Tichys Einblick
Die nächste Front der USA

Arabiens Blick nach China – wie US-Präsident Biden einen Verbündeten verliert

Sehr zum Verdruss der USA hat das sonst gegen Russland stets hilfreiche Ölförderland Saudi-Arabien in der OPEC einer deutlichen Drosselung der Ölförderung zugestimmt. Die Annäherung der Araber an China ist die nächste Front, an der die USA gegen den Niedergang ihres globalen Einflusses kämpfen müssen.

IMAGO/Zuma Wire - Collage: TE

Lange Zeit galten sie als enge Verbündete, die Vereinigten Staaten von Amerika und das autoritär-islamische Königreich der Söhne Sauds. Doch spätestens seit der ersten Septemberwoche hängt der Haussegen nun so richtig schief. Sehr zum Verdruss der USA hat das sonst gegen Russland stets hilfreiche Ölförderland auf der Arabischen Halbinsel im Rahmen der OPEC einer deutlichen Drosselung der Ölförderung zugestimmt. Das in einer Zeit, in der das gegen die Ukraine einen Terrorkrieg führende Russland maßgeblich darauf angewiesen ist, seinen postkolonialen Imperialismus über den Verkauf fossiler Energieträger zu finanzieren.

US-Präsident Joe Biden ist nicht amüsiert, erklärt gegenüber CNN, dass dieses Verhalten der Saud „Konsequenzen haben wird“. Welche, dass lässt er offen. Auch, dass dabei ohne Zweifel nicht nur die Ölpreispolitik, sondern die unübersehbare Annäherung der Araber an die neue Großmacht China eine Rolle spielen wird, lässt er unerwähnt. Es ist die nächste Front, an der die USA gegen den Niedergang ihres globalen Einflusses kämpfen müssen, die der starke Mann der Saud nun eröffnet hat.

Die Ambivalenz des Prinzen

Mohammed Ibn Salman, geboren am 31. August 1985 in Dschidda, ist der erste aus der Enkel-Generation des Staatsgründers Abd alAziz ibn Saud, der zur zentralen Schlüsselfigur des Wüstenreichs aufsteigt. Obgleich offiziell immer noch sein Vater Salman ibn Abd alAziz al Saud oberster Herrscher im Reich ist, liegt die tatsächliche Macht seit geraumer Zeit in den Händen des Kronprinzen.

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Der vergleichsweise junge Herrscher, Absolvent der König-Saud Universität in Riad mit Bachelor-Abschluss in Islamischer Rechtswissenschaft und Immobilienunternehmer, verkörpert wie kaum ein anderer den Spagat zwischen dem mittelalterlichen Despotismus des islamischen Orients und der postdemokratischen Moderne. Kaum zulasten seines Cousins Mohammed ibn Naif zum Thronfolger eingesetzt und mit den notwendigen Instrumenten der Macht versehen, sorgte er 2017 in einer ersten Aktion dafür, dass mögliche Konkurrenten aus dem umfangreichen Prinzenbestand der Herrscherfamilie ihm nicht gefährlich werden konnten. Angehängt an ein Projekt der Korruptionsbekämpfung – geschätzte 30 Prozent des Staatshaushalts sollen seinerzeit in privaten Kanälen verschwunden sein – sollen rund 200 prominente Bürger, darunter Neffen und Onkel des neuen Kronprinzen, verhaftet sowie zum Teil angeklagt und dabei mindestens 100 Milliarden Dollar in die Staatskasse überführt worden sein.

Parallel zu seinem Kampf gegen die Korruption, der ohne Zweifel zugleich der Machtkonsolidierung diente, modernisierte Mohammed das radikalislamische System nach innen. Frauen erhielten mehr Rechte, die allgegenwärtige Religionspolizei – Pendant jener iranischen Psychopatentruppe, die jüngst für den Tod einer jungen Kurdin verantwortlich gemacht wurde – in Rechten und Funktion deutlich eingeschränkt.

Mit diesen Aktionen legte sich der Kronprinz spürbar mit den Orthodoxen des Königreichs an, die den Kooperationsschwur zwischen dem Stamm der Saud und dem Muslimprediger Wahhab aus dem Jahr 1744 nach wie vor als Staatsdoktrin betrachten und eine radikalislamische Koraninterpretation vertreten. Der Kronprinz kämpft insofern an vielen Fronten: Gegen die orthodoxen Glaubenseiferer; gegen dynastische Konkurrenz; gegen demokratische Freiheitsansprüche – und nicht zuletzt gegen die Muslimbruderschaft, deren gegenwärtig prominentester Vertreter der türkische Präsident Erdogan ist und dessen ideologischer Gesinnungsfreund und Mohammed-Kritiker Jamal Kashoggi ausgerechnet im Saudischen Generalkonsulat in Istanbul offenbar vom Geheimdienst des Königreichs ums Leben gebracht wurde.

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Neben behutsamen Schritten zur Emanzipation der Frauen bei gleichzeitig unversöhnlichem Vorgehen gegen Menschenrechtsaktivisten wiederum versucht Mohammed den Schritt in die Moderne auch mit visionären Vorstellungen wie dem NEOM-Projekt, einer 170 Kilometer langen, als „The Line“ bezeichneten, emissionsfreien Zukunftsstadt am Nordostufer des Roten Meeres. Hier sollen begüterte Hipster und Ökos aus aller Welt eine gewissensreine, neue Zukunft finden.

