Tichys Einblick
Keine Leos für die Ukraine

Schützenpanzer statt effektivem Kampfgerät – der Westen lässt die Ukraine zappeln 

Mit Frankreichs Entscheidung, Spähpanzer an die Ukraine zu liefern, kocht auch in Deutschland die Debatte wieder hoch. Die SPD sperrt sich weiter gegen deutsche Leopard-Panzer für das Land, dem man sich angeblich solidarisch verbunden fühlt. Die offizielle Begründung bleibt schleierhaft.

Bundeskanzler Olaf Scholz vor einem Kampfpanzer Leopard 2 auf dem Truppenübungsplatz Bergen, 17.10.2022

IMAGO / Björn Trotzki

Paris liefert der Ukraine Spähpanzer des Modells AMX-10 RC. Biden denkt über die Lieferung von Schützenpanzern vom Typ Bradley nach. Aber Michael Müller, als gescheiterter Bürgermeister von Berlin heute in der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für die Außenpolitik der SPD, schließt die Lieferung von schweren Panzern Typ Leopard 2 weiterhin aus. Deutsche Alleingänge, eine neue Ukraine-Doktrin oder das Zittern vor dem mächtigen Russland – wie sind diese scheinbaren Widersprüche einzuordnen?

Keine Leos für die Ukraine

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Beginnen wir bei der deutschen Haltung zu Waffenlieferungen in die Ukraine. Seit geraumer Zeit bittet das von Russland völkerrechtswidrig überfallene Land um die Lieferung moderner Panzer vom Typ Leopard 2 aus den Waffenschmieden von Kraus-Maffei-Wegmann und Rheinmetall. Obwohl bereits 1978 entwickelt und erstmals ausgeliefert, gilt der „Leo 2“ als einer der besten, wenn nicht der beste Panzer der Welt und wurde für die Hersteller zu einem Verkaufsschlager, der vor allem an „befreundete“ NATO-Partner wie die Türkei gegeben wurde. Die setzte ihn unter anderem bei ihrer völkerrechtwidrigen Besetzung der nordsyrischen Provinz Afrin ein, um die dort lebenden Kurden zu vertreiben.

Obwohl ein militärisches Hochleistungsgerät, beschloss die Bundesregierung, ihren Bestand an Leopard-2-Panzern bis 2008 von ursprünglich 2.125 einsatzfähigen Einheiten auf 350 zu verringern.  Ein weiterer Rückbau auf 225 Einheiten wurde 2015 nach dem russischen Einfall in die Ukraine im Vorjahr gestoppt – gegenwärtig soll der Bundeswehrbestand bei 328 Panzern liegen.

Der Leo2 ist ein Offensiv-Kampfgerät. Das bedeutet, dass er seine Vorzüge vor allem dann ausspielen kann, wenn ein militärischer Vorstoß in Feindesland erfolgreich durchgeführt werden soll. Das wiederum macht ihn für die Ukraine kriegsnotwendig: Um die von Russland derzeit besetzten Gebiete befreien zu können, muss die Armee zu effektiven und schnellen Vorstößen in der Lage sein. Erfolgen derartige Vorstöße mit weniger geeignetem Gerät, ist fast schon zwangsläufig davon auszugehen, dass auf Seiten der Offensivkräfte die Verluste an Soldaten deutlich höher sein werden als beim Verbundeinsatz mit dem Panzer als Leistungsträger.

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Trotzdem weigert sich die SPD beharrlich, der Ukraine diese Waffen zu liefern – und das, obwohl nicht nur die Unions-Opposition den Leo2-Einsatz fordert, sondern auch aus den Reihen der Grünen (Anton Hofreiter) und der FDP (Marie-Agnes Strack-Zimmermann) der Koalitionspartner bedrängt wird, den Solidaritätsschwüren endlich jene Taten folgen zu lassen, die nicht nur ukrainische Soldaten retten können, sondern auch die Situation auf dem Schlachtfeld dahingehend verändern, dass Russland zu einem Verhandlungsfrieden gezwungen werden kann.

