Die Union unterhält gegenwärtig das Volk mit dem Schauspiel: Wer darf den Kanzlerkandidaten machen? Oder anders: Wer geht als Frontmann in die anstehende Bundestagswahl?
Um den Posten bewerben sich gegenwärtig zwei Personen, beide Ministerpräsidenten, beide jeweils Vorsitzender ihrer Partei. Worum aber geht es tatsächlich? Und welche Risiken sind für wen damit verbunden?
Zuerst eine Feststellung: Ein gleichsame geborenes Anrecht des Vorsitzenden der größeren der beiden Schwesterparteien auf die Funktion der Wahlkampflokomotive gibt es nicht – auch wenn manch einer aus den Reihen der größeren Schwester diesen gern beansprucht. Denn gäbe es ein solches Vorrecht, wäre nicht mehr von zwei gleichberechtigten Schwestern zu sprechen, sondern von der CSU als bayerischer Wurmfortsatz der großen CDU. Söders Anspruch ist insofern mehr als berechtigt – auch wenn er für die Erfüllung seiner Wünsche auf Vertreter der großen Schwester angewiesen ist.
Wenn also kein geborenes Recht – welche Kriterien entscheiden dann?
Unter dem Gesichtspunkt der Effizienz schien die Entscheidung bereits gefallen. In allen Umfragen liegt der bayerische Franke deutlich vor dem Rheinländer. Ein kräftiger Punkt für Söder.
Tatsächlich jedoch träumt auch manch ein Entscheidungsträger davon, künftig noch einen netten Posten in einer Unions-geführten Bundesregierung zu ergattern. So ist beispielsweise naheliegend, dass Dauerverlierer Friedrich Merz sich nun hinter Laschet gestellt hat. Der könnte vielleicht geneigt sein, den wirtschaftsnahen Konservativen als künftigen Wirtschaftsminister einzusetzen – und das auch deshalb, damit er endlich Ruhe im eigenen NRW-Laden hat. Von Söder hingegen hat Merz überhaupt nichts zu erwarten – der müsste zuerst die Wünsche seiner eigenen Parteioberen befriedigen, unter denen sich durchaus jemand finden könnte, der gern das Wirtschaftsressort übernimmt. Und selbst, wenn nicht: Einen Nebenkanzler Merz braucht Söder nicht. Ähnliche Überlegungen gelten auch für andere, potentielle CDU-Regierungsaspiranten. Deshalb stehen sie zu Laschet, womit der den dritten Punkt für sich verbuchen darf.
Schauen wir nun auf die Erfolgsaussichten beim Volk. Das sucht in Krisen für gewöhnlich nach Führung – und da hat eindeutig Söder die Nase vorn, weil, unabhängig davon, dass er dabei bislang Prinzipientreue vermissen ließ, er schlicht den forscheren Auftritt hat. Wer ein echtes Mannsbild an der Spitze sehen will, der entscheidet sich für den Franken. Aber – ist er damit in der verweiblichten, weichgespülten Republik auch jemand, der die Frauen anspricht? Ist sein Macho-Gehabe vielleicht sogar geeignet, die weiblichen Wähler in die falsche Küche zu treiben?
Nun, hier sollte fein unterschieden werden zwischen dem quotengesteuerten Emanzenchor, der die öffentliche Meinung zu bestimmen sucht, und jenen Damen, deren Selbstwertgefühl sich nicht über Krampfgendern und Quotenvorteil definiert. Ein hübsches Beispiel für solche selbstbewussten Frauen ist die Linkspolitikerin Sarah Wagenknecht, die in ihrem neuen Buch, flankiert durch ein bemerkenswertes Interview bei Focus-Online, unmissverständlich deutlich gemacht hat, was sie von all diesem Ideologenunsinn hält. Nicht, dass Wagenknecht als Söder-Wählerin in Frage kommt – doch sie steht für die Masse jener Frauen, die auch ohne Quote und Genderstern wissen, was sie können und wollen. Solche Frauen sind für die Grünen als gegenwärtig ärgste Unions-Konkurrenz verloren und werden sich entsprechend ihrer wirtschaftlichen Lage und ihrer politischen Grundausrichtung entweder für einen starken Mann von rechts oder – so es die geben sollte – eine starke Frau von links entscheiden.
Laschet hingegen ist der Weichspüler für die Verunsicherten. Doch – wählen die ihn auch? Suchen nicht gerade die Verunsicherten nach jemandem, der ihnen Halt gibt? Der sie an die Hand nimmt und durch die Dunkelheit des Daseins führt? Geben wir also hier zumindest einen halben Punkt an Söder.