Blickt Mohammed einerseits in die Moderne, so entspricht sein in einer „Vision 2030“ manifestiertes Herrschaftsverständnis dem eines Absolutismus‘ mittelalterlich-islamischer Kalifen bei gleichzeitiger Orientierung an den Visionen des chinesischen Kommunisten Xi Jinping, dem eine von der elitären Führung organisierte Wohlstandsgesellschaft unter kollektivistischem Diktat mit absoluter Kontrolle des Individuums tief hinein in den Privatbereich durch ein über allumfassende Überwachung ermöglichtes Sozialpunktesystem vorschwebt. Insofern darf es auch nicht verwundern, dass Mohammed sich seit geraumer Zeit an die rotchinesischen Weltbeherrschungsinstrumente wie das Seidenstraßenprojekt und das aus Peking geleitete Anti-G7-Format der „Shanghai Cooperation Organisation“ (SCO) anlehnt. Xis Vision von einer kollektivistischen Weltgemeinschaft unter autoritärer Elitenherrschaft ist deutlich näher an Mohammeds Weltbild als der chaotische Pluralismus der europäischen Demokratietheorie nach US-Vorbild.

Der Bruch der US-Saudischen Zweckgemeinschaft

Mit seinem Schulterschluss zugunsten Putins Öleinnahmenbedarf nun hat Mohammed, dessen totalitäres Königreich über lange Jahre als eine Art US-Außenstelle am Golf galt, in Washington offensichtlich eine Reizschwelle überschritten, die das bisher immer noch halbwegs vertrauensvolle Verhältnis erheblich stören kann. Dabei war dieses Verhältnis der Verbündeten gegen den Iran der Mullahs und den Weltölmarktkonkurrenten Russland stets problematisch. Als die USA im Schulterschluss mit Riad die Invasion des Irak des säkular-sunnitischen Störenfrieds Saddam Hussein fassten, züchteten sie damit zugleich in den wahhabitsch-reaktionären Kreisen jene radikal-islamischen Bewegungen wie Al Kaida und Islamischer Staat und sorgten so nicht zuletzt selbst dafür, dass das totalitäre, menschenrechtsfeindliche Herrschaftssystems der arabischen Sippe der Saud gefestigt wurde.

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Die Kooperation zwischen der Führungsnation des westeuropäischen Demokratiemodells und dem traditionsislamischen Arabismus funktionierte so lange gut, wie in Moskau ein kommunistisches Regime der Befreiungsideologie des Antimonarchismus das Sagen hatte und die schiitischen Glaubensgegner im Iran der Mullahs ihren Terrorkrieg auch gegen das saudische Königshaus führten. Und solange die USA im Nahen Osten als unüberwindliche Ordnungsmacht auftraten. Doch das ist lange her, nachdem erst Obama das syrische Feld, in dem Riad eigene Interessen verfolgte, den Russen und dem Iran überlassen und dann Biden nach 20 erfolglosen Jahren Afghanistan fast schon panisch verlassen hatte.
Mohammed sucht neue Freunde

Er strebt angesichts der gefühlten Schwäche der USA nicht nur mit Blick auf den Moskauer Despoten, sondern auch im Verhältnis zu Teheran Wege der Entspannung an, die wenig in die globalpolitische Perspektive der USA passen. Zwar wurde jüngst der Waffenstillstand des im Jemen geführten Stellvertreterkriegs gegen den iranisch-schiitischen Einfluss auf der Halbinsel nicht verlängert – gleichwohl soll es mittlerweile unter Vermittlung der neuen Pekinger Freunde unmittelbare Gespräche mit den klerikalen Diktatoren jenseits des Golfs geben. Die Tatsache, dass diese sich derzeit in einem Abwehrkampf gegen Freiheitsbestrebungen der eigenen Bevölkerung befinden, wird Mohammed nicht davon abhalten, von Despot zu Despot ein neues Kapitel der Gegenseitigkeit aufzuschlagen, so er sich davon einen unmittelbaren Nutzen verspricht.

Die USA, die bislang mit Blick auf die innere Machtstruktur der Araber alle Augen zugedrückt hatten, sehen sich nun auch auf der arabischen Halbinsel mit einer von Peking gesteuerten Neuorganisation der Weltordnung konfrontiert. Bidens Reaktion ist insofern nicht nur durch die klammheimliche Unterstützung Putins veranlasst. Vielmehr befinden sich die USA in Gefahr, ihren bereits unter Obama deutlich geschrumpften Einfluss in Middle East zu verlieren und damit ins Hintertreffen gegenüber dem großen Konkurrenten China zu geraten. Dessen Führer hat die Parole ausgegeben, dass seine Volksrepublik bis 2049 in allen Kategorien – wirtschaftlich, militärisch, IT-technisch und monetär – zur absoluten Weltmacht Nummer Eins aufgestiegen sein soll.

Während der bundesdeutsche Kanzler mit dem Klingelbeutel an Mohammeds Tür steht, um gegen nun unerwartet erlaubte Waffenlieferungen ein paar energetische Almosen zu empfangen, sehen sich die Verbündeten in Washington zunehmend mehr mit der expansiven Dynamik der roten Mandarine konfrontiert – längst nicht mehr nur in der Straße von Formosa und im Gelben Meer, sondern entlang jener Seerouten, die im Mittelalter von arabischen Seehändlern zwischen Ostafrika und Indonesien beherrscht worden waren und die nach dem Zweiten Weltkrieg zur Lebensader der von den USA gesicherten Globalwirtschaft wurden.

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