächste Herrschaftsperiode bereits Voraussetzungen, die ihr gänzlich neue Optionen eröffnen. Beispielsweise eine Volksfrontregierung aus CDU, Grünen und Kommunisten, falls die SPD mangels Masse und Wollen ausfällt. Ein anderer unbedarfter Getreuer aus dem hohen Norden hatte dazu ja bereits vor geraumer Zeit einen Versuchsballon starten dürfen. Gehen wir einfach davon aus, dass auch Günther dabei nichts anderes getan hat, als für seine Vorgesetzte das Trüffelschwein zu geben.