Manche Dinge sind erstaunlich. Jüngst geisterte eine Meldung aus dem Hause des Bundesministers des Innern durch die Gazetten, deren eigentliche Brisanz kaum jemand wahrzunehmen schien. Horst Seehofer, so war zu hören, habe hausintern den Auftrag gegeben festzustellen, ob das Beamtenverhältnis mit politischer Tätigkeit in Parteien zu vereinbaren sei – und insbesondere zu prüfen, ob politisch extreme Positionen die Beschäftigung im Öffentlichen Dienst zuließen. Die Meldung erschien hier und dort – und verpuffte. Auf den Presseseiten des Ministeriums findet sich dazu – nichts. Da jedoch ein bei Fehlmeldungen übliches Dementi unterblieb, dürfen wir unterstellen: Es ist so.
Die Unvereinbarkeit von Staatsamt und Abgeordnetentätigkeit
Diese Idee scheint nicht neu – und sie hatte in der Vergangenheit zur Folge, dass in dem einen oder anderen Parlament Abgeordnete, die im Öffentlichen Dienst beschäftigt sind, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung für die Zeit ihrer Abgeordnetentätigkeit ihre Beschäftigung ruhen lassen mussten. Sie werden beurlaubt, bis die Abhängigkeit vom exekutiven Dienstherrn der parlamentarischen Aufgabe nicht mehr im Wege steht.
Tatsächlich aber steht hinter Seehofers Prüfauftrag etwas anderes. Denn hier geht es um etwas Grundsätzliches – um die Frage, ob jemand dem Staat dienen kann, wenn er diesen politisch bekämpft.
Auch so etwas hatten wir schon einmal. Es ist mir insofern sehr gut in Erinnerung, weil ich seinerzeit in einem Seminar die Position vertrat: Selbstverständlich hat ein Verfassungsstaat das Recht, Personen vom Staatsdienst auszugrenzen, wenn diese das erklärte Ziel verfolgen, gegen diesen Staat zu kämpfen oder dessen Verfassungsinhalte nicht teilen. Schließlich kann auch ein Tiermastbetrieb nicht gezwungen werden, einen militanten PETA-Kämpfer einzustellen, oder eine Bank die Verpflichtung haben, einen Feind des monetären Geldsystems zu beschäftigen.
Gut in Erinnerung ist mir noch, wie ich seinerzeit seitens zahlreicher Kommilitonen das über mich ergehen lassen durfte, was man heute als Shitstorm bezeichnen würde. Nur, dass sich das damals auf die Seminarteilnehmer beschränkte und nicht via unsoziale Medien seine Kreise zog.
Der Runderlass der Ministerien
Hintergrund dieser kleinen Turbulenzen im universitären Seminarbetrieb war ein Runderlass aller Ministerpräsidenten und Landesminister vom 18. Februar 1972. In diesem Runderlass wurde auf Grundlage des geltenden Beamtenrechts festgeschrieben: „In das Beamtenverhältnis [darf] nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Beamte sind verpflichtet, sich aktiv innerhalb und außerhalb des Dienstes für die Erhaltung dieser Grundordnung einzusetzen“.
So weit, so nachvollziehbar. Niemand macht den Bock zum Gärtner – und Beamte sind Vertreter des Staates, dem sie dienen. Wollen sie lieber einem anderen Staat dienen, der nicht auf dem Boden der jeweils geltenden Verfassung steht, so ist dieses zwar ihr gutes Recht – aber dann können sie nicht Beamte des von ihnen zu vertretenden und bekämpften Staates sein. Naheliegend auch, dass die Minister sich einig waren, diese Voraussetzung für Angestellte im Öffentlichen Dienst wirken zu lassen.
Der Widerstand gegen das Berufsverbot
Doch diese im Volksmund als „Radikalenerlass“ oder „Extremistenbeschluss“ bezeichnete Selbstverständlichkeit stieß bei interessierten Kreisen auf vehemente Kritik und Widerspruch. Schnell wurde die irreleitende Floskel vom „Berufsverbot“ erfunden und als Kampfbegriff gegen den Erlass eingesetzt. Der Hinweis darauf, dass es jemandem, der gern Aktenberge hin und her wälzte, durchaus frei stände, beispielsweise bei einer Versicherung anzufangen, wurde damit begegnet, dass jemandem, der gern Briefe austragen möchte, dieses verboten würde. Damals war die Deutsche Bundespost noch zu 100 Prozent ein staatliches Unternehmen.
Kurz: Die Front jener, die aus dem, was als „wehrhafte Demokratie“ bezeichnet wurde, eine wehrlose machen wollten, wuchs beharrlich. So ziemlich alles, was links von einer gemäßigten SPD stand – jene hatte 1972 nicht nur auf Bundesebene das Sagen gehabt, machte Front gegen diesen aus ihrer Sicht unerträglichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht auf freie Berufswahl. Dabei beruhte der Erlass ausdrücklich auf einer Entscheidung des seinerzeit noch unabhängigen Bundesverfassungsgerichts, welches die von den Ministerialen in Einigkeit beschlossene Vorgehensweise eingefordert hatte. Auch der Europäische Gerichtshof verurteilte in einer Entscheidung aus dem Jahr 1995 den Erlass nicht. Jedoch sprach er einem bekennenden DKP-Mitglied, seinerzeit als BRD-Ableger der SED agierend, einen Schadensersatzanspruch zu, weil er auf Grundlage des Erlasses aus einem bereits bestehenden Beamtenverhältnis entlassen – und erst später wieder eingestellt – worden war. Auf bereits bestehende Beamtenverhältnisse durfte, so die EuGH-Richter, der Erlass keine Anwendung finden.