Die Chancen der Kandidaten
Schauen wir nun auf die Risiken. Die Medien träumen derzeit mehrheitlich von einer Wahlschlacht zwischen Annalena Baerbock und Söder. Nicht nur, weil sie mehrheitlich grün-durchwirkt sind, sondern einfach, weil ein solcher Wahlkampf mehr Stoff für Schreiberlinge verspricht. Deshalb aber steht auch fest: Sobald Söder zum ersten Mann des Unions-Wahlkampfes ausgerufen sein sollte, wird das mediale Dauerfeuer auf ihn eröffnet werden. Ab diesem Zeitpunkt geht es um Demontage: Der „Schwarze“ aus dem Süden muss niedergeschrieben werden, damit die grün gefärbte Rote aus Preußen vielleicht sogar die Chance bekommt, selbst als Vertreterin der stärksten Fraktion den Anspruch auf das Kanzleramt zu erheben. Also wird in Söders Vergangenheit gewühlt werden und unabhängig davon, ob da irgendwelche politischen Leichen im Keller ruhen, wird sein schwankender Kurs zwischen AfD-Annäherung und Grünen-Anbiederung ebenso thematisiert werden wie sein wenig nachvollziehbares Corona-Krisenmanagement.
Geht also hier ein Punkt an Laschet? Nunja – dem würde es ähnlich ergehen und Geschichten wie die der verschwundenen Seminararbeiten und der van-Laack-Verbindungen des Sohnes erhielten schnell eine Frischzellenkur. Laschet gegen Baerbock – da wäre längst dennoch nicht so viel mediale Musik drin wie bei Baerbock gegen Söder. Dazu ist der Rheinländer zu weich, zu multikulti und zu grün-affin.
Hier also sollten Laschet und Söder jeweils einen halben Punkt bekommen. Und die Grünen die Erkenntnis ziehen, dass sie ihren Wahlkampf ohne Wenn und Aber mit der Matrone mit der Quakstimme führen müssen. Egal, ob gegen Laschet oder gegen Söder – Baerbock zieht in beiden Konstellationen besser als der Kinderbuchautor.
Fassen wir kurz zusammen, dann steht es an Punkten gegenwärtig 3 zu 1,5 für Söder.
Die Risiken der Kandidaten
Schauen wir nun auf die Risiken. Beide Bewerber möchten ihre politische Zukunft noch vor sich haben. Der Job des Frontmanns im Wahlkampf aber birgt die Gefahr, dann unwiederbringlich aufs politische Abstellgleis zu geraten, wenn das Ergebnis nicht den Vorstellungen der eigenen Partei entspricht. Gescheiterte wie der Martin aus Würselen, der sich für einen politischen Überflieger hielt, und der Fahrradketten-Peer aus dem Norden, den seine eigene Partei nicht verstand, stehen für einen solchen Niedergang beispielhaft.
Schauen wir unter diesem Aspekt zuerst auf Laschet. Der geht wie selbstverständlich davon aus, selbst bei verlorener Bundestagswahl Ministerpräsident von NRW zu bleiben. Doch das ist alles andere als ausgemacht. Zuerst wird beim Scheitern der Blick auf das größte Bundesland fallen. Hat Laschet dort nicht überzeugend abgeschnitten, steht für die NRW-CDU schnell fest: Der Aachener zieht nicht mehr und muss weg! Das könnte dann die Stunde eine Jens Spahn sein. Insofern geht Laschet selbst dann, wenn er das anders sehen mag, ohne Netz und doppelten Boden ins Risiko. Wobei manch einer auch bereits unkt, dass seine politische Karriere beendet sei, wenn er den finalen Schritt in die Spitzenkandidatur nicht wagt. Das allerdings ist aufgesetzt. Verzichtet Laschet großmütig zugunsten des Kollegen von der kleinen Schwesterpartei, beschädigt das sein Amt als CDU-Vorsitzender nicht. Ganz im Gegenteil: Geht Söder als Gewinner aus dem Rennen, dann kann sich der Aachener auf die Schulter klopfen und sein taktisches Geschick loben. Schließlich hat die Parteifamilie dann gesiegt und der Vorsitzende der generösen Schwester könnte, wenn ihm der Sinn danach steht, jedes Ministeramt unter Söder für sich einfordern. Geht Söders Wahlkampf hingegen daneben, so könnte Laschet mit dem Finger nach Süden zeigen und feststellen, dass CSU-Kandidaten in der BRD eben niemals eine Chance haben. Entsprechenden Ambitionen aus Bayern wäre damit bis auf Weiteres der Weg ins Kanzleramt versperrt – und Laschet könnte, sollte beispielsweise eine Volksfrontregierung obsiegen, immer noch in vier Jahren seinen Versuch unternehmen.