Die Begründungen der SPD sind dabei mehr als ungewöhnlich. So sagt Müller im ÖRR-Morgenmagazin am 2. Januar 2023: „Es wird sicherlich bei unserer außenpolitischen Linie auch bleiben, dass es da keine unüberlegten Alleingänge gibt“ – was, sollte man diese Worte ernst nehmen, bedeutet: Sicher ist da gar nichts, denn wer „sicherlich“ sagt, weiß, dass er „hoffentlich“ meint. Und wer von „unüberlegten Alleingängen“ spricht, räumt die Möglichkeit „überlegter Alleingänge“ ausdrücklich ein.

Ein scheinbarer Grund für die SPD-Ablehnung der Leo2-Lieferung an die Ukraine könnte es sein, dass mit den eingedampften Beständen keine Einheiten vorhanden sind, auf die die Bundeswehr verzichten kann. Dann allerdings sollte die regierende SPD dieses auch so sagen, und sich nicht hinter Schwurbeleien verstecken. Laut einem Bericht des Focus vom November 2017 verfügte die Bundeswehr damals über 244 Leo2, von denen jedoch überhaupt nur 95 Einheiten einsatzbereit waren. 53 Fahrzeuge hätten sich damals in Umrüstung befunden, weitere 89 seien „nutzungsbedingt ausgefallen“ und konnten nicht repariert werden, weil Ersatzteile fehlten. Wie hoch der aktuelle Bestand ist und wie hoch dabei der Bundeswehr-übliche Ausfall modernen Kriegsgeräts ist, entzieht sich der aktuellen Kenntnis. 

Medienboykott durch die Pressestelle des Heeres

Um zu erfahren, wie der aktuelle Stand bei den Leo2-Einheiten aussieht, schickte TE eine entsprechende Anfrage an die Pressestelle des Heeres. Nach einem umgehend erfolgten, freundlichen und konstruktiven Anruf eines Mitarbeiters, in dem die Beantwortung schnellstmöglich zugesagt wurde, kam dann allerdings bereits nach einer knappen Stunde die Mitteilung eines Oberstabsfeldwebels, der als „ein Sprecher des Heeres“ zitiert werden möchte, mit folgender, kurzer Mitteilung: „Aufgrund der aktuellen Lage können wir keine Angaben zu Stärken, Ausstattungen von Verbänden und Einheiten wiedergeben.“ Also vielleicht auch bei den Leos nur noch Schrott, den die irrlichternde Frau Minister Lambrecht verwalten lässt? Es darf spekuliert werden.

Worüber sprechen Scholz und Putin 60 Minuten lang?

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Neben einer Lieferungsverweigerung aufgrund eines möglicherweise zu geringen Eigenbestands und angesichts der allem Anschein nach von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgebremsten Bereitschaft Spaniens, Leo2-Panzer an die Ukraine abzugeben, scheinen jedoch andere Erwägungen eine Rolle zu spielen. Diese wiederum könnten mit einem einstündigen Telefongespräch von Scholz Anfang Dezember 2022 mit Kremlchef Wladimir Putin zu tun haben. Denn die Mitteilung, dass die Bundesrepublik darauf bestehe, Russland habe seinen Überfall nebst Zerstörung der zivilen Infrastruktur zu stoppen und sich aus den völkerrechtswidrig besetzten Gebieten der Ukraine bedingungslos zurückzuziehen, hätte locker in fünf Minuten abgetan werden können.

Wenn dennoch 60 Minuten kostbarer Kanzlerzeit investiert werden, kann dieses mit einer weiteren Aussage Müllers zu tun haben. Der ließ im MoMa ebenfalls wissen, dass „Deutschland auf jeden Fall weiterhin vermeiden wolle, dass die NATO Kriegspartei wird“. Dieses sei „in unser aller Interesse“, da man sich die Eskalation für den Fall nicht ausmalen wolle, wenn die NATO direkte „Kriegspartei gegen Russland“ werde.

Müller folgt mit diesen Sätzen fast schon klassisch der Moskauer Ursache-Folge-Umkehr: Nicht der Aggressor ist derjenige, der kriegerische Auseinandersetzungen verschuldet, sondern derjenige, der sich gegen die Aggression zu Wehr setzt.