1991 waren die staatlichen Tore geöffnet
Wie dem auch sei: Die Front gegen die Selbstverteidigung des Staates wuchs sich aus von linksextremistischen Antifa-Gruppen über Jungsozialisten bis hinein in Gewerkschaften und Medien. In den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts begann die Abwehrfront zu bröckeln. Als letztes stellte 1991 der Freistaat Bayern die mit dem Erlass zur Neuanstellung verbundene Regelanfrage beim Verfassungsschutz ein. Nun stand endlich bundesweit auch jenen die Tür zum Öffentlichen Dienst offen, die im Sinne der Studentenideologen um Rudi Dutschke in der Unterwanderung des freiheitlich-demokratischen Staates unter dem Schlagwort des „Marsches durch die Institutionen“ den optimalen Weg sahen, eine Revolution durchzusetzen, die von den Betroffenen als solche nicht wahrgenommen werden sollte.
Vor allem Staatsämter mit Einfluss auf die Meinungsbildung waren hierbei beliebt. Denn schließlich ging es darum, die klassischen Demokraten, die von den Ideologen immer noch als heimliche Faschisten betrachtet wurden, zu progressiven Demokraten zu erziehen, die bei allem, was von den Vordenkern als „rechts“ bezeichnet wird, instinktiv zurückzucken und Pickel im Gesicht bekommen.
Steht nun also die Neuauflage einen Radikalenerlasses ins Haus? Denn selbstverständlich dient dieser Prüfauftrag nichts anderem als einer Neuauflage dessen, was seinerzeit als Berufsverbot gegeißelt wurde.
Schweigen statt Aufschrei
Eigentlich, so hätte man angesichts dieser Vorgeschichte meinen müssen, hätte Seehofers Prüfungsauftrag, der, sollte er positiv beschieden werden, zu einer Neuauflage des Radikalenerlasses führen muss, bei der versammelten Front jener Erben des damaligen Kampfes gegen das behauptete Berufsverbot einen unüberhörbaren Aufschrei des Entsetzens veranlassen müssen. Doch zu hören ist – nichts. Schweigen im Walde, in den Parteien, in den Medien. Keine Kritik, kaum eine Erwähnung. Wie ist das zu erklären?
Da wir nicht in die Köpfe jener Scharen schauen können, die einstmals gegen das „Berufsverbot“ kämpften und für die unkontrollierte Freiheit der Meinungsäußerung und der politischen Ausrichtung auf die Straße gingen, bleibt nur die Spekulation. Und die lässt leider nur einen Schluss zu: Jene, die seinerzeit in der Absicht, den demokratischen Staat zu unterhöhlen, die wehrhafte Demokratie bekämpften, fühlen sich heute derart sicher, dass sie für sich keinerlei Gefahr mehr in einer Neuauflage jener Zugangsbeschränkungen zum Öffentlichen Dienst erkennen.
Zeitlich fällt diese Meldung in eine Phase, in der sich die etablierten Parteien von Kommunisten bis Union in einem Abwehrkampf gegen eine sich ausbreitende, rechte Gefahr wähnen. In manchen Parteien scheint die Panik offensichtlich sogar so weit zu gehen, dass kaum verhohlen mit bürgerkriegsähnlichen Maßnahmen gedroht wird, sollte dieser „rechte Spuk“ weiter an Boden gewinnen. Sie alle gehen dabei offensichtlich davon aus, dass die von ihnen eroberten Positionen davon nicht betroffen sein werden. Und so schweigen sie, begleiten vermutlich sogar das Ansinnen Seehofers mit klammheimlicher Freude, denn es kann sich ja nur gegen „rechts“ richten.
Eine Lex AfD
Benennen wir es also so, wie es nur zu verstehen sein kann: Seehofer bereitet in den Augen jener, die einst Radikalenerlass und Regelanfrage als menschenrechtswidriges Vorgehen gegen die Freiheit von Meinung und Berufswahl geißelten, ein „Lex AfD“ vor. Erst die öffentliche Verkündung des „Prüffalls“ – nun der Prüffall der Wiedereinführung eines Radikalenerlasses. Hier entlang scheint der Rote Faden aktueller Innenpolitik zu verlaufen.
Was nun lehrt uns das? Die Freiheit von Meinung und Berufswahl gilt offenbar nur, wenn es die „richtige“ Meinung ist. Das war in gewisser Weise nach 1972 schon so, nur steckte damals die Verfassung den Rahmen dessen, was im Öffentlichen Dienst vertreten sein durfte. Wer den Rahmen heute steckt – darüber möchten wir nicht einmal spekulieren. Obgleich heute selbst bekennende Verfassungsgegner mit Staatsgeldern gefördert werden und in feiner Sahne schwimmende Fischfilets ihren Hass auf die freiheitliche Demokratie nicht nur auf staatlich unterstützten Veranstaltungen herausbrüllen, sondern sogar noch stolz auf die Empfehlung des Bundespräsidenten schauen dürfen.
An einer Erkenntnis jedoch führt kein Weg vorbei: Wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe. So behalten nun zumindest jene recht, die seinerzeit den Runderlass gegen die Front seiner Gegner verteidigten. Denn sie ahnten schon damals: Öffnet die Demokratie ihre Pforten für Verfassungsfeinde, wird die Demokratie zu Grunde gehen. Eine Genugtuung ist diese späte Bestätigung allerdings nicht. Nur ein Grund zur Trauer darüber, dass sich die Demokratie dann eben doch nicht als wehrhaft genug bewiesen hat, um sich gegen ihre Gegner zu behaupten.