Insofern spricht aus Laschets Sicht einiges dafür, dem CSU-Chef den Vortritt zu lassen. Er könnte dabei nur gewinnen.
Und wie sieht es mit Söder aus? Nun, der müsste schon krachend verlieren, um beschädigt zu werden. Nicht nur, dass er im Ernstfall den Untergang der größeren Schwester anlasten könnte, die einen zu zögerlichen Wahlkampf geführt habe – er könnte auch auf die bayerische Mentalität vertrauen, die den bösen Preußen einmal mehr unterstellen kann, grundsätzlich gegen die Aufrechten aus dem Alpenvorland eingestellt zu sein. Söder bekäme also bestenfalls eine kleine Popularitätsdelle, könnte die jedoch durch aktive Ministerpräsidentenarbeit mit Ludwig’scher Königsattitüde schnell auswetzen.
Sollte Söder hingegen den Sieg einfahren und tatsächlich Kanzler werden, dann wäre er ohnehin ungekrönter Bayernkönig mit gefühltem Hauptsitz auf Schloss Herrenchiemsee, wäre er doch der erste aus dem Freistaat, der den Preußen gezeigt hat, wo der Hammer hängt. Endlich die Schmach von 1871 überwunden, als ein bayerischer König den Berliner Herrschaftsanspruch über das geeinte Deutschland akzeptieren musste.
Eine Alternative für Laschet
Fassen wir alle Aspekte zusammen, so ist trotz der beschriebenen Risiken Söder derjenige, der den Unions-Vortänzer geben sollte. Doch geht das auch überein mit den persönlichen Befindlichkeiten des Armin Laschet? Schließlich hängt dem der Knochen Kanzleramt scheinbar unmittelbar vor der Nase – er muss nur noch zuschnappen!
Doch da böte sich vielleicht sogar eine Lösung an, die beiden Kontrahenten gerecht würde. Dem forschen Markus aus dem Süden ebenso wie dem soften Armin aus dem Westen. Söder ist ohne jeden Zweifel kanzlerfähig. Er hat das nötige Selbstbewusstsein, die unverzichtbare politische Flexibilität und die Fähigkeit, Hindernisse notfalls auch trickreich aus dem Weg zu räumen. Eines allerdings ist Söder nicht – und er wird es auch nie werden: Präsidial.
Einziges Problem: Je nach Koalitionspartner könnten auch andere den Anspruch auf dieses Amt erheben. Wird es beispielsweise schwarzgrün, käme sofort die gendergerechte Forderung, dass das Präsidentenamt bei einem männlichen Kanzler nun endlich auch einmal von einer Frau besetzt werden müsse. Das könnte die große Stunde der Matrone aus Brandenburg sein – und der Preis, den die Grünen einfordern, wenn sie unter Söder/Laschet als Juniorpartner einsteigen. In einer solchen Situation wäre eine entsprechende Söder-Zusage an Laschet die Corona-Maske nicht wert, durch die sie gesprochen wurde.
Anders sähe es aus, wenn der Union ein furioser Sieg gelingt und sie mit zwei eingedampften oder kleinen Partnern die nächste Regierung stellt. Beispielsweise mit der SPD und der FDP. Die SPD war gerade dran mit dem Präsidentenamt. Da ist also Pause. Und die FDP wird nicht stark genug werden, um einen solchen Anspruch anmelden zu können. Also gilt es für die Union, möglichst so stark zu werden, dass sie nach der Wahl nicht auf die Grünen angewiesen ist. Dann könnte Söder Kanzler und Laschet Präsident werden. Die gegenwärtigen Umfrageergebnisse deuten an, dass dieses Ziel nur mit Söder zu erreichen wäre.
Insofern geböte es die politische Vernunft dem CDU-Vorsitzenden aus vielerlei Gründen, dem bayerischen Amtskollegen den Vortritt zu lassen. Gleichwohl: Dass Vernunft nicht zu den Grundtugenden von Politikern gehört, ist keine neue Erkenntnis. Und so schauen wir nun gespannt auf den Freitag und darauf, wie die beiden Herren ihren gordischen Knoten zu lösen gedenken.