In dieses Muster passen die ständigen Faktenverdrehungen aus Moskau, die sämtlich nur bedeuten: Russland hat jedes Recht, sein Nachbarland zu verheeren – aber niemand, weder die Ukraine noch deren Unterstützer, haben irgendein Recht, sich dagegen zu wehren. Es ist jene gewaltbasierte, archaische Denkwelt, die Russlands Politik derzeit bestimmen.

Frankreichs Radpanzer AMX-10 RC

So wird offensichtlich, dass Putin dem Mann im Kanzleramt gedroht hat, jedweder „Angriff“ auf russisches Territorium mit NATO-Waffen würde als Kriegseintritt der NATO in den Konflikt gewertet. Scholz dürfte angesichts des stets aufgeblasenen Auftreten Putins den Schwanz eingeklemmt haben – und nicht nur er.

Denn die nun von Frankreich und den USA angekündigten Panzerfahrzeuge folgen immer noch der Doktrin, die Ukraine am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Der französische Radpanzer AMX-10 RC ist ein militärisches Leichtgewicht, bereits 1970 erstmals in Dienst gestellt. Gegen moderne Panzer hat das Fahrzeug mit seiner 105-Millimeter-Kanone keine Chance, weshalb er vor allem als Spähpanzer eingesetzt werden kann. Wie weit eine solche Notwendigkeit in einer Welt, in der Satellitenbeobachtung und Drohneneinsatz weitaus effektivere und die Soldaten weniger gefährdende Aufklärungsmöglichkeiten bieten, überhaupt noch zeitgemäß ist, darf durchaus hinterfragt werden. So deutet manches darauf hin, dass Emmanuel Macron mit der eher symbolhaften Gabe seine eigenen, unnütz gewordenen Bestände bereinigen will – Wolodymyr Selenskyj bedankte sich dennoch artig. Einem geschenkten Gaul …

Der Schützenpanzer Bradley

Etwas anders sieht es mit dem US-Schützenpanzer „Bradley“ aus. Zwar ist auch dieses Waffensystem eine Entwicklung der Siebziger, wurde jedoch ständig weiterentwickelt und gilt auch heute noch als hochgradig einsatzfähig. Das Kettenfahrzeug „Bradley“ ist jedoch als Schützenpanzer vorrangig für verbundene Einsätze vorgesehen. Seine wichtigste Aufgabe ist es, die sieben Infanteristen, die neben Fahrer, Kommandant und Richtschütze im Schützenpanzer sitzen, unmittelbar ins Kampfgebiet zu bringen. Das macht vor allem dann Sinn, wenn zuvor der Einsatz schwerer Panzer oder weitreichender Artillerie die feindliche Abwehr zerstört hat und es nun darum geht, gegen die Infanteristen in gegnerischen Stellungen vorzugehen.

Die westliche Angst vor dem ukrainischen Erfolg

Ob AMX oder Bradley – beide Waffensysteme mögen zwar die Kampfkraft der Ukraine im Stellungskrieg mit schnellen Vorstößen erhöhen. Doch sie sind nicht geeignet, um die russischen Einheiten, die sich entlang der Frontlinie gegenwärtig eingraben, tatsächlich ernsthaft zu gefährden, solange diese über funktionsfähige Artillerie oder schwere Panzerfahrzeuge verfügen.

Die Lieferung dieser Fahrzeuge bei gleichzeitiger Verweigerung jener Waffensysteme, die Russland auf ukrainischem Boden ernsthaft in Bedrängnis bringen können, darf insofern durchaus als jener ausgestreckte Arm verstanden werden, an dem die Ukraine in einen langwierigen Zermürbungskrieg gezwungen wird.

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Die Alternative, um dem Spuk möglichst schnell ein Ende zu machen, wäre die Lieferung hocheffizienter Offensivwaffen wie eben jenem Leo2. Mit ihnen wäre die Ukraine in die Lage versetzt, ihr besetztes Territorium zu befreien. Ob es nun die westliche Angst ist, dass die Ukraine damit erfolgreich bis nach Moskau (rund 650 Kilometer Luftlinie von der Front) oder den Atombomber-Airport Engels bei Saratow (750 Kilometer Luftlinie) vorstoßen könnte, von dem aus Russland die Terrorangriffe auf die zivile Infrastruktur startet, oder ob in den Hauptstädten der NATO erwartet wird, dass Putin bei der ersten westlichen Waffe, die auf russisches Staatsgebiet niedergeht, den Atomkrieg startet – bislang unterwirft sich die NATO in Sachen Militärunterstützung für die Ukraine den Wünschen Moskaus.
Völkerrechtlich ist die Situation eindeutig

Völker- und kriegsrechtlich hingegen ist die Situation eindeutig. Da die Ukraine völkerrechtswidrig und ohne Kriegserklärung angegriffen wurde, handelt es sich beim russischen Vorgehen um einen Terrorüberfall, der beschönigend als „Angriffskrieg“ bezeichnet wird. In einer solchen Situation hat die Ukraine jedes Recht, auch Ziele im Kernland des Aggressors anzugreifen – und dieses zumindest in ebenbürtiger Art und Weise. Russland dürfte sich folglich nicht beschweren, wenn ukrainische Maßnahmen die Infrastruktur Russlands nebst zivilen Wohngebieten ins Visier nehmen.

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Was die Wahl der Waffen betrifft, so hat die Ukraine das Recht, jedes ihm zur Verfügung stehende Kriegswerkzeug bis hin zu Sabotage einzusetzen. Wenn Kiew darauf bei Angriffen, die auf russisches Kernland zielen, bislang absieht, dann ist dieses nichts anderes als ein Zugeständnis an die westlichen Befindlichkeiten – dort offenbar gespeist von jener Angst, dass Putin den Einsatz effektiver westlicher Offensivwaffen erst recht als Kriegseintritt der NATO interpretieren könnte, obgleich Moskau diesen bereits in der Lieferung reiner Defensivwaffen erkennen will. Schließlich hat der Kreml-Diktator nicht zuletzt bei seiner wirren Neujahrsansprache deutlich gemacht, dass er sich längst in diesem Krieg wähnt. Gleichzeitig weiß er aber auch, dass ein russischer Angriff gegen die NATO, den er als Verteidigung deklarieren würde, Russlands Untergang wäre.

Völkerrechtlich hätten Staaten, die der NATO angehören, sogar das Recht, eigene Truppen in die Ukraine zu schicken, wenn die Ukraine darum bittet, um sich gegen den Terrorüberfall zu verteidigen. Hier gilt das, was Putin selbst in Syrien genutzt hat, um dort seine Position zu sichern, indem er dem legitimen Staatschef nach dessen Hilferuf militärisch zur Seite trat. Ein Einsatz befreundeter Armeen auf ukrainischem Territorium wäre kriegs- und völkerrechtlich nach wie vor kein Angriff gegen Russland – auch wenn man es in der russischen Parallelwelt so interpretieren mag. 

Ein Franzose redet Tacheles

Der französische Militärhistoriker Pierre Servent liegt insofern nicht gänzlich falsch, wenn er Macron und Scholz als „Weicheier“ bezeichnet. Sie hätten nicht verstanden, dass es Putin nicht darum gehe, „die amerikanische Welt zu besiegen, sondern sie entdemokratisieren“ zu wollen.

Für seinen Präsidenten Macron hat Servent nur Spott übrig: „Er erteilt Putin bei seinen Telefonaten Lektionen im internationalen Recht und vergisst, dass er mit einem Killer spricht, der in Moskau Attentate hat machen lassen, um einen Vorwand für den zweiten Tschetschenienkrieg zu haben, der Tschetschenen in Grosny massakriert, der Georgien attackiert und Zivilisten in Syrien ermordet hat. Putin lacht sich tot über Macrons Vorlesungen.“

Die westliche Politik agiert nach wie vor nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Opfer sind die ukrainischen Soldaten, die mit ungenügendem Material ihr Land von den Invasoren befreien sollen – und die Ukrainer, denen der Mann, der nach den Worten Servents einem „verrohten Männerkult“ frönt, die Lebensgrundlagen zu nehmen sucht.